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Deutsche Rundschau.
Weisungen bedürfen: Gymnasiasten müssen die
(zuweilen auch ungenügend reproducirten) Bild
werke unverständlich sein. Lasse jeder Lehrer diese
Gelehrsamkeit bei Seite, wenn er Schüler
den Homer lesen läßt. Will man durchaus Ab
bildungen heranziehen, so stelle man in den
Klassen einen guten Abguß eines jener Homer
köpfe auf, die zu den erhabensten Schöpfungen
der alexandrinischen Kunst gehören; und will
man die Gruppe des Meneläos und Patroklos
oder den Discoswerfer zeigen, so sei es nicht in
so schlechten Abbildungen. Im Allgemeinen
werden Flaxmanns Umrisse, die, den begeisterten
Anschauungen unserer eignen Zeit entspringend,
trotz des Jahrhunderts, das zwischen heute und
ihrer Entstehung liegt, nichts an Kraft und In
halt und Wirkung auf die Phantasie verloren
haben, vortreffliche Dienste leisten. Noch besser
die Werke, in denen Carstens und Cornelius
homerische Ereignisse darstellten. — Bepacken
wir die jugendliche Phantasie nicht mit unver
ständlichen und fatalen Anschauungen. Bringe
man den Schülern nicht auf dem Gymnasium
schon einen falschen Begriff dessen bei, was in
den Kunstwerken der Griechen schön und unver
gänglich und unentbehrlich ist. Mit Hülfe dieser
Homertafeln unterrichtete Gymnasiasten werden
später einmal zu denen gehören, die von griechi
scher Kunst und Alterthum verächtlich sprechen
und dazu beitragen, daß die herrlichen Gebilde
der griechischen Blüthezeit verkannt und unter
schätzt werden. Gegen die im begleitenden Texte
enthaltene archäologische Gelehrsamkeit soll mit
diesen Bemerkungen nichts gesagt werden.
fi. Bon New-Pork nach San Francisco.
Tagebuchblätter von I. Hirschberg, M. I).
Professor an der Universität zu Berlin. Leip
zig, Veit & Co. 1888.
Der Westen und Nordwcsten der Vereinigten
Staaten sind für das größere Publicum noch
heut zu Tage mehr oder weniger eine „terra
incognita“. Man kann daher nur mit Freuden
begrüßen, wenn unserer sonst überreichen Litera
tur über Amerika und im Besonderen über die
Vereinigten Staaten eingehende Berichte über
jene in neuester Zeit durch Ansiedelungen und
vor Allem durch den Bau von Eisenbahnen der
Cultur erschlossene Länderstrecken hinzugefügt
werden. Der Verfasser obengenannten Buches
gibt uns in demselben ein gedrängtes, jedoch
klares Bild seiner Reise quer durch die Vereinigten
Staaten, die er bald mit dem sicheren Blick deS
praktischen Reisenden, bald mit dem wissenschaft
lich geschulten Auge des kundigen Naturforschers
beobachtet hat. Hier und da eingestreute, mit
unter eines gewissen Humors nicht entbehrende
Bemerkungen über locale Verhältnisse, sowie die
Beleuchtung wirthschastlicher und financieller Zu
stände. endlich die genauen Angaben über Größe
und Bedeutung der einzelnen Stationen erhöhen
den Werth seines Werkes. Zu bedauern ist, daß
dein Texte nicht einige veranschaulichende Skizzen
und Kärtchen beigegeben worden sind; wogegen
der Verfasser sich ein besonderes Verdienst für
Solche, welche gesonnen sind, seiner Spur zu folgen,
dadurch erworben har, daß er mit peinlicher Sorg
falt in Einzelheiten eingeht, die für den Reisenden
wichtig sind, so z. B. die Einrichtung der Pull-
manwagen, die Verpflegung während der Fahrt,
die Kosten u. s. w. Seine Mittheilungen über
amerikanische Eisenbahnen sind sachlich, wenn
freilich auch nicht mehr neu, wobei übrigens zu
gegeben werden muß, daß sic in einem Buche,
wie das vorliegende, kaum fehlen durften. Sehr
interessant ist seine Beschreibung des National
parks von Aellowstone und der Geyscrbeckcn, wie
auck die Capitel über S. Francisco, die Salz
seestadt, und die Eigenthümlichkeiten der Mor
monen von eingehendem Studium zeugen. Na
mentlich mit Bezug auf Letztere werden Einzelheiten
beigebracht, welche wir in so genauer Darstellung
bisher noch nicht gefunden haben.
q. Freie Bühne für modernes Leben.
Herausgegeben von Otto Brahm. Berlin,
S. Fischer. 1890. I. Heft.
Die neue Kunst- und Geistesrichtung, welche
von der Bühne herab in einer Reihe von Sonn
tagsvorstellungen zu den Mitgliedern eines
Vereins sprach, hat sich hier ein Organ ge
schaffen, welches sich auf alle Gebiete der Lite
ratur erstrecken soll und für ein weiteres Publi
cum bestimmt ist. Wie wir zu dieser Be
wegung stehen, haben wir mehrfach so deutlich
ausgesprochen, daß es hier einer Erörterung dar
über nicht bedarf. Einer intellectuellen Evo
lution gegenüber hat man billiger und ver
nünftigerweise von Synrpathieu oder Anti
pathien abzusehen und sich darauf zu beschrän
ken, den eigenen Standpunkt zu wahren. Mit
diesem Vorbehalt jedoch hindert uns nichts,
weder Ueberzeugung noch Vorurtheil, unserer
Befriedigung darüber Ausdruck zu geben, daß
die Debatte nunmehr aus den trüben Regionen,
in denen sie bisher geführt worden, in die
wirklich literarische Sphäre gehoben ist. Otto
Brahm, der preisgekrönte Verfasser von „Hein
rich von Kleist", der Biograph Schiller's, steht
an der Spitze des Unternehmens, welchem er,
in einem schönen und kräftigen Vorwort, den
Bannerspruch: „Wahrheit" gegeben hat. An dem
ehrlichen Willen des Herausgebers, das Wort
zur That machen zu helfen, zweifeln wir eben
sowenig, als er daran zu zweifeln braucht, daß
wir ehrlich prüfen und, eintretenden Falls, ehr
liche Gegner sein werden. Ludwig Fulda,
der feine Poet, P a u l S ch l e n t h e r, der geistes
scharfe Kritiker der „Vossischen Zeitung", Emil
Schiff, in einem beherzigenswerthen Aufsatz
über „die naturwissenschaftliche Phrase" er
scheinen als Mitarbeiter dieses ersten Heftes,
in welchem wir außerdem eine höchst merk
würdige Studie des Grafen Leo Tolstoi „Was
ist Geld?" finden. Die Production ist vertreten
durch den ersten „Vorgang" einer neuen „Büh
nendichtung": „Das Friedensfest", von Ger-
hart Hauptmann, welcher uns zunächst nur
zeigt, wie weit der Weg von der Theorie zur
Praxis und wie sehr man über das, was „Wahr
heit" ist, verschiedener Meinung sein kann.