© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
aus
Deutsche Litteraturzeitung, Nr. 7
1898,Feb.19, S. 285-286
Kunstwissenschaften,
Jacob Burckhardt, Erinnerungen aus. Rubens.
Basel, Lendorff, 1898. III u. 331 S. 8° mit Bildniss.
M. 4,50.
Der Titel hat etwas Ausweichendes: es soll
kein Buch über Rubens gegeben werden, son
dern was Jacob Burckhardt bei Betrachtung
Rubensscher Gemälde im Gedächtniss blieb, wird,
ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dem gegen
ständlichen Inhalte der Bilder nach geordnet.
Davor, als Einleitung, eine künstlerische Biogra
phie des Meisters, in der Art geschrieben wie
Vasari schrieb. Der Verfasser eines Buches
setzt sich ein Ziel: hier haben wir nur grossen
Reichthum persönlicher Eindrücke, einfach und
straff notirt, wie ein erfahrener Mann Notizen
aufzeichnet.
Neben J. Burckhardts Methode, Rubens’
Werke zu theilen, sind andere möglich. Maass
gebend können z. B. die Epochen der Farben
gebung sein. Oder Berichte persönlicher Erleb
nisse, unter denen Werke zu Stande kommen.
Vergleichung mit anderen, nahestehenden Meistern.
Nähme man all das aber zusammen, so könnte
ein dickes Buch daraus werden, dessen Erfolg
von der Eleganz der Schreibart abhinge. Burck
hardt hat das nicht gewollt. All seine Werke
sind systematisch geordnete Kollectaneen höchst
persönlicher Auswahl. Darin liegt ihr Reiz und
ihr dauernder Werth. Werden sie in Bücher
gewöhnlichen Schlages umgearbeitet, so büssen
sie ihr Bestes ein, können für den Durchschnitts
bedarf des Publikums brauchbarer und nützlicher
erscheinen, sind aber keine Zeugnisse mehr für
die geniale Arbeitsart ihres Verfassers. Burck
hardts Cicerone z. B. hat kein Recht mehr, als
ein Werk Jacob Burckhardts zu figuriren und
wird ihm zu Ehren ohne Zweifel einmal in der
ursprünglichen Gestalt neu gedruckt erscheinen.
Die Gemälde Rubens’ haben — auch die
blossen Ateliergemälde — gemeinsam einen ge
wissen Glanz und eine ihnen entsprühende Blut
wärme, als rollte den Gestalten eine besondere Art
menschlichen Ichors in den Adern, strahlte olympi
scher Sonnenschein aus ihnen heraus und auf sie
nieder. Als besässen sie unermüdliche Kräfte für
Kampf und Genuss. Zugleich aber sind auch Rubens’
beste Gemälde doch immer nur Dekorationsstücke.
Tief menschliche Empfindungen profanirt er durch
Beimischung eitler Pracht. Die einfache, rührende
Stille der Natur hat er nicht dargestellt. Rubens
war der glänzend begabte Freund und Genosse
vorübergehender kirchlicher und monarchischer
Machtinhaber. Mehr nicht. Auch J. Burckhardt
hält Rubens nicht für mehr. Von der heutigen
Mittelmässigkeit wird der vornehme, reiche, hei
tere, gesunde, grenzenlos leistungsfähige Meister
angestaunt und überschätzt, von den Sammlern
gesucht und hoch bezahlt. Das Verhältniss unse
res kunsthistorischen und kunstgeniessenden Publi
kums zu Rubens ist ein Zeichen unserer Zeit.
Berlin. Herraan Grimm.