© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 30
Literarische Notizen.
y. Die deutsche Aesthetik seit Kant. Von
Eduard von Hart mann. Berlin, C.
Dunckcr's Verlag. 1886.
Das vorliegende Werk, welchem später als
systematischer Theil die „Philosophie des Schö
nen" folgen wird, ist aus der richtigen Ueber
zeugung entsprungen, daß es für den Ästhe
tiker^ nothwendig sei, sich zunächst über die lär-
gebnme der Arbeit seiner Vorgänger zu orien-
tiren,zche er sich selber ein System bildet. Der
Verf. hcht diese historisch-kritische Arbeit in erster
Linie int Interesse seines Systems unternommen
und historische Fundamente für sein eigenes
Lehrgebäude gesucht. Der I. Theil seiner „Aesthe
tik" steht im engsten Zusammenhange mit dem
H. Theil, doch hat er auch seine selbständige
Bedeutung >als geschichtliche Darstellung der
Aesthetik, welche alle bisherigen wesentlich er
gänzt und verbessert. Ein besonderes Verdienst
hat sich der Verf. zunächst dadurch erworben,
daß er einige wichtige, in der Geschichte der
Aesthetik bisher ganz unbekannte oder unbeachtete
Aesthetiker der unverdienten Vergessenheit entrissen
hat, nämlich Ast, Trähndorff, Deutinger, Oer-
stedt, Zeising, und diese, sowie auch eine Reihe
bekannter, aber nockt nicht historisch behandelter
Aesthetiker, wie Carrmre, Kirchmann, Lotze, Hor-
wicz, Köstlin, Zimmexmann, Schedler, Fechner u.a.
zum ersten Riale historisch-kritisch darstellt.
Ebenfalls sehr werthvoll ist seine kritische Revision
der schon von Anderen behandelten älteren
Aesthetiker: Schelling, Hegel, Krause, Weiße,
Schopenhauer und Schlriermacher, welche erst
das tiefere Verständniß ihrer Intentionen und
ihrer Stellung in der Geschichte der Aesthetik er
öffnet. Eine wichtige und wesentlich originale Lei
stung des Verf. ist seine Gliederung der Aesthe
tiker nach ihr^n Grundrichtungen.' Er unter
scheidet: Idealismus, Gefühlöästhetik, Formalis
mus und Eklekticismus; sodann wieder abstractcn
und concreten Idealismus und ebenso beim For
malismus. Auf die von ihm Zuerst eingeführte
und nachgewiesene Unterscheidung von abstraktem
(platonischem) und concretem Idealismus ist be
sonderes Gewicht zu legen. Dch Einordnung
der Einzelne;« in diese Richtungen hat allerdings
manche Schwierigkeiten; die neue, Eintheilung
wirft aber andererseits auf viele isiarthieen der
Geschichte der Aesthetik ein neues Licht und er
öffnet vielfach neue Gesichtspunkte Per Beur
theilung. Die Darstellung der Entwicklung dieser
Grundrichtungen, resp. der principiell«! Stand
punkte ihrer Vertreter von Kant an ist die Auf
gabe des I. Buches. Davon getrennt wird die
Entwicklung der Specialprobleme (die Modifika
tionen res Schönen und Fragen der Knnstlehre)
in Form historisch-kritischer Monographsjeen im
II. Buche behandelt. Daß sich der Verf. auf die
Aesthetiker von principieller Bedeutung beschränkt,
ist ganz berechtigt; immerhin vermissen wir aber
un I. Buch Fries und Griepenkerl, im II. Buch
bei der Architektur G. Semper, Adamy und
Maertens, bei der Musik Wallaschek. — stillt
congenialem Verständniß weiß er die Intentionen
der schwierigsten Denker herauszuarbeiten lind
oft vollkommener darzulegen als jene selöer
(z. B. bei Hegel und Trahndorfs). Nicht gatzz
befriedigend sind nur die Abschnitte über Her'baH
und Zimmcrmann; von ersterem ist die „Encyklo-
! pädie d. Philos.", von letzterem dhe „Anthropo
sophie" nicht berücksichtigt. Die/Beurtheilung
Vischels und Lotze's ist mindestens nicht wohl-
1 wollend^- Der Schwerpunkt dB ganzen Werkes
liegt in d^Kritik, sie zeigt jene'Bestimmtheit und
Entschiedenheit, die auf dem Grunde eines selbst
ständigen, schalki ausgeprägten Systems erwächst.
Dieses System Mr concrjrte Idealismus) liefert
dem Verf. den MMtab /zur Beurtheilung, und
aus ihm schöpft er die Ergänzungen und Cor-
recturen. Daß die Äl^swahl der Stellen und
die Interpretation manchnml zu Gunsten seines
Systems vorgenommen wwd, ist nicht zu ver
kennen. Andererseits hat abep der Verf. nach
gewiesen, daß seit! Standpunkt ßtzr vorherrschen
den Tendenz der bisherigen deutschen Aesthetik
entspricht und gewissermaßen in der ^pnsequenz
ihrer Entwicklung liegt. Um über das^ystem
selbst zu Urtheilen, müssen wir das Erscheinen
des II. Theiles abwarten.
I Friedrich Overbeck. Sein Leben und
Schaffen. Nach seinen Briefen und andern
Documenten des handschriftlichen Nachlasses
geschildert vonMargaretHowitt. Heraus
gegeben von Franz Binder. In zwei
Bänden. Freiburg, Herder'sche Verlags
handlung. 1886.
Overbeck hatte nach dem Tode seiner Frau
den Bildhauer Hofmann mit dessen Frau und
Kindern durch Adoption so eng mit sich ver
bunden, daß diese Familie als die seiuige galt und
daß nach seinem Tode die von ihm hinterlassenen
Materialien für eine Biographie in deren Hände
kamen. Eine englische Schriftstellerin, Margaret
Howitt, übernahm die Arbeit, und das so ent
standene englische Buch wurde von Franz Binder
ins Deutsche übertragen, derart jedoch, daß dem
Uebersetzer alle Papiere mitgetheilt wurden und
er die Origiualbelege zum Abdrucke bringen
konnte. Auf Abfassung solcher Biographien ist
man in England wohlgeübt, pflegt aber einer
gewissen Breite und Unübersichtlichkeit zu ver
fallen, die auch hier sich bemerklich macht.
Einer eiugehendern Besprechung des Buches,
wie wir sie hier jedoch nicht zu geben beabsich
tigen , würde die folgende Disposition sich etwa
aufdrängen. 1. Kurzer Bericht über die äußere
LebenSsührungOverbcck's,wie sie nun sich darstellt.
2. Hervorhebung der zu berichtigenden Thatsachen,
d. h. Darlegung, wie früher ungenau Bekanntes,
nun erscheine, 3. Beschreibung der Hauptwerke und
der Stellung Overbcck's zur gesammten deutschen
Kunstentwicklung, ein Punkt, der um so wichtiger '
wäre, als das Buch nichts darüber sagt. Do
gearbeitet würde eine Recension der beiden Bände
Stoff für einen hübschen Aufsatz geben. Allein
Jeder, der das Buch gelesen hätte, würde sich dann
sagen, es sei bei dieser Behandlung Etwas aus
gelassen worden, was sowohl der Verfasserin
als dem Uebersetzer Hauptsache war: die auf
Religion bezüglichen Mittheilungen, welche darin
enthalten sind. Weder übergehen noch objectiv
lvürde dieses Eleinent sich behandeln lassen, und
darin liegt der Grund, weshalb wir für die
„Deutsche Rundschau" von einer eingehenderen
Besprechung Abstand nehmen, und uns auf
Angabe dessen beschränken, was uns nach der
Lectüre des Buches als deren Resultat zurückblieb.
I. Overbcck's Lebenslauf war ein so einheitS-
'K