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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
aus : ?
Madonna Alba.
Das ip -cm FeEeton vom 19. September „Archäologi
sche un-künstlerische Rundschau in Italien" besprochene
GenMser Ex^Mlar der Madonna Alba gehört, soweit eine
gut^ vor drei fahren von Sgr. Peirani mir zugesandte Photo
graphie zn urtheilen erlaubt, zu den geringeren Reproduktio
nen des Werkes. Auch scheint eine starke Ucbermalung statt
gefunden zu haben. Von Zeit zu Zeit pflegt eine in Berlin
befindliche Kopie, gleichfalls in quadratischem Formate ge
halten, als Neuigkeit aufzutauchen und Ansprüche zu erheben.
Raphael hat diese Madonna zu einer Zeit gemalt, wo Papst
Giulio II. längst vorübergegangen war und die Rovere in
Rom wenig mehr zu thun hatten. Das im Museum, zu
Lille vorhandene, auf zwei Seiten mit Skizze und Studien
zeichnung bedeckte Blatt giebt über die Entstehung des
Werkes genügende Auskunft.
Was die Zeit anlangt, so werden wir auf die Negierung
s X., etwa 1515 oder 1516 verwiesen. Einmal deutet
dirs die Behandlung der Naturstudie zur Madonna an, zu>
welcher Raphael einen jungen Mann von 18 bis 20 Jahren
diesmal benutzt zu haben scheint. Sodann abrr befinden fich
auf demselben Blatte die ersten Gedanken der Madonna della
Sedia, nebeneinander in zwei kleinen Federskizzen ausgeführt.
Die eine hat noch sehr unklare Formen, da mit der Arm-
I stcllung gewechselt Word i ist, die andere zeigt die Komposition
schon reiner. Beidemale Ibrigens ist quadratischeUmgränzung
für sie gewählt, während für die Madonna Alba hier schon
die Kreislinie mit leichten Strichen als Umrahmung an
gegeben wurde. ,
Was die Entstehung der Komposition der Madonna
Alba anbetrifft, so zeigt das L'ller Blatt deutlicher noch als
das Gemälde den lionatdesken Ursprung. Einige in London
befindliche Skizzenblätter Lionardo's lasftn die Genesis der
Gruppe in ihren ersten Anfängen erkennen. Hier ist der kleine
Johannes noch mit einem Lämmchen beschäftigt, welches Ra
phael beibehalten hatte und erst auf dem Gemälde fortließ.
Die im Besitz der Albertina befindliche getuschte Zeich
nung der Madonna Alba scheint nach einem Modelle der
Gruppe ausgeführt worden zu sein. Raphael pflegte (nach
weisbar öfter, faktisch vielleicht immer) seine Figuren klein
modeüiren zu lassen, um sie dann genau dem Lichte auszu
setzen, in dem er sie wiederzugeben wünschte. Wir besitzen
eine Anzahl Blätter von seiner Hand, die von der Anwen
dung dieses Hülfsmittels zeugen, welches zu Anfang fernes
Jahrhunderts aufgekommen war und bis zum Ende deS
18. bei den europäischen Künstlern üblich blieb.
Berlin, den 19. September 1877.
Herman Grunm.