© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
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Literarische Rundschau.
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philosophischer Werke mit ihren, dem Text bei
gefügten erläuternden Anmerkungen, die den
Standpunkt des Herausgebers präcisiren und
auch dem, der diesen Standpunkt nicht theilt,
willkommen sein werden, sind längst in weiten
Kreisen rühmlichst bekannt.
ßxtf. Kunstkritische Studien über italie
nische Malerei. Die Galerien Borghese
und Doria Panfili in Rom. Von Ivan
Lermolieff. Mit 62 Abbildungen. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 1890.
Der Verfasser, dessen Name ein Pseudo
nym ist, gilt seit längerer Zeit als ausgezeich
neter Kritiker der europäischen Galerieen. Eben
so bekannt ist, das; er verschiedene Kunstgelehrte,
um ein indifferentes Wort zu brauchen: nicht
mag. Anfangs erweckte diese Gegnerschaft ein ge
wisses Interesse bei den Lesern der Werke Lermo-
liesf's, dann erregte sie Verdruß, und endlich hat
sie zur Folge gehabt, daß man seine neu erschei
nenden Schriften nicht gern in die Hand nimmt.
Seine trockene, fatale Ironie entspricht weder
dem Ernste wissenschaftlicher Forschung noch
dem natürlichen Wunsche, über die Werke großer
Künstler mit unschuldiger, freudiger Begeisterung
reden gu hören. Ein Buch kann noch so geistreich
und gelehrt sein, es darf uns mit keinem un
behaglichen Gefühle erfüllen.
Denen, welche Lermolieff's Schriften kennen,
ist wohl erinnerlich, daß ihm zumal die Herren
Crowe und Cavaleaselle widerwärtig sind. Er
hat sich schon früher in allerlei Tonarten gegen
sie versucht. Wir wollen den Ruhm der beiden
Forscher und Geschichtschreiber nicht dadurch
beeinträchtigen, daß wir sie hier in Schutz nehmen.
Die europäische Kunstwelt ist ihnen Dank schuldig
und hat dies Gefühl nie verleugnet. Greift sie
jetzt ein Italiener an, so ist das desto schlimmer
für ihn. Wenn L. sich C. und C. gegenüber
jedoch einfach als Macht gegen Macht ausspielt,
so waltet hier ein Unterschied, den zu erörtern
angemessen erscheint.
Lermolieff gibt seinem Buche Gespräche zur
Einleitung und Ausleitung, und verleiht ihm
so eine gewisse Einheit. Aber es besteht, gleich den
meisten uns bekannten Arbeiten seiner Feder, aus
einer Aufsammlung zufälliger Gedanken. C. und
C. dagegen behandeln die italienischen Künstler
von einheitlichen, großen Gesichtspunkten aus;
ihr Buch ist ein Stück italienischer Geschichte;
sie beurtheilen die Gemälde als Producte
bedeutender Charaktere und beschreiben sie.
Sie sind positiv schöpferisch zu Werke gegangen.
Sie haben literarische Werthe geschaffen. Um
es zu wiederholen: sie sind Geschichtschreiber.
Leuten, die so ungeheuere Massen von
Stoff zu umfassen, zu ordnen, und zuletzt orga
nisch neu zu beleben hatten, Irrthümer nachzu
weisen, mag ein verdienstliches Beginnen sein,
ist keines aber, das den, der sich dessen unter
fängt, auf gleiche Höhe mit ihnen erhöbe, noch
den Werth der schönen Reihe ihrer Bände irgend
verminderte. Das, was den Erfolg eines echten
positiven Geschichtswerkes bedingt, wird von
boshaften Kritikern entweder nicht berührt oder
nicht gekannt. Zurück- oder Zurechtweisung wäre
hier überflüssig. Aber man will denn doch ein
mal aussprechen, wie die Dinge liegen.
Dagegen muß eine Feindschaft anderer Art
ernster zur Sprache kommen: L.'s Stellung zu
Berlin und Norddeutschland, die ihm ebenfalls
fatal sind. Der von L. gemachte Unterschied
zwischen Berlin sammt Norddeutschland und den
übrigen Theilen unseres gemeinsamen Vaterlandes
zeigt, wie er den veralteten Standpunkt noch
innehält, auf Unfrieden und Eifersucht im eigenen
Hause bei uns zu rechnen. Wer sich mit Kunst
geschichte beschäftigen will, muß mit unschuldiger
Freude an die Dinge herangehen. Und wer
dies als Deutscher thut, wird sich vor bös
artigen Insinuationen, von wo aus sie auch
über die Gebirge importirt werden, zu hüten
wissen.
Das Buch hat 62 Abbildungen, meist im
Facsimiledruck reproducirter Handzeichnungen,
so daß, wo der Verfasser Behauptungen auf
stellt, das Material oft gleich zur Stelle ist.
Besonders interessant sind L.'s Aeußerungen
über Hnndzeichuungen Raphael's, Blätter, die
er zum Theil anderen Meistern zuschreibt. Da
er die Meinungen Anderer bespricht, so ge
winnt der Anfänger zugleich von dieser Seite her
Einblick in das, worauf es bei solchen Streitig
keiten ankommt, und sieht, wie immer wieder
auf das eigene Gefühl als das Entscheidende von
ihm selbst recurrirt werde. Wechselt dieses
„Gefühl", wie nicht selten der Fall ist, so stür
zen die kritischen Luftschlösser zusammen, um
in anderer Gestalt oft sofort wieder aufzustehen.
Diese destruirende und reconstruirende Arbeit
aber ist eine nothwendige. Die Werke der
großen Meister und der von ihnen abhängigen
Arbeiter müssen immer von Neuem in Betracht
gezogen werden, wenn ihre Eigenschaften in
vollem Umfange erkannt werden sollen. Falsche
und richtige Meinungen sind hier beide werth
voll. Der kritische Blick schärst sich. Und was
für den, der sich diesen Bemühungen widmet,
zuerst nur ein persönlicher Vortheil war, kommt
mit der Zeit einem sich stets vergrößernden
Kreise zu Gute. In diesem Sinne ist auch
Lermolieff's mit Scharfsinn geschriebenes Buch
eine Erscheinung, die fördernd wirken wird. Viele
Seiten darin wurden ohne böse Nebengedanken
niedergeschrieben, und man freut sich, hier
mit L. übereinstimmen zu dürfen. So bei
dem, was er S. 251 über den einst in der
Sammlung Borghese sichtbaren Heiligen Stepha
nus des Francesco Francia sagt, dasjenige Werk
des Meisters, das allein die volle Kenntniß
seiner Kunst gewährt und das, in den großen
Untergang so vieler Reichthümer vielleicht bereits
mit hineingerissen, im Palaste Borghese zu
Rom nicht mehr sichtbar ist. „Wenige," sagt
der Verfasser, „hauchen so voll das Arom
jener goldenen Kunstblüthe aus, wie jener
Stephanus."
Warum muß in dem Buche neben so schönen
Sätzen so Widriges stehen?
ßx(p. Raffael-Studien mit besonderer Be
rücksichtigung der Handzeichnungen des Meisters
von vr. W. Koopmann. Mit 36 Abbil
dungen, darunter 21 Abdrücke nach Hand
zeichnungen Raffael's in der Größe der
Originale. Marburg, Elwert'sche Verlags
buchhandlung 1890.