© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Seiner Lordschaft war einmal durchkreuzt, und so ließ er
seiner Laune freien Lauf. Ich nahm dieß damals für
ein Zeichen von Einfachheit und Aufrichtigkeit, geblen
det vielleicht von der Schmeichelei, die darin für mich
lag; aber meine Frau hatte Recht: Byrons Wesen be
stand von Anfang an aus jener Mischung einnehmen
der und abstoßender Eigenschaften, welche ich nachher
nur zu viel Gelegenheit hatte kennen zu lernen."
Aus der Zeit jener ersten Bekanntschaft erzählt
Hunt weiter, der Lord habe ihn öfters im Gefängniß
besucht und ihm Bücher für die „Geschichte von Rimini"
gebracht, an der er damals geschrieben; er habe die
selben nicht durch den Bedienten herein tragen lassen,
sondern sey selbst gekommen mit ein paar Quartanten
unter dem Arm, um zu verstehen zu geben, daß er sich
stolzer fühle, ein Freund und ein Mann der Wissenschaft
zu seyn, als ein Lord. Später aber sey er zu der
Ueberzeugung gekommen, Byron könne die Bücher nicht
selbst gebracht haben, so daß ihn jemand dabei sehen
konnte. „Sein Bedienter muß ste ihm bis an die Thüre
getragen haben." „So schmeichelte er der Eitelkeit an
derer, um glauben zu machen, daß er selbst frei davon
sey; denn er konnte wohl sehen, daß ich mir von ei
nem Lord weit mehr imponiren ließ, als ich mir selbst
gestehen wollte."
Mit der Vortheilhaften Meinung, die Hunt an
fänglich von Byrons Charakter hatte, stimmt die Schil
derung überein, die er aus der damaligen Zeit von
seinem Aeußern gibt. „Seine Erscheinung war damals
vortheilhafter als zu irgend einer andern Zeit, da ich
ihn kannte, um vieles vortheilhafter als nachher, da
er sich im Ausland aufhielt. Er war stärker als vor
seiner Heirath, doch nicht mehr, als zu einem voll
kommen männlichen Aussehen nöthig war. In seiner
ganzen Haltung, namentlich in der des Kopfs, lag so
viel Geist und Hoheit, wenn gleich nicht ohne eine
Beimischung von Unruhe, und alles dieß gab ihm ein
so edles Aussehen, wie ich nie vor oder nachher an
ihm sah. Sein Anzug, schwarz mit weißen Beinklei
dern, der Rock ganz zugeknöpft, vollendete das Nette
und Kräftige seiner Erscheinung."
Ganz anders war sein Aussehen, als sie in Ita
lien wieder zusammen trafen. „Ich kannte ihn kaum,
so stark war er geworden, und er brauchte noch länger,
um mich zu erkennen, da ich um so viel magerer ge
worden war. Er war gekleidet in eine weite Nanking
jacke und weiße Beinkleider, das Halstuch lose umge
schlungen und das Haar in kärglichen Locken um den
Nacken, die Ueberbleibsel desselben überdieß auf's sorg
fältigste gewickelt und eingeölt wie ein Sardanapal.
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Alles dieß gewährte einen ganz andern Anblick als die
gedrungene, energische Person mit dem Lockenkopf, die
ich in England gekannt hatte."
Mit diesen Bemerkungen über seine äußere Erschei
nung überhaupt verbindet sich am passendsten, was Hunt
über die Schönheit des Gesichts sagt, wegen der Byron
bekanntlich berühmt war. Er sagt: „Sein Gesicht war
schön, ausgezeichnet schön in mancher Hinsicht. Er
hatte Mund und Kinn wie von einem Apoll, und als
ich ihn zuerst kennen lernte, drückte seine ganze Er
scheinung Leichtigkeit und Energie zugleich aus. Die
Veränderungen jedoch, die das Alter hervorbrachte,
waren für sein Gesicht nicht Vortheilhaft, und es hatte
überhaupt einige Fehler. Der Kinnbacken war zu stark
für den oberen Theil des Kopfes; in diesem Verhältniß
lag die ganze Willkür eines Despoten. Das Sinnliche
hatte das Uebergewicht über den intellektuellen Theil in
demselben Verhältniß, in welchem das Gesicht zu groß
war für den Schädel. Eben so standen die Augen zu
nahe bei einander und die Nase, obgleich an sich schön,
sah, en face betrachtet, eher aus, wie wenn sie in das
Gesicht eingesezt, als aus demselben heraus gewachsen
wäre."
Wie seinem Aeußern, so thaten die fortschreitenden
Jahre auch seinem Charakter nicht gut. Die Richtung
desselben war Materialismus und Egoismus; was Hö- '
heres und Edleres an ihm gewesen, war untergegangen
über der genaueren Bekanntschaft mit dem Schlechtesten,
was am Menschen ist. Er ließ sich von allen leiten,
die gerade um ihn waren; Schmeichelei hatte alles ver
dorben und eine Eisrinde um ihn gezogen, so daß nichts
übrig blieb als der Witz der Verzweiflung. Um lästigen
Gedanken zu entgehen, nahm er seine Zuflucht zu Sar
kasmen, zu Lappalien und Modespielereien. Nicht nur
seiner Umgebung gestattete er einen solchen Einfluß,
sondern er stand unter der Einwirkung einer Menge von
äußern Eindrücken der geringfügigsten Art. Er konnte
diesem zustimmen und etwas anderes vorschlagen aus
bloßem Wankelmuth und Unbeständigkeit des Willens,
heute etwas thun, worüber er sich morgen hätte
die Finger abbeißen mögen, wenn er es hätte un
geschehen machen können. In dem Effekt, den er
überall zu machen beabsichtigte, lag das große Geheim
niß von allem, was er that oder nicht that. Deßwegen
war es so schwer, mit ihm umzugehen, und noch schwe
rer, durch den Umgang mit ihm zu einer richtigen
Schätzung seines eigentlichen Wesens zu gelangen. „Er
dachte und sagte, was ihm einfiel; seine Zuhörer aber
pflegten ihm nur das zu glauben, was mit ihren Be
griffen von dem für einen großen Mann paffenden
übereinstimmte. So konnte er auch Eitelkeit oder