Full text: Rezensionen von Herman Grimm aus der Deutschen Litteraturzeitung (1886 - 1900)

aus : Deutsche Litteraturzeitung, Nr. 5 
1894, Feb.3, S. 148-149 
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
Das Anzengruber-Denkmal auf dem Wiener 
Central-Friedhofe. Rechenschaftsbericht, her 
ausgegeben im Aufträge des Anzengruber-Kuratoriums. 
Mit einer Heliogravüre von Seherpes preisgekröntem 
Anzengruber-Monument. Wien, Verlag des Kurato 
riums, 1893. 
Nur wenige Seiten, deren Inhalt der Titel 
angiebt, verfasst von Anton Bettelheim. Am 
Grabe sprach der Bildhauer Professor Rudolf 
Alt. Bei der Enthüllung des auf dem Central- 
Friedhofe stehenden Denkmals werden an der 
Spitze der Versammelten die Kinder des Dichters 
Karl, Marie und Hans mit dem Vormunde ge 
nannt. Für sie bleibt, wie aus dem Berichte 
hervorgeht, noch zu sorgen. Ueber das Grab 
denkmal selbst finden wir Folgendes: »Allgemeine 
Bewunderung fand das (in unserer Heliogravüre 
nachgebildete) Denkmal, dessen reiner, wahrhaft 
volkstümlicher Wirkung kein Unbefangener sich 
verschlie'ssen kann. Ein Bauermädchen, das man 
getrost als Doppelgängerin der Anna Birkmeier 
oder der Magdalen’ Reindorfer ansehen mag, 
erfährt unterwegs jählings durch ein ‘Marterl’ 
den Heimgang des Dichters und klammert sich 
laut aufschluchzend an den Pfahl des Bildstockes, 
dessen Votivbild die Züge Anzengrubers ver 
gegenwärtigt. Die Gestalt des vom tiefsten 
Schmerz durchdrungenen Dirndls greift ins innerste 
Gemüth und das Reliefbild des Dichters über 
rascht durch überzeugende Aehnlichkeit. Der 
Bildstock ist aus Karst Marmor, der Felsblock 
aus Lindabrunnerstein; die Höhe des Denkmals 
beträgt 4.5, die Breite 2.14, die Tiefe 1.23 
Meter.« Rosegger hatte einen poetischen Fest- 
gruss gedichtet, den die Deutsche Zeitung brachte 
und den wir abgedruckt finden. 
Soweit Abbildungen ein Urtheil gestatten, be 
stätigt die vorzügliche Heliogravüre Bettelheims 
lobende Worte durchaus. Das Denkmal gereicht 
dem Dichter und denen, die es errichtet und ge 
schaffen haben, zur Ehre. Anzengruber ist überall 
in Deutschland gekannt und geliebt. Aus seinen 
Werken bricht die Unschuld seines Herzens 
hervor. Was er schildert, steht ihm vor den 
Blicken. Er hat eine kraftvolle, erwärmende, 
mitreissende Sprache. 
Was diese Sprache anlangt. Hätten wir ein 
Kuratorium für Herstellung eines Wörterbuches 
der Deutschen Sprache, so würde es jetzt an der 
Zeit sein, die Verehrer des Dichters aufzufordern, 
Anzengrubers Dichtungen für dieses Deutsche 
Wörterbuch durchzunehmen und das Eigenthiim- 
liche seiner Sprache auszuziehen. Ich ergreife die 
Gelegenheit aufdieNothwendigkeit einer allgemeinen 
Mitarbeit für dieses Wörterbuch hinzuweisen, dessen 
definitive Ausarbeitung späteren Zeiten zufällt, für 
das aber, soll es möglich werden, von allen Seiten 
Material zufliessen muss. Bei diesem grossen 
nationalen Werke dürfen Bedenklichkeiten nicht 
in Betracht kommen. Die sich ihm zu wendende 
allgemeine Arbeit würde zugleich die Aufmerk 
samkeit darauf richten, in welcher Weise für 
das Andenken derer überhaupt in Deutschland 
gesorgt sei, die mit Dichten und Schreiben in 
Deutscher Sprache zu thun hatten. 
Berlin. Herman Grimm.
	        
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