© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 29
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Unsere Ausstellungen haben ihr eigentliches Interesse verloren. Es würde
keinen Zweck haben, diese Fülle zufällig sich aneinanderreihender Werke zu classi-
siciren. als repräsentirien sie etwas Festes, wie den allgemeinen Fortschritt oder die
Production der einzelnen Meister. Unser berühmtester Porträtmaler z. B. hatte zwei
sehr interessante Stücke ausgestellt, ohne Zweifel aber andere nebenbei vollendet, welche
vielleicht noch interessanter gewesen wären. Menzel hatte eine kleine Aquarelle gegeben,
die als Hauptperson ein paar unserer modernen Menschen auf's Geistreichste von der
Kehrseite zeigt; bei alledem doch wol nur ein beiläufiges, mehr zufälliges Specimcn
seiner reichen Thätigkeit, von der wir übrigens hier nichts gewahren. Dasselbe mag von
Passini gelten. Alma Tadema hatte ein paar kleinere Sachen mitgetheilt, deren Werth
Niemand verkennen wird, die sicherlich aber nicht die Blüthe seiner jetzigen Thätigkeit
repräsentirien. Dasselbe darf von unsern ersten deutschen Landschaftern gelten, an deren
Arbeiten man ja stets seine Freude und sein Behagen hat. Die diesmal ausgestellten
Gemälde waren weder in der Stimmung noch in der Wahl der Gegenstände so durch
aus neu, daß sich einem treue Gedanken über ihre Meister dabei aufdrängten.
Vor dreißig, vierzig Jahren gaben unsere Ausstellungen immer wieder zu der
Klage Anlaß, daß aus Mangel an technischer Vorbereitung die besten Gedanken nicht
zur Geltüng gebracht werden könnten. Man sah die Künstler sich abquälen und
wünschte Zeiten herbei, in denen Maler wirklich zu malen verstanden. Diese Zeiten
sind gekommen. Die guten Gedanken aber scheinen seltener geworden zu sein. Wir
haben diese Bemerkung von vielen Seiten gehört.
Makart ist einer unserer populärsten Künstler und der Verkauf von Photo
graphien nach seinen Werken mag sich etwa auf das belaufen, was vor seinen Zeiten
von Kaulbach'schen Werken so vertäust worden ist. Er unterscheidet sich von Kaul-
bach durch die Natürlichkeit und die Gutmüthigkeit. mit der er schafft. Kaulbackfis
Sachen machten niemals warm, Makart strömt eine natürliche Lebenswärme aus.
Vor seinen Gemälden ergreift es uns als wären wir in einem Theater, wo man
Bravo, Bravissimo, Dacapo schreit und herausruft und der allgemeine Jubel von der
kritischen Betrachtung des Stückes absehen läßt, oder in einen Tanzsaal, wo im
parfümirten Dunste glänzende Schultern an uns vorüberfliegen und die Gewänder
hinterher.
Makart erlebt wirklich was er darstellt, es wird nicht blos Ateliergespenster
wie die Kaulbach's. Makart hat offenbar die größte Freude an seinen Gestalten
und verkehrt mit ihnen ausis intimste. Indessen, es ist nachträglich ein Aber dabei.
Wenn Makart Palmen malt, so sind es wirkliche Palmen, aber zugleich doch
wieder solche, die in Treibhäusern wohnen und wo sie sind, nur auf Besuch sind.
Hochzeits- und Jubiläums-, Braten- und Champagnerpalmen. Der Wald, aus dem
Diana mit ihren Nymphen hervorbricht, oder der für die „fünf Sinne" als Hinter
grund diente, wird nach geleisteten Diensten sorgfältig wieder auseinandergenommen
und in die betreffenden Standquartiere abgefahren. Der Einzug Karlls in Ant
werpen besteht aus modernen Grafen, Banquiers, Schauspielern und anderen Freun
den oder Protectoren des Künstlers, die, wenn alles aus ist, in moderner Behaglichkeit
ihre Cigarre oder Cigarette rauchen. Kaiser Karl, Dürer, Hellebardiere, nackte Leib
garde, zuschauende Damen und Cardinäle: sämmtlich sitzen sie zusammeit und thun
sich an derselben Sorte Bier ihr bene. Gerade das aber ist Makart's Werken zu Gute
gekoinmcn. Er schafft aus dem Geiste des neuesten Tages. Wir sind wirklich daran
gewöhnt, unsere Palmen nur als bewegliche Dekorationen und die Tracht früherer
Zeiten als historisches Amüsement anzusehn. Man lege uns diese Bemerkungen
ja nicht als Tadel aus. Auch die Meister des Quattrocento hatten in den Städten
die großen Aufzüge vor Augen, mit denen die kirchlichen Feste gefeiert werden.
Da stellte man in Cavalcade der heiligen drei Könige, den Zug nach Golgatha,
oder andere Momente der heiligen Geschichte dar. Wie die Maler damals diese
Scenen sahen, malten sie sie, und Jedermann war damit einverstanden. Wir
heute wieder sehen die Historie der früheren Jahrhunderte am leibhaftigsten auf
dem Theater oder bei den öffentlichen Aufzügen,' wo vom Kaiser bis zum Küchen
jungen alles handgreiflich und appetitlich vor uns vorbeizieht. Wir haben nichts
dagegen, diese Figuren auf unseren historischen Gemälden wiederzufinden. Was gehn
uns heute noch Diana und ihre Nymphen an? Die Zeiten der archäologischen Be
zauberung sind vorüber. Sobald das Publicum sieht, daß diese mythologischen Damen
Fleisch von seinem Fleische seien, entsteht wieder ein natürliches Verwandtschaftliches
Interesse. Manche schöne Beschauerin denkt, so würdest auch du aussehen, wenn es
erlaubt wäre, hier mitzujagen. Und sehnt sich mit gerechter Wehmuth nach den
Zeiten der Mythologie zurück. Es wäre Unrecht, einem Künstler, der aus diesem
Wege so große allgemeine Zufriedenheit erregt, mit Bedenken beschwerlich zu fallen.
Um so unrechter, als wir in der Jagd der Diana einen bedeutenden Fortschritt
erblicken. Makart stellt zum erstenmale wirkliche Handlung vor. Schon beim Ein
züge Karlls erfreute, daß dieser glänzende Zug uns wirklich langsam entgegenkommt.
So wälzen sich Massen bei öffentlichen Festen durch die Straßen. Seine Diana
bricht mit überzeugender jägerischer Wuth aus dem Walde hervor und will den Hirsch
bis in's Meer hinein verfolgen, dessen Nymphen sich mit aufgehobenen Händen
zwischen sie und ihre Beute werfen.. Auf dem ersten Blick verständlich, eine
zusammengehende Composition, ein Stück verkörperter Frühlingssturm, wie Rubens
deren unendliche gemalt hat.