© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 29
aus :
Nationalzeitung-
Morgenausgabe ,Nr•617
1891,Nov. 6, S. 3
c Kunstgeschichte an unseren Hochschulen,
ngnft Schmarsow. (Berlin. Georg Reimer. 1891.)
Schmarsow behandelt in den drei Abtheilungen seiner Schrift
„Die gegenwärtige Lage der Kunstgeschichte an unseren Hoch
schulen", „Das Studium der Kunstgeschichte" und „Kunst
verständniß und ästhetische Erziehung". Seine Erörterungen
theilen in gemäßigtem Tone die Erfahrungen und Wünsche eines
an verschiedenen Universitäten bereits heimisch gewordenen Pro
fessors der Neueren Kunstgeschichte mit. Kraus', Justi's,
Springer's, Dobbert's und Anderer, die auf diesem Felde
praktisch thätig sind oder gewesen sittd, Meinungen werden in
oft längeren Citaten herangezogen, auch auf das, was ich ge
legentlich gesagt habe, ist Rücksicht genommen worden.
Hierzu bemerke ich Folgendes. Vor etwa anderthalb Jahren
hatte ich den Versuch, die Behandlung der Neueren Kunstgeschichte
auf der Berliner Universität zum Gegenstände öffentlicher Be
sprechung zu macken, in den Spalten der „Nationalzeitung" zurück
gewiesen (20- März 1890, Morgennummer), Schmarsow kommt
hierauf zurück, spricht von einem „Ernste der Lage" und meint,
es sei geboten, Partei zu ergreifen. Ein Ernst der Lage hat
weder damals bestanden, noch besteht er heute. Das Nöthige
ist ausgesprochen worden, der Aufsatz hat gute Folgen gehabt und
Nichts zurückgelassen, was heute noch auszugleichen wäre. Die
Königlichen Museen fahren bereitwillig fort, soweit die
Prinzipien, nach denen sie verwaltet werden, es ge
statten, ihre Bestände für die an der königlichen Uni
versität zn haltenden Vorlesungen zur Verfügung zu stellen,
und wenn meinerseits an dem Wunsche, es möge für den Kunst
unterricht ein besonderes „Lehrmuseum" geschaffen werden, fest
gehalten wird, so weiß jeder Kundige, daß dieses Lehrmuseum
Werke enthalten soll. deren Erwerb und Aufstellung für die
königlichen.Museen eine Unmöglichkeit wäre. Daß der jetzt in
einem vorzüglich dafür eingerichteten Raume der königlichen
Universität untergebrachte kunsthistorische Apparat noch nicht
alles Nöthige enthalte, versteht sich bei der Jugend des Instituts
von selbst. Bisher sind die Lücken jedoch nie empfindlich gewesen,
da nicht sowohl die Professoren aus ihrem eigenen Besitze das
Fehlende stillschweigend zulegten, als besonders da die Kunst
handlung von Amsler und Nuthardt ihre nun seit zwanzig
Jahren geübte Praxis weiter führt, alles irgend zum Zwecke
der Vorlesungen Wünschenswertste, darunter kostbare Blätter,
in die Universität zn schicken und wieder abholen zu lassen, ohne
etwas Anderes als meinen persönlichen Dank dafür zn erwarten.
Ueber den Inhalt dieser Vorlesungen scheint Professor
Schmarsow nicht hinreichend unterrichtet. Sie umfassen jedes
Studienjahr den ganzen Umfang der Neueren Kunstgeschichte.
Schmarsow citirt eine meiner Aeußerungen über den Werth des
Quattrocento für das beginnende Studium der Neueren Kunst
geschichte. Meine Meinung, daß die Ueberschätzung der Werke
des Quattrocento nicht bestehen werde, könnte den Schluß erlauben,
als werde diese Epoche beim öffentlichen Unterrichte vernach
lässigt. Dies ist nickt der Fall. Professor Frey zumal macht
sie, wie in diesem Winter z. B., zum Gegenstände besonderer
Vorlesungen, deren Erfolg das hier sehr reiche Material der
königlichen Museen begünstigt. Vorlesungen über Aesthetik hält,
wie der Lektionskataloa gleichfalls besagt, Herr vr. Döring.
Professor Schmarsow's Schrift geht davon aus, daß auf
dem Gebiete der Neueren Kunstgeschichte sich Parteien gegen
überstehen. In vielen Wissenschaften ist dies der Fall. Ueberall
sehen wir Aeitere, die in ihren Stellungen verharrend an ge
formten Meinungen festhalten, und Jüngere, die die ihrigen
dagegen emporbringen wollen. Es fragt sich nun, ob diese Be
wegung die Dinge fördert oder sie hemmt. Ohne Zweifel kommen
wir in Deutschland vorwärts. Der Werth derNenerenKunstgeschichte
für die Erziehung der jüngeren Generation wird immer voller
anerkannt, die Güte der Publikationen steigt und der Eifer
und die Theilnahme der Studirenden wachsen. Meine Thätig
keit als Lehrer ist eine für niich erfreuliche.
Das aber wird mir freilich immer klarer, daß die Neuere
Kunstgeschichte für das Universitätsstudium nur als
historisches Nebenfach gelten dürfe. Den „knnsthistorischen
Doktor" angehend, bestätigt sich in einzelnen Fällen die Berechti
gung des guten Rathes, den ich zu geben pflege: lieber den
„historischen Doktor" zn machen und sich in Neuerer Kunst
geschichte als Nebenfach examiniren zu lassen. Die Neuere
Kunstgeschichte verliert hierbei nicht an Würdigkeit, denn
es hängt von den jungen Leuten allein ab, wie
ernst sie sie studiren wollen. Es handelt sich viel
mehr nur darum, daß die Neuere Kunstgeschichte als Hauptfach
den Lcbensanfänger für feine spätere Laufbahn in hohem Maße
beschränkt, während ein junger Doktor der Geschichte viele
Karrieren vor sich hat, aus denen er immer in die Neuere Kunst
geschichte einlenken kann.