Full text: Rezensionen von Herman Grimm in der Deutschen Rundschau (1881-1890)

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
A 
aus : Neue Freie Presse,Wien, Nr.5973, 
1881,Apr.14, S. 1-2 
Wiener Kimstbriefe. 
Thng. Da schreibt in der Berliner Revue „Deutsche 
Rundschau" Jemand Kunstkritik vom berlinischen Stand 
punkte unter der Chiffre B. K. F., oder in der gelehrteren 
Form mit den griechischen Lettern: Beta Kappa Phi. Man 
hat sich bei uns lange vergeblich bemüht, den Sinn dieser 
Anfangsbuchstaben zu enträthseln. Der Eine meinte, es heiße: 
Bitte, keine Feindschaft! Ein Anderer: Berliner Kunst-Fex. 
Die eigentlich authentische Dechisfrirung soll aber lauten: 
„Berliner Kunstfreund", und bannt ist auch gleich der ro 
mantische Zopf gekennzeichnet, der diesem heiteren Kritiker 
stets hinten hängt. 
Die größte That dieses „Berliner Kunstfreundes" be 
steht bisher darin, daß er letzthin in landes- oder. wol besser, 
stadtüblicher Bescheidenheit Berlin den „Mittelpunkt der kunst 
geschichtlichen Bewegung" genannt hat. Ja, wir zweifeln 
auch nicht, daß er sich selbst noch für den Mittelpunkt dieses 
Mittelpunktes ansieht. Er dürfte aber mit dieser Ansicht 
ziemlich vereinzelt dastehen. Denn er gehört nicht zu jener 
jüngeren kenntnißreichen Generation der Berliner Kunst 
gelehrten, deren einige ihre Schule und Erfahrungen in 
Wien durchgemacht haben und welche jetzt das heidenmäßig 
viele Geld, daö sie haben, mit so großem Erfolge zur 
Hebung des Kunstbesitzes der Berliner Museen verwenden. 
Der geschickteste unter diesen Letzteren ist vielleicht der in 
Wien sehr wohlbekannte jetzige Director des königlichen 
Kupferstich-Cabinets, den wir Fritz nennen wollen. Geboren 
zu Prag, leidlich erzogen in Wien, glücklich versorgt in Berlin 
und gut verheiratet in London, macht er in der Welt um 
herreisend die besten Geschäfte für daö Berliner Dtuseum. 
Weniger fleckt es ihm mit der lieben Wissenschaft. Gleichwol 
will daö in der Berliner Luft üppig gewordene Ei zuweilen 
klüger sein, als die Wiener Henne, und es freut ihn nichts 
mehr, als wenn er uns „armen Hascherln" etwas am Zeuge 
klicken kann. 
Dieser unser Fritz hat aber auch einen Freund, wir 
würden in Wien sagen: einen Spezi, der auf den Namen 
Charles hört. Dieser wieder ist zu Hause von Odessa bis 
Paris, und daö letztere ist sein Berlin. Er hat eine gewisse 
Celebritüt erlangt auf dem seit Wilhelm Lübke nicht mehr 
ungewöhnlichen Wege des Abschreibend oder, feiner ausgedrückt, 
des „NachforschenS". Was er in dieser Art geleistet hat, ist 
recht verdienstlich und ungemein luxuriös bei Jouaust in 
Paris gedruckt. Zuweilen will er aber doch auch durch Neues 
überraschen, und dann macht er gemeiniglich eine Dummheit. 
Aber auch in dieser Dummheit ist er nie ganz originell, son 
dern immer durch irgend einen wohlmeinenden Helfer oder 
sagen wir Spezi angeleitet. 
Nun will ich die Musterkarte, die ich bisher entfaltet, 
wieder zurückrollen und an einem Beispiele zeigen, wie das 
eben beschriebene Kleeblatt sich in die Hände arbeitet, um 
Kunstgeschichte zu machen. Es vergleicht sich an Komik nur 
der Geschichte von dem an die Schnur befestigten Speck- 
schwärtchcn, mit welchem der schlaue Münchhausen die Enten 
fing, mit deren Hilfe er dann davonflog. Nur freilich 
fliegen können unsere drei Helden nicht, denn sie sind keine 
Enten, sondern blos Entenzüchter. Mit der neuesten ge 
lahrten Ente aber, die sie ausgebrütet, großgezogen und ge 
mästet haben, verhält es sich folgendermaßen: 
Der neuernannte Director dcö Berliner Kupfcrstich- 
Cabinetö fand unter dem reichen Vorrathe von falschen Dürer- 
Zeichnungen im selbigen Cabinete auch einige Blätter eines 
Skizzenbuches, auf welchen in Metallstift Ansichten von 
Schlössern im Elsaß und in Württemberg, offenbar Natur 
aufnahmen, sich befinden, darüber gleichzeitige Aufschriften 
der Namen und die Jahreszahlen 1514 und I5l5. Halt, 
dachte mein lieber Fritz, da haben wir den nichtsnutzigen 
Wiener Dürer-Biographen beim Fittig, und publicirte flugs 
zwei dieser Skizzen in dem von ihm herausgegebenen Sammel 
werke von Zeichnungen des Berliner Cabinets unter dem 
Namen Dürer's. Wie wird sich der Wiener College ärgern, 
daß er diese Documente ganz übersehen oder deren Wichtig 
keit nicht begriffen hat, dachte der kluge Fritz und that weiter 
'dergletkl
	        
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