Full text: Rezensionen von Herman Grimm in der Deutschen Rundschau (1881-1890)

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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30 
318 
Deutsche Rundschau. 
Freund des Wahren, Guten, Schönen, ein 
glühender Patriot, selbstlos und charakterfest, 
ebensowohl da, wo er für die Aufklärung stritt 
und in religiösen Dingen so vorurtheilslos sich 
aussprach, daß er wegen Hinneigung zum 
Lutherthum in Untersuchung gezogen ward, 
wie da, wo er, alt geworden, die Herstellung 
des Jesuitenordens für nützlich ansah und seine 
Münchener, welche keinen Protestanten als 
Bürger zulassen wollten, gegen den Vorwurf 
der Unduldsamkeit in Schutz nahm. Wenn hierin 
ein gewisser Wechsel unbestreitbar sich ausdrückt, 
so war er nicht auf Westenrieder's Person be 
schränkt und durch mancherlei, was zwischen 
1780 und 1820 geschehen, wohl begründet. 
Die französische Revolution und das System 
des Ministers Montgelas waren Westenrieder's 
bei aller Aufklärung konservativem und religiö 
sem Wesen so zuwider, daß er ganz von selbst 
einigermaßen in ein anderes Fahrwasser ge 
drängt wurde. Wie sich schon aus diesen Än- 
deutungen ergibt, ist die Schrift nicht bloß 
von Interesse für die, welche Westenrieder (dem 
auf dem Promenadenplatz in München ein Denk 
mal errichtet ist) persönlich kennen lernen wollen: 
Kluckhohn faßt den Mann, wie sich gebührt, im 
Rahmen seiner ganzen Zeit und läßt ihn aus 
derselben hervorwachsen. 
ßX- Benjamin Franklin. By John T. 
"Morse, jr. Boston and New-York, Hougli- 
ton, Mimin and Company. 
Der verdiente Herausgeber der Sammlung 
von Biographien der American Statesmen hat 
in diesem Bande die wenig dankbare Aufgabe 
unternommen, aus den verschiedenen Kreisen 
der fruchtreichen Lebensthätigkeit Benjamin 
Franklin's einen, seine politische Arbeit, 
für sich zu behandeln. Die Schwierigkeit lag 
besonders darin, daß bei dem Sonderzweck des 
Buches jede genauere Darstellung von Franklin's 
Leben und Charakter ausgeschlossen war, indeß 
doch seine Haltung als Politiker von den all 
gemeinen Eigenheiten und Schicksalen der ganzen 
Persönlichkeit bestimmt wurde. So sind denn 
auch die einleitenden Partieen und etliche 
Zwischenstücke ziemlich dürftig ausgefallen. Da 
gegen bietet Morse in den Hauptkapiteln seines 
Werkes eine treffende und klare Schilderung 
von Franklin's schwieriger Wirksamkeit als 
politischer Agent der Kolonien in England und 
als amerikanischer Gesandter in Frankreich und 
stellt den Mann, welchen wir sonst hauptsächlich 
als Popularphilosophen und Erfinder des Blitz 
ableiters zu nennen gewohnt sind, auf ganz 
anderem Gebiete in seinen bedeutenden Eigen 
schaften dar. Dem deutschen Publicum wäre 
also zu empfehlen, daß es von diesem werth 
vollen Buche Kenntniß nähme. 
ßX- The Black Arrow. By Robert Louis 
Stevenson. Tauchnitz Edition 2548. — 
1888. 
Daß Stevenson durch seine vielen, vielen 
Bücher — er ist vierzig Jahre alt und 
wird von einem schweren körperlichen Leiden 
sehr behitldert — seine Gaben der Erfindung 
und Erzählung klärlich bewiesen hat, mag Jeder 
mann gerne zugeben. In der außerordentlichen 
Verbreitung seiner Romane und den bedeuten 
den Einnahmen findet er den Lohn dafür. In 
wie weit diese Gaben bei geringerer Betrieb 
samkeit und größerer Sorgfalt ausgebildet 
werden könnten; ob Stevenson nicht, wenn er 
weniger schriebe, Besseres schriebe, dem dann 
ein bleibender Werth zukäme, das vermögen wir 
nicht zu beurtheilen. Jedenfalls ist er der 
stärkste Sensationalist unter den lebenden eng 
lischen Romanschriftstellern, denn F. I. Fargus 
(Hugh Conway) ist todt und H. Rider Haggard 
steht gegen diesen wie gegen Stevenson zurück. 
„The Black Arrow“ ist wiederum ein Zeugniß 
von Talent, roh und grob wie ein Reu-Ruppiner 
Schlachtenbild älteren Datums, übereilt und 
durcheinander geworfen, mit argen Auswüchsen 
und Fehlern behaftet, aber immerhin spannend. 
Freilich, wie ungemein ist diese Art historischen 
Erzählens von Walter Scott entfernt! Wie 
voll und tief sind bei diesem die Hintergründe, 
welcher Reichthum freiquillenden Stoffes, welche 
Feinheit der Zeichnung, welche Anschaulichkeit! 
Was wir an Scott haben und wie sehr Jeder, 
der auf den historischen Roman ausgeht, vorerst 
und immer wieder Scott studieren müßte, das 
sieht man recht an diesen und ähnlichen Büchern 
Stevenson's, vielleicht nirgends deutlicher als 
in der Erzählung The Master of Ballantrae, 
welche „Scribner's Monthly" eben ihrem Ende 
zuführt. Aber wer nimmt sich heute Zeit, Scott 
zu studieren? 
aß/. A Romance of Two Worlds. By 
Marie Corelli. Tauchnitz Edition. 2549. 
2550. — 1888. 
Diewr Roman ist das Evangelium des 
„elektris in Glaubens". In die Erzählung ge 
spannt u rd eine Theorie vor .etragen, nach welcher 
die Seele als eine Eman .tion der göttlichen, 
alle Welt schaffenden, erfüllenden und zerstö 
renden Elektricität erscheint. Den Gläubigen 
in dieser sichtbaren Welt ist der unmittelbare 
Verkehr mit den elektrischen Potenzen des Uni 
versums möglich. In welcher Weise dieses 
Theorie mit der christlichen Religion sich ver 
knüpft, wie sie ihre Zeugnisse aus dein neuen 
Testament holt, mag man selbst nachlesen. Der 
Erfolg des Buches sowie die der neuen Auslage 
beigegebenen Briefe beweisen, daß die Verfassen» 
Gläubige bereits gefunden hat. Vielleicht ge 
lingt es ihr auch in Deutschland. Jedenfalls 
würde sie das aber nicht ihrer Erzählungskunst 
hauptsächlich zuzuschreiben haben, denn diese 
ist trotz aller Phantastik sehr gering. 
ca. A Dictionary of Music and Musicians 
(A. D. 1450—1889) by eminent writers eng- 
lish and foreign. With Illustrations and 
Woodcuts. Edited by Sir George Grove, 
Director of the Royal College of Music. 
London, Macmillan and Co. 1884—1889. 
Die ersten achtzehn Lieferungen dieses groß 
angelegten Musiklexikons sind bereits bald nach 
ihrem Erscheinen in der „Rundschau" angezeigt 
worden. Mit dem vorliegenden vierten Bande 
ist es abgeschlossen; ein Generalregister soll noch 
nachfolgen. Es ist an dieser Stelle unmöglich, 
von dem reichen, alle Gebiete der Musikwissen 
schaft umfassenden Inhalt dieser Encyklopädie
	        
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