Full text: Rezensionen von Herman Grimm in der Deutschen Rundschau (1881-1890)

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Deutsche Rundschau. 
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
thun, recht früh bei einer öffentlichen Sammlung 
oder bei einem unterrichteten Kunsthändler Prak 
tisch arbeitend einzutreten; der angehende Histo 
riker dagegen wird sich im Besuche von Vor 
lesungen, welche Professoren der Neueren Kunst 
geschichte auf Universitäten halten, dessen, was 
in dem Bereiche der speciellen Kunsthistorie 
mündlich mittheilbar ist, zu bemächtigen haben. 
Natürlich wird auch der einstige Museums- 
beamte gut thun, kunsthistorische Vorlesungen zu 
hören, und auch der reine Kunsthistoriker den 
praktischen (technischen) Umgang mit Kunstwerken 
stets zu erstreben haben, immer aber ist der 
Unterschied beider Ausbildungen streng im Auge 
zu behalten, und zwar deshalb um so mehr, als 
sie beide oft zum Schaden derer verwirrt wer 
den, welche, indem sic einseitig die eine oder 
anoere zu gewinnen trachten, sich' für beide gleich 
mäßig ausgerüstet wähnen. 
Bei den auf Universitäten der Neueren Kunst 
geschichte gewidmeten Vorlesungen spielt die Vor 
bereitung'zur Lectüre der Schriftsteller, welche 
über das Leben der Künstler und ihre Werke 
berichten, eine bedeutende Rolle. Von ihr wird 
dann zu dem bei weitem schwierigeren Studium 
in den Archiven übergegangen, wo die auf Kunst 
werke und Künstler bezüglichen Urkunden zu 
suchen, zu lesen und abzuschreiben sind. Es wäre 
unbillig, vom Museumsbeamten zu verlangen, 
sich auf diesem Gebiete völlig zu Hause zu fühlen 
oder gar-Ausgaben solcher Stücke nach philo 
logischer Methode zu machen. 
Der Herausgeber der vier Bücher, welche 
wir hier anzeigen, gehört als Professor der 
Neueren Kunstgeschichte an der Berliner Uni 
versität, zu den reinen Kunsthistorikern und hat 
seine Lehrthätigkeit diesem Zweige des Gcschichts- 
studiums aus dem Grunde mit besonderer Be 
tonung zugewandt, weil, worin wir ihm bei 
stimmen, die auf den Universitäten zu haltenden 
kunstgeschichtlichen Vorlesungen im Gegensatze zu 
den an anderen Instituten mit Recht mehr populär 
zu haltenden Vorträgen, sich scharf innerhalb der 
ihnen durch den Begriff der Sache gesteckten 
Grenzen zu halten haben. Auszugehen ist hier 
nicht von der Betrachtung des Kunstwerkes, sondern 
vom Inbegriffe der Neueren Geschichte und vorn 
Quellenstudium. Erst wenn dafür eine feste 
Grundlage geschaffen, kann zur Anschauung der 
Werke fortgeschritten werden, einem Theile des 
öffentlichen Unterrichtes, dessen Durchführung bei 
einem zahlreicheren Auditorium schwierig, ja fast 
unmöglich ist. Denn man kann höchstens ein 
Dutzend Schüler vor ein Gemälde oder einen 
Stich so stellen, daß die Erklärung in wirklich 
fruchtbarer Weise jedem von ihnen zu Gute 
komme, und es ist etwas anderes, fünfzig oder 
hundert Zuhörer kunsthistorisch nur zu amüsiren, 
als sie so zu unterrichten, daß sie in Betreff des 
Gelernten zur Rechenschaft gezogen (examinirt) 
werden können. 
Weiteres über die Einrichtung dieser Edi 
tionen ist in der „Deutschen Litteraturzeitung" 
vom 3. März mitgetheilt worden; das hier Aus 
gesprochene wurde, als dem engeren Kreise der Ge 
lehrten bekannt, dort fortgelassen. Die Leser der 
„Deutschen Rundschau" haben aus dem Grunde 
aber ein Interesse an diesen Büchern, als 
mancher von ihnen den Wunsch hegen dürfte, aus 
eignen Kräften in die Lectüre der älteren ita 
lienischen Kunsthistoriker einzudringen. Auch für 
stille Studenten dieser Art sind die vorliegenden 
Ausgaben eingerichtet. Sie werden hier und da 
in um so höherem Grade willkommen sein, als 
Ghiberti, Brunelleschi und Donatello die Haupt 
vertreter des Quattrocento sind, für das man 
heute bei uns eine entschiedene und nicht un 
gerechtfertigte Vorliebe hat. 
ßy. William Makepeace Thackeray. Ein 
Pessimist als Dichter. Bon Hermann Con 
rad. Berlin, Georg Reimer. 1887. 
Der Verfasser, welcher erst im Vorjahre ein 
schönes Buch über George Eliot veröffentlicht 
hat, widmet diese Schrift einer ganz anders ge 
arteten, ihm wenig zusagenden Aufgabe. Denn 
der Pessimismus, den er als den Lebenstrieb 
von Thackeray's Erzählungen ansieht, ist eine ihm 
durchaus antipathische Weltanschauung, ec weit 
als seine Neigung zur Eliot und Abneigung 
gegen Thackeray von einander abstehen, soweit 
unterscheiden sich auch die beiden Schriften ihrem 
Werthe nach. Der Verfasser legt diesmal so 
geringes Gewicht auf die historische Auseinander 
setzung mit dem Gegenstände seiner Darstellung, 
daß er das Buch, welches für Thackeray am 
Meisten charakteristisch ist, das im Mittelpunkte 
seiner Lebensarbeit steht und dieselbe nach allen 
Seiten hin beleuchtet, nämlich das Book of Snobs, 
gar nicht bespricht. Es kommt Conrad haupt 
sächlich darauf an, sein Mißvergnügen über die 
Schilderungen englischer Gesellschaft auszusprechen, 
welche in Vanity Fair, Pendennis, The New- 
comes und anderen Erzählungen Thackeray's 
vorliegen. Das gibt dem Essay eine gewisse 
Schiefheit, die durch die warme Anerkennung für 
Henry Esmond u. A. nicht aufgehoben wird. 
Selbst Conrad kann sich der Wirkung einer 
Figur wie Oberst Newcome nicht entziehen, darum 
macht er auch etwas naiv das klägliche und doch 
j so ergreifende Ende des Helden dem Dichter 
zum Vorwurf. Er sieht in Thackeray's Romance 
nur eine einseitige Verzerrung der thatsächlichen 
Zustände, wie sie in einem verbitterten und 
übellaunigen Geiste sich erzeugt. Hingegen möchte 
! Schreiber dieser Zeilen, welcher ein Recht darauf 
hat, sich für einen Optimisten zu halten, allen 
Ernstes fragen, in welcher Ecke eines modernen 
Culturstaates die oberen wohlhabenden Schichten 
der Gesellschaft ein anderes Bild zeigen, als es 
i Thackeray von der englischen entwirft? Man 
: muß die Menschen doch sehr lieben, um ihnen 
einen solchen Spiegel vorzuhalten wie Thackeray 
! thut. Sind wir also mit dem Ausgangspunkte 
sowohl als dem ganzen Verlaufe dieser Cha 
rakteristik Thackeray's nicht einverstanden, halten 
! wir sie für unsachgemäß und verfehlt, so müssen 
wir doch bekennen, daß Conrad's Buck, vortrefflich 
geschrieben ist und sich wirklich sehr angenehm 
liest. Darin ist es sogar dem Werke des Autors 
über George Eliot voraus. 
ßy.. Longfellolv's Dichtungen. Ein lit 
terarisches Zeitbild aus dem Geistesleben Nord 
amerikas von Alexander Baumgartner. 
8. J. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage.
	        

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