An diesen Unterschied muß gedacht werden, wenn die Ge
mälde der vergangenen Jahrhunderte richtig aufgefaßt wer-
den sollen. Zm Saale der Thicrarzneischule ist die Copie
eines großen Gemäldes von Tizian ausgestellt, eines Werkes
aus jenen Zeiten, in denen die Malerei das höchste Mittel
zur Darstellung der höchsten Ideen war. Wir sehen die
Jungfrau zu Gottvater emporschwkben während auf der
dunkeln Erde unten die Apostel als -irdische Zeugen der
Scene zurückbleiben, die vor ihren Augm sich aufthut.
Im Geiste des Katholicismus jener Tage las es, Himmel
und Erde jo nah verbunden darzustellen als nur möglich,
elelckffam eine Treppe sichtbar werden zu lassen, deren untere
Stufen auf die Erde aufstießen, während die oberen direkt
in die himmlische Behausung der Seligen mündeten, ein er
steigbarer Pfad, den es nur zu entdecken und mit der ge
hörig;« Geistesverfassung zu betreten galt, um als sterb
licher Mensch mitten aus dem Wüste der Verhältnisse
in die Reinheit eines verklärteren Daseins hinan fzu-
klimmen. Eine Vorstellung der Unsterblichkeit wie sie
die alten Griechen und Römer kaum beauemer und
beruhigender besaßen. Man meint oft, wenn man diese Ge
mälde steht, wo sich der offene Himmel mit seinen leuchtende»
Wolken so tief auf die Erde senkt,
nur Diesem odrr Je
einer der Engel brauchte
Jenem die Hand herabzustrecken, um auch
ibm mit einem Aernen Schwünge milde mlt emporzuhelfen.
Dbrn dann dieselben Moden gleichsam wie unten; derselbe
Schnitt der Gewänder, dieselbe Musik, Flöten, Guitarren
und Notenblätter, und vergeistigt dasselbe Dasein, das unten
geführt ward. Warum sollte ein mit PhanUsi; degaebts Volk
nicht so denken, wenn es das von Generation zu Genera-
tion abgebildet sah an den heiligsten Statten, uno wenn die
Priester die Wahrheit der Gemälde bestätigten? Heute find
str auch dem gläubigsten Katholiken nur Symbole, und
selbst wenn er als Künstler diese Gestalten wieder»
holte, würde es sie für nrcht mehr als symbolische Er«
scheinungen halten.. Wie aber muß- da die leibhaft ge
Form und Farbe nicht fehlen, wo uns der leibhaftige
Glaube abgeht, der die Dinge für wirklich hält wie er sie vor
sich sieht? Farbloser und gestaltloser sind unsere Empfindun
gen geworden, mit denen wir das unendliche unbekannt
Reich berühren, dessen Theil wir zu wrrden erwarten, wrnn
rs mit der Arbeit hier unten ein Ende hat.
Selssam ab?r ist der Anblick, wir in der Phantasie der
Künstler selbst während jener Jahrhunderte, in denen die
Kunst die höchste Macht besaß, die Form der himmlischen Er.
fcheinungen wechselt, welche sie darstellen. Vergleichen wir die
Himmelfahrt Mariä, wie sir Tizian hier auffaßt, mit Bil-
der« früherer Meister. Einfacher und ruhiger geschieht
La das große Ereigniß. Bürgerlicher möchte mau sa
gen. Die vornehme Grazie geht da der Jangfrau ab,
die 8eiim:schaft den Aposteln. Tizians Zeiten waren die, in
denen eö natürlich war, daß große Künstler in den Adel er-
hoben wurden, wo der Geist jener monarchischen Adelsherr-
fchafl, der die Seele dcö endenden i6jund des folgenden
Jahrhundert- ist, auch die religiösen Vorstellungen durch»
drang. Bewachten wir, um ein noch treffenderes BeispielM
wählen, den Unterschied in der Darstellung der Verkündigung
Mariä, wie man diese Scene im 15. und wie man sie im
17. Jahrhundert inalte. Dort eine still sich verneigende Magd,
zu der der Engel in bescheidener Bewegung näher kommt,
hier eine in vorn hm graeieuse Verzückung gerathende Fürstin,
,u der ein himmlisch begeisterter junger Adliger heranstürmt, um
ihrdasGmckzu verkünd,,: zudem sie auserlesen ward. Tizian
steht noch in der Mitte zwischen beiden Anschauungen. Die
heilige Jungfrau, wie wir sie auf seinem Gemälde hier sehen,
ist zwar längst nicht mehr die schlichte jugendliche Frau der
früheren Zeiirn, dennoch aber muß sie uns wahr und einfach
und schlich; erscheinen, wenn wir daran denken, wie Paul
Veronese oder Rubens diese Scene aufgefaßt. Bet denen
völlig ein
lersönlichkeiten. Da
find die Bewegungen der vornehmen G«
sedrung-n in das Hoflager der heiligen \
seht alles zu wie in Rom und Fontainebleau und Madrid in
den höchsten Cirk ln. Ihre Gemälde bezeichnen die Epoche,
in der die durch die absolute Monarchie protegirte Reaktion
des KüboliclSmuS gegen den Protestantismus in höchster
Blüthe stand und die Kirchr äußerlich ihre glänzendsten
Triumphe feiert;. . ■ r x w s
Nach diesen Zeiten aber brachen dann d:e,enigen ein, wo
auch d:e Kraft dieser Bewegung sich erschöpfte: der Geist der
Menschheit erholte sich. Die prächtigen Gewänder verschos.
sen, die Edelsteine verloren den Glan», die goldenen Pauken
und Flöten den süßen Klang, und all daS tn einem künstli-
che» angeblasenen Winde sich kräuselnde und knitternde Md
siatternde Kleber» und Wolkenwerk ward zu inhaltslosen De
korationen Mit dem Obliegen anderer Gefühle und Gedan-
ken b i Himmel und Ewigkeit ging die Kunst verloren, die
ün Dienste der Kirche die alte Herrlichkeit darzustellen hatte.
Mythologische Gestalten find das heute. Niemand bildet sich
mehr ein, ihnen zu begegnen, wenn er das Leben verläßt.
Niemand wenigsten- unter denen, die heute die Mehrzahl
bilden. Auch unter den Katdol km nicht mehr. Man be-
trachte neuere Kirchenbilder. Das find keine lebendigen Hei
ligen mehr, sondern mühsam gefärbte Schatten, die keine
Seele mehr überredn:, daß sie Turnn im Himmel dermaleinst
begegnen werde.