aus
: deutsche Rundschau, 1887, Jun. 10
5. Garlieb Merkel über Deutschland zur
Schiller Goethe - Zeit. Bon Julius
Eckardl. Berlin, Gemüter Paetel. lb87.
Das Publicum hat die Reigung, die Lei
stungen großer D.Lauer zum Theil auf Rech
nung eines gewissen anregenden cseisteö zu fetzen,
ats dessen Träger die „Zellen" angesehen werben,
unter deren Einflüße ihre Werke geschallen wer
den. Wir meinen, wenn nur Schiller gelegentlich
über das „elende Publicum" icmcr Lage klagen
Horen, eü tür.e darin wobt nur der Autzbruch
übeririebener böser Stimmung gesehen werden,
die zusällig einmal bei tum die Oberhand ge
wann. Bücher wie das vorliegende sind werth-
volles Material, d e Beschaffenheit solcher Zellen
einmal u eonstatiren, nüchtern und kahl die Tage
zu schildern, unter deren Drucke man u>n Jbuo
in Deutschland und speciell in Weimar ledre.
Ein Repräsentant jener unverschämten Classe
überall unzu'lüdener Leute, die, wahrend und
weil sie selbst N'chts leisten, Andere unbefangen
zu critisireu sich heransirchnicu, teilt u. S in
Earllcb Merkel entgegen. Wir beurtheilen ihli
wohl seinem eigenen Gefühle nach nicht un
gerecht, wenn wir ron ihn, sagen, daß er sich
siolz gefühlt haben würde, grleg'Utlich als seinem
Laudemanne Äotzebue ebenbürtig angesehen zu
werden.
Es ist cultnrgeschichtlich von Wichtigkeit,
die Stimmen aiich solcher R Präsentanten des
zeitgenössischen Leben-' zu vernehmen. Hier sehen
wir, in welchem Lirl e Goeihe Bielen erschien,
d>e zu berücksichtigen ihm die Zeit und. wie wir
ihm n chc oerdeilken, auch die Laune fehlte. Herr
Garlieb Merkel, der, wir seine eigenen Auf
zeichnungen darthun, i ur geringes Wissen und
nicht einmal die Fäh gk it besag, seiner an-
gebo enen Llalice futiii. euren Ausdruck zu ver
leihen, fetzt sich in We>mar fest, beobachtet und
schreibt. Zudem er seine arg-borcue Armselig
keit fühlt und sich dagegen empört, nichts zu sein
und n chls zu können. versucht er Aiidern die
Schuld aufzubürden und läßt schließlich Berichte
über dieses vergebliche Ringrn mir dem Schicksal
gedruckt erscheinen. AuS Merkel's Schriften hat
E^ardt das vorliegende kleine Buch zusammen
gesetzt lar steht man. w e wenig Goethe und
den Lei len eine Hingebung bot,' über die er
sich bis zum Bergesfen ihres Vorhandenseins er
heben mußte. Wer, der Goethe'S und Lchiller's
Briese liest, möchie au h nur ahnen, welcher Be
schaffenheit die Menschen zum großen Theil
waren, in deren Mitte uub sich auidringendcm
3 crkebre mau in B eimar fiel) bewegte. Wie
einsam ragten diese b-itun auö einem Gewirre
von Menschen dritten und vierten Ranges hervor.
_ Interessai t ist eine Stelle des BuchcS,
S. II", an der Merkel daun doch zu Goethe's
Lobredner wird.
„In einem Gespräche mit Goethe warf Falk
die Frage aus: ^.s Wieland'S Seele jetzt wohl
vornehmen möge. Goethe antwortet: „Richcs
Lleincs, nichts Unwürdiges, nichts mit der sitt
lichen Größe.' die er sein ganzes Leben hindurch
behauplete, Unverträgliches. Es ist etwas um
ein achtzig Jahr lang durchaus würdig und
rühmlich geführtes Lrben; es ist «was um die
Erlangung io zarter Gesinnungen, wie sie in
Wieland's Seele so angenehm vorherrschten; es
ist etwas um diesen Fleiß, um diese eiserne Be
harrlichkeit und Ailtziaucr, worin er uns Alle
mit einander übertraf." Weiterhin, als von der
Foribildung der Monaden der Seele die Rede
war, sagte er sogar: „Ich würde mich so wenig
wundern, daß ich es sogar meinen Ansichten
völlig gemäß finden müßte, wenn ich einst diesem
Wieland alö einer WcUmonade, einem Stern
erster Größe nach Jahrtausenden wieder begeg
nete und sähe und Zeuge davon wäre, wie er
mit seinem lieblichen Lichte Alles, was irgend
nahe käine, erquickte und aufheiterte.
das nebethaste Wesen irgeiid eines
Licht und Klarheit zu erfass?!'
für die Lion ade unseres Wielcu.
liche Ausgabe zu nennen."
„Diese Anerkennung von Wieland'« jvh
Werthe ist schön und wahr. Sie stimmt nn»
den Ermahnungen überein, die Goethe seinen
alles Andere ankläffenden Anbetern oft zurief,
wenn sie auch Wieland anfielen: „Laßt mir den
alten würdigen Herrn in Ruhe!" Ich will sie
oamit erwidern, daß ich keines der sehr bitteren
Urtheile anführen will, die Wieland unter vier
Augen zuweilen entfielen. Es sei dem Leser
überlassen, zu unterscheiden, welcher von den
Lobsprüchen, die Göthe hier auSsprach, ihm selber
und seinem Lebensgange gebühre."
Die Schrift enihätt manches andere inter
essante Detail über Hcrder's, Goethe's und
Wieland's Zusammenleben, oder, um cs richtiger
zu sagen, über ihr Nebeneinaliderexisnecen ttt
Weimar und über die. welche an diesem Dasein
belheiligt waren. Sie wird innerhalb der
Goethelileraiur, an bestininuer Stelle, ihren
Platz behaupten.