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und leblos, ohne Athem
Vor ihm lag der schöne Jüngling;
Lag, zerzaust die langen Haare,
Federn und Gewand zerrissen,
Todt im Sonnenuntergange.
Und der Sieger Hiawatha
Grub sein Grab, wie er's geboten;
Ab die Kleider von Mondamin
Streift' er, die zerriss'nen Federn;
Legt' ihn in die Erde, ließ sie
Leicht und locker ihn bedecken;
Und der Reiher, der Schuh - shuh - gah,
Her aus traurigödem Moorland
Sandte schrill angstvollen Wehruf,
Ruf der Klage, Ruf des Schmerzes.
Heimwärts dann ging Hiawatha
Zu der Hütte der Nokomis,
So vollendend und erfüllend
Seines Fastens sieben Tage.
Doch der Ort ward nicht vergessen,
Wo er kämpfte mit Mondamin;
Noch verabsäumt ward das Grab auch,
Jenes, drin Mondamin ruhte,
Schlafend da in Sonn' und Regen,
Wo sein Kleid und seine Federn,
Die zerriss'nen, die verstreuten,
Bleicheten in Sonn' und Regen.
Tag für Tag ging Hiawatha,
Sein zu warten, sein zu hüten;
Hielt den schwarzen Boden locker,
Hielt ihn rein von Kraut und Käfern,
Trieb hinweg mit lautem Hohnruf
Kahgahgee, der Raben König.
Bis zuletzt ein kleines grünes
Federchen langsam emporschoß
Aus der Erde, dann ein zweites,
Wieder dann und wieder eines,
Und zuletzt, vor Sommers Ende,
Schön der Mais und herrlich dastand,
Ganz in seinem glänzenden Kleide,
Ganz in weichen gelben Locken,
Und entzückt mein Hiawatha
Ausrief: „Ja, es ist Mondamin!
Ja, des Menschen Freund, Mondamin!" *
Holt' er flugs sich die Nokomis,
Auch Jagoo sich, den Prahler,
Zeigte beiden, wo der Mais wuchs,
Sprach von seinem Waldgesichte,
Seinem Ringen, seinem Siege,
Sprach von dieser neuen Gabe,
Die von nun an und für immer
Nahrung sey der Erde Völkern.
Und noch später, als der Herbstwind
Gelb die langen Blätter färbte,
Und die weichen saftigen Körner
Hart und gelb wie Wampum wurden,
That er ein die reifen Aehren,
Ab die welken Hülsen streift' er,
Wie die Kleider einst vom Ringer,
Gab das erste Fest Mondamins,
Machte kund den Menschen diese
Neue Gift des großen Geistes.
* Mondamin, das indianische Wort für Mais.
(Fortsetzung folgt.)
Die Venus von Milo.
Mir gegenüber steht die Maske der Venus von
Milo. Seit Jahren sehe ich sie täglich an, oft gleich
gültig, oft in fremden Gedanken, ohne zu wissen, was
ich vor mir habe, und Plötzlich ist mir dann wieder, als
sähe ich sie zum erstenmal, schöner als ich sie je er
blickte.
Was eine Frau in unsern Augen schmückt und
erhebt, vereint sich mir in diesen Zügen. Ich denke
Morgenblstt. 1858. Str. 5.
an die zurückhaltende Hoheit der Juno und finde sie
hier wieder; ich denke an die verstoßene Zärtlichkeit
Psychens, und ihre Thränen scheinen über diese Wan
gen zu rollen; ich denke an das verführerische Lächeln
Aphroditens — es spielt um diese Lippen. — Welch ein
Schwung in diesen Lippen! die obere zart hervorspringend
in der Mitte, dann zurückweichend nach beiden Seiten,
leise dann wieder vorschwellend und endlich in den
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