© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
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aus : Nationalzeitung, 1878, Nov, 30
Naphael's Gestchcksbildmig betreffend»
Ein die neuestell-Er werbungen der Nationalgalcrie be
sprechender Aussatz in der Morgennummer des Dienstags-
blattes dieses ZKtung rühmt bei Hähiiel's Rciphaelstatue die
PorträitMkMkeit. Ich sehe diese Statue als eine der ge
lungensten Arbeiten des Meisters an und freue mich über
ihren Ankauf, von Portraitähnlichkeit kann hier jedoch nicht
gut die Rede sein.
Die Frage über den Werth der vorhandenen Raphael-
portraits ist von mir an verschiedenen Stellen bereits ein
gehend behandelt worden. Zwei Darstellungen pflegen heute
in erster Linie genannt zu werden: das Portrait auf der
Schule von Athen, wo Raphael sich neben Perugino
gemalt hat, und daS fogenannnte Jugendportrait, welches
er in noch jüngeren Jahren von sich selbst gemacht hätte,
in der Sammlung der Ufficien zu Florenz. Meine
Untersuchung hatte das Ziel, darzulegen, beide Arbeiten könnten
nicht als maßgebend gelten, weil sie durch Uebermalungen ent
stellt worden seien. Aus dem eher runden Kopfe Raphaels habe
man in beiden Fällen einen schmalen, etwas gezogenen, gemacht,
wieder und wieder in diesem Sinne die Portraits überarbeitet
und so dasjenige geschaffen, was sie an Ort und Stelle heute
dem Beschauer darbieten. Ich will bereits Gesagtes (verql.
XV Eff. Neue Folge (1875) S. 293 ff sowie' L. Raph.
I., ©. 241 ff.) hier nicht wiederholen und beschränke mich
auf die Angabe, daß die richtige Ansicht von der Kopfbildung
Raphaels auf der Formation seines vor fünfundvierzig Jahren
in seinem Grabe aufgefundenen ächten Schädels beruht, dessen
Verhältnisse mit den bisher im Schwange gehenden Raphael-
darstellungen unvereinbar sind, während sie dagegen mit
anderen bisher zurückgeschobenen Bildnissen Raphaels stimmen.
Meine Ausführungen haben bis Dato jedoch wenig Glück
gemacht. Auf die vorgebrachten Bedenken hat man entweder >
leichthin geantwortet oder sie ignorirt. Wenn ich jetzt
darauf zurückkomme, so geschieht es, weil das wissenschaftliche
Material in den letzten Jahren durch eine neue Entdeckung
so sehr zu meinen Gunsten vermehrt worden ist, daß wohl
noch einige weitere Motte erlaubt sind.
Daß das Florentiner Jugendportrait durch Uebermalungen
entstellt worden sei, pflegte allmälig außerhalb Florenz aller
dings zugegeben zu werden. Die Überarbeitung war zu deutlich.
Man brauchte nur die innerhalb dieses Jahrhunderts nach
dem Gemälde angefertigten Stiche chronologisch neben einander
zu legen, um die Veränderungen zu verfolgen, denen es zum
Opfer gefallen war. Für die neuere Zeit bestätigten, als noch
zuverlässigeres Material. Photographien diese Beobachtung.
In den letzten Jahren ist es von frischem durchweg übermalt
worden, so daß von dem Zustande sogar, in dem ich es vor
20 Jahren zuerst sah, heute nur wenig übrig ist. Diese letzte
Redaktion des Florentiner Portraits hat Hähnel bei seiner
Raphaelstatue vorzugsweise verwandt und damit, so angenehm
der Kopf wirkt, auch nicht eine einzige richtige Linie des
ächten Raphaeltypus seinem Werke mitgegeben. Desto fester
aber wurde nun an der Aechtheit des Portraits auf der Schule
von Athen festgehalten. Gerade für dieses aber ist gleich
falls, und zwar vor einigen Jahren bereits, der schlagende
Beweis nachträglicher Entstellung gefunden worden.
Die Technik der Freskomalerei erfordert bekanntlich ein
rasches, die Malerei gleich fertig stellendes Arbeiten auf eben
ausgetragener, frischer Kalkfläche. Ein Vorzeichnen der Umrisse
ist da nicht möglich: der Maler pflegt sie in den weichen
Kalk einzuritzen. So nun hat Raphael auf der Schule von
Athen seine eigenen Gesichtszüge gerettet. Die Far
ben konnte man verändern: diese Einritzungen dagegen
waren unvcrtilgbar. Läßt man ein scharfes Streiflicht
auf die Mauer flache fallen, so lösen sich die Farben in allge
meine verschwnnmende Töne auf, während die Unebenheiten
des Grundes im grellem Gegensatze von Licht!und Schatten
hervortreten. Diese Beleuchtung hat man Raphaels Kopfe
auf der Schule von Athen angedeiheri lassen und den hervor
gebrachten Effekt photographirt. Um ganz sicher zu gehen,
ist das Licht einmal von der linken, dann von der rechten Seite
her auf die Wand geworfen worden. Die gewonnenen Photo
graphien lassen die Linien aus das unzweideutigste hervor
treten, welche Raphael als die maßgebenden Umriffe ansah,