Literarische Notizen.
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ßx(f. Mittheilungen zur Geschichte des
Heidelberger Schlosses. Herausgegeben
vom Heidelberger Schloßverein. Band II,
Heft 4. Mit zwanzig Tafeln. Inhalt: Se
bastian Götz, der Bildhauer des Friedrichs
baues. Von Adolf von Oechelh äuser. —
Heidelberg, Karl Groos. 1890.
Der Inhalt des ersten Bandes, sowie der
früher erschienenen Hefte des zweiten sind auf
der Rückseite des vorliegenden Heftes angegeben.
Die erste Nummer des ersten Bandes war, wie
wir da lesen, das „Klagegedicht über die ge
sprengte Burg und chursächsische Residenz Heidel
berg". Hoffentlich wird sich dieser Lamentation
als Seitenstück nicht später einmal ein „Klage
gesang über die wiederhergestellte Burg" an
schließen, denn der Gedanke, die wundervolle
Ruine wieder in eine moderne Copie dessen zu
verwandeln, was sie einmal gewesen ist, ist
unserem Gefühle nach ein unglücklicher. Zu
diesem Schlosse gehört, daß es in seiner zer
störten Gestalt ein Denkmal der Zeiten bleibe,
die es erlebte. Den Franzosen, wenn sie vom
verlorenen Elsaß reden, soll dieser gesprengte
Thurm gezeigt werden und die Feuersbrunst des
Jahres 1689 ihnen und der Welt für alle Zu
kunft entgegenleuchten. Zu diesen Ruinen hat
die deutsche Jugend der Napoleonischen Zeit
aufgeblickt; sie sind, von der sanften Hand der
versöhnenden Natur mit Baumwuchs überzogen
'tnd geschmückt, eines der beredtesten Bilder
deutscher Geschichte. Glaube die Stadt Heidel
berg ja nicht, der Wiederaufbau des Schlosses
I werde ihr zum Vortheil gereichen. Kahl und correct
' wird der neue Bau besten Falles als ein glücklich
, vollbrachtes Kunststück dastehen, zu dem hinauf-
I zupilgern die Welt weniger als früher für ihre
Pflicht halten dürfte. Unsere Zeit vermag nichts
Lebendiges in vergangenen Stilarten zu er
richten. Diese Steinfiguren, die als Ueberbleibsel
tragisch endender Größe uns historisch anmuthen,
werden wiederhergestellt die deutsche Renaissance,
der sie entsprungen sind, als das erscheinen
lassen, was sie war: als eine liebenswürdige, aber
rohe Nachahmung italienischer Grazie, der sie
in keiner Weise auch nur von ferne nahe kommt.
Freuen wir uns, daß das Heidelberger Schloß,
mit seinen Terrassen, seinen Baumwipfeln, seinem
Hofe, in den der Himmel durch die leeren Fenster
herablacht, den herrlichen Anblick bietet, den
Jeder heute in der Erinnerung von da mitnimmt.
Hier läßt sich nichts thun, als den Gang natür
licher Auflösung so viel als möglich zu verlang
samen, damit dies Gemäuer noch recht vielen
zukünftigen Geschlechtern im Glanze natürlicher,
Gedanken erweckender Verwitterung vor Augen
stehe. Das Heidelberger Schloß sinkt langsam
wieder in die Arme der Natur zurück. Möge der
Himmel die, welche für die geplante Wieder
verjüngung des Baues Gelder zu bewilligen haben,
verhalsstarrigen. Doch vielleicht war diese Oratio
pro äomo unnöthig, und der Plan ist längst
schon wieder aufgegeben worden. In diesem Falle
mögen unsere Worte nur daran erinnern, wel
cher Gefahr die Ruine des Heidelberger Schlosses
seitens der restaurirenden Zerstörungswuth
unserer Zeit einmal ausgesetzt war. Um nicht zu
sagen, unserer Architekten. Die italienischen
Architekten sind es doch wohl, von denen
der Plan ausgeht, die Fayade des Mailänder
Doms, ein großartiges Werk, dessen Besitz und
Erhaltung der Stolz der Stadt sein sollte, durch
eine neue gothische Fayade zu ersetzen, die für
den völlig in die Renaissance übergegangenen
Dom nicht paßt und die unter allen Umständen
mißlingen wird. Und um die neueste geplante
Zerstörung zu erwählten: in Berlin hört man
davon reden, es müsse nothwendigerweise die
Bauschule niedergerissen werden. Schinkel's
originellstes Werk, eine Architektur einzig in
ihrer Art, deren Verlust unersetzlich wäre. Davon
spricht man wie von einer Nebensache. Ganz
Deutschland sollte Einspruch erheben. Die Bau
schule Schinkel's ist eines der kostbarsten archi
tektonischen Monumente, die Berlin besitzt. —
Prof, von Oechelhäuser bringt in seinem
trefflich geschriebeiten Aufsatze einen der Bild
hauer wieder zu Ehren, die an dem äußeren
Schmucke des Friedrichsbaues des Heidelberger
Schlosses thätig gewesen sind, den aus Chur
gebürtigen Sebastian Götz. Das Heidelberger
Schloß ist so recht der Ort, die deutsche Renais
sance zu studiren. Wie sie sich aus directer
Nachahmung des italienischeir Wesens zu eigener
Behandlung der Ornamentik aufarbeitete. Man
könnte den Proceß mit einem langsamen Ueber-
gange aus dem südlichen Marmorstil in den nörd
lichen hölzernen vergleichen. Jinmer bretterner
werden die Flächen, immer starrer die Gesichts
züge. Die italienischen Nachfolger Michelangelo's
schufen ihre Decorationsgötter und Göttinnen und
Heroen und Könige noch wie aus zartem Fasanen
fleisch, die Deutschen bauen sie wie aus Roast
beefmassen aus, während gewaltige Eisenplatten
zu ihren Rüstungen verschmiedet zu sein scheinen.
Man empfindet, wie der Boden unter den
Schritten dieser Sandsteinfürsten gedröhnt habe
und welche Riesenpferde sie getragen haben müssen.
Aber die mächtigen Leiber leben und bewegen
sich, die Fäuste sind erfüllt von Kraft, und ein
gewisser Athem sorglosen Wohlseins umspielt
sie, einerlei, ob die Frühlingssonne sie bescheint,
oder wochenlang der Schnee auf ihnen liegt.
Sie und all' die Zierrathen um sie her bilden ein
lebendiges Ganzes, dem die Verwitterung wohl
thut. Die deutsche Renaissance hat ihre Zeit ge
habt und sollte nicht wieder aufgewärmt werden.
Es bedurfte eines besonderen Schwunges der
Hand für sie, der den Meistern ihrer Zeit eigen
war und der den heutigen fehlt. Weder vorher
noch nachher wußte man bildhauerisch gerade
das hervorzubringen. Man vergleiche mit Meister
Götzen's Fürstenbildern die in ähnlichem Geiste
entstandenen frühesten Jnsprucker Figuren.
Ihnen fehlt noch das der Architektur sich
Anschmiegende. Sie sind groß, aber ermangeln
noch des eigenthümlich Riesenmäßigen, das
Bernini dann zum Uebermenschlichen aus
dehnte. Es ist der Beobachtung würdig, wie
dieser Bombast der europäischen Sculptur sich
später in Frankreich zuerst wieder nach und
nach zurückbildet, um mit der französischen Re
volution endlich zu einfach menschlichen Maßen
wieder zu gelangen. Der letzte Bildhauer, der
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