Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Kunstgeschichte, -ausstellungen und -sammlungen

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N 
A 
aus 
Nationalzeitung- Morgehausgahe,Nr. 167 
1890, Mrz.20, S.1-2 
Die Neuere Kunstgeschichte auf der Berliner 
Universität. 
Im Märzhefte der „Preußischen Jahrbücher" rezcnsirt 
W. Bode daS neuerdings erschienene Buch „Rembrandt als 
Erzieher. Von einem Deutschen." Der Verfasser desselben 
nennt sich nicht und ist nicht bekannt. Er bespricht, man darf 
wohl sagen, Alles was den interessirt, der im Leben des Tages 
drinsteht, schreibt flüssig und geistreich, sagt Vieles, womit Jeder 
mann einverstanden sein dürfte, und formnlirt gewiß eine 
Menge von Gedanken, die Mancher hegte ohne sie mitzutheilen. 
Allein der Autor dieser Betrachtungen scheint mehr gesehen, 
empfunden und gedacht als gethan zu haben. Auch 
ist er, sein so guter Deutscher er sein mag, ein schlechter 
Berliner, und besonders die Berliner Gelehrten mag er nicht. 
Seite 102 lesen wir: „Wie es überhaupt keine -Persönlichkeit 
giebt, welche dem echten Künstler mehr entgegengesetzt ist, als 
der echte Professor, so giebt es wohl keinen größeren Gegensatz 
?u dem typischen Berliner Professor als den typischen nieder 
ländischen Maler von einst. Dort geistige Gebundenheit, kühle 
Kritik, kennerhaftes Nückwärtsblicken; 'hier geistige Freiheit, 
irisches pulsirendes Leben, mannhaftes Umsichblicken; hier der 
Homunculus in und neben seiner Retorte; dort der Mensch,! 
welcher der Welt schöpferisch gegenübersteht." re. Eine 
ähnliche Aeußerung S. 251: „Je planmäßiger, auf Grund 
der gegebenen Verhältnisse und vorhandenen geistigen 
Faktoren, eine deutsche Knnstpolitik betrieben wird, desto bessere 
Erfolge wird sie aufzuweisen haben. Professoren und Musial» 
beamte können in der Regel wenig dafür thun; denn sie blicken 
mehr rückwärts als vorwärts; sie sind überwiegend die Opfer 
einer falschen Bildung und können darum nickt Priester einer 
neuen Bildung sein. Eine Bildung kann nicht gelehrt werden, 
sie muß gelebt werden. Erziehung und Unterricht sind zweier 
lei; daö deutsche Volk ist schon viel zu viel unterrichtet: es will 
erzogen sein. Die rationelle Bewirthschaftung des geistigen 
Gesammtkapitals einer Nation ist für diese selbst von leben 
entscheidender Bedeutung." So etwa 300 Seiten lang. 
Diesem Buche nun ist das Wohlgefallen der „Preußisch.« 
<^rbücher" zu Theil geworden und das Märzheft bespricht es. 
W. Bode referirt aber nicht blos, sondern führt Einzelnes 
aus eigener Kenntniß weiter ans und zumal den Inhalt der 
beiden abgedruckten Stellen, denen sich gleichlautende andern 
ähnlichen Inhaltes wohl noch anschließen. Er sagt darüber, 
S. 311: 
„Bei seinen eingehenden Betrachtungen über unsere Vor 
bildung zu den Berufsarten auf den Universitäten und Akademien 
prüft der Verfasser wiederholt auch die Frage der Erziehung 
zu in Kunststudium und zur Kunst. Sein Urtheil ist hier durch 
weg ein sehr abfälliges; doch geht er dabei, wie überhaupt nur 
ausnahmsweise in seinem Buche, aus die Frage nach Weg und 
Mitteln zur Aenderung nicht ein. Auch hier liegt heute der 
schwerste Uebelstand in dem Zuviel des Guten, in der Ueber- 
schwemmung mit „Spezialisten", denen es an größeren Gesichts 
punkten, an wirklichem Kunstsinn und Geschmack nur gar zu oft 
mangelt. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es keinen einzigen 
Lehrstuhl der Kunstgeschichte, und heute hat fast jede unserer 
Universitäten einen, Berlin sogar zwei Professoren der Kunst 
geschichte, und die Kunstakademien und Politechniken sind den 
Universitäten gefolgt, wenn nicht vorangegangen. Diese Stellen 
sind jetzt fast ausnahmslos durch „Fachmänner" besetzt; ihr 
Streben nnd ihren Stolz setzen wenigstens die Dozenten an 
der Universität darin, wieder Fachmänner auszubilden: 
so werden jährlich Dutzende von Spezialisten in Kunst 
geschichte aut unseren Universitäten groß gezogen, von denen 
kaum für den zehnten Theil eine Verwendung im prak 
tischen Leben vorhanden ist, ganz abgesehen davon, daß den 
selben für die Stellungen an den Museen noch immer 
durch Künstler, Archäologen, Architekten u. f. s. die gefährlichste 
Konkurrenz gemacht wird. Die letzten Bewerbungen um der 
artige Stellen, namentlich für die Museen in Frankfurt, Han 
nover und Köln waren dafür sehr bezeichnend; in Köln hatten 
sich z. B. nicht weniger als sechzig Bewerber für die Direktion 
des Wallraf-Richartz-Museums angemeldet, von denen schließlich 
zwei reine Archäologen auf die engere Wahl kamen. Auch 
i einmal ein Lehrstuhl für Kunstgeschichte zu besetzen ist, 
nur 
wenn 
steht es mit dem Andränge der Bewerber und d.r Schwierigkeit 
auch nur Einen Passenden darunter zu finden, nicht viel anders. 
Die Frage liegt daher sehr nahe, ob wir recht thun, ein Fach 
wie die Kunstgeschichte in der Weise aus den Universitäten u.no
	        
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