sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
vierzehn Mal gesvielt. Dazwischen versuchte auch Ludwig
Deffoir am Lear seine Kraft, bis derselbe Richard Kahle, dem
gegenwärtigen Darsteller der Rolle, zufiel.
Daö nächste Shakespeare'sche Stück, mit dem nach Ein
führung des „König Lear" das Berliner Publikum bekannt
gemacht wurde, war der erste Theil „Heinrich's IV.", in wel
chem Schröder 1780 als Falstaff gastirte. Daran schloß sich
nach längerer Pause 1788 der „Kaufmann von Venedig".
Ein Rückschritt auf der Bahn, welche seiner Zeit durch die
Hamletaufführung für den britischen Dichter frei gemacht
wurde, war nicht mehr möglich. G. Malkewitz.
Raphael's Gesichtsbildung betreffend«
Ein die neuesten Erwerbungen der Nationalgalcrie be
sprechender Aufsatz in der Morgeunummer des Dienstags
blattes dieser Zeitung rühmt bei Hähnel's Raphaelstatue die
Portraitähnlichkeit. Ich sehe diese Statue als eine der ge
lungensten Arbeiten des Meisters au und freue mich über
ihren Ankauf, von Portraitähulichkeit kann hier jedoch nicht
gut die Rede sein.
Die Frage über den Werth der vorhandenen Raphael-
portraits ist von mir an verschiedenen Stellen bereits ein»
gehend behandelt worden. Zwei Darstellungen pflegen heute
an erster Linie genannt zu werden: das Portrait aus der
Schule von Athen, wo Raphael sich neben Perugino
-gemalt hat, und daö sogcnannnte Jugendportrait, welches
er in noch jüngeren Jahren von sich selbst gemacht hätte,
in der Sammlung der Ufficien zu Florenz. Meine
Untersuchung hatte das Ziel, darzulegen, beide Arbeiten könnten
nicht als maßgebend gelten, weil sie durch Uebcrmalungen ent
stellt worden seien. Aus dem eher runden Kopfe Raphaels habe
man in beiden Fällen einen schmalen, etwas gezogenen, gemacht,
wieder und wieder in diesem Sinne die Portraits überarbeitet
und so dasjenige geschaffen, was sie an Ort und Stelle heute
dem Beschauer darbieten. Ich will bereits Gesagtes (vergl.
XV Eff. Neue Folge (1875) S. 293 ff. sowie L. Raph.
I-, S. 211 ff.) hier nicht wiederholen und besch'änke mich
auf die Angabe, daß die richtige Ansicht von der Kopfbildung
Raphaels auf der Formation seines vor fünfundvierzig Jahren
in seinem Grabe aufgefundenen ächten Schädels beruht, dessen
Verhältnisse mit den bisher im Schwange gehenden Raphael-
darstellungen unvereinbar sind, während' sie dagegen mit
anderen bisher zurückgeschobenen Bildnissen Raphaels stimmen.
Meine Ausführungen haben bis Dato jedoch wenig Glück
gemacht. Ans die vorgebrachten Bedenken hat man entweder
leichthin geantwortet oder sie ignorirt. Wenn ich jetzt
darauf zurückkomme, so geschieht es. weil das wissenschaftliche
Material in den letzten Jahren durch eine neue Entdeckung
so sehr zu meinen Gunsten vermehrt worden ist, daß wohl
noch einige weitere Worte erlaubt sind.
' Daß das Florentiner Juaendportrait durch Uebermalungen
entstellt worden sei, pflegte allmälig außerhalb Florenz aller
dings zugegeben zu werden. Die Ueberarbeitung war zu deutlich.
Man brauchte nur die innerhalb dieses Jahrhunderts nach
dem Gemälde angefertigten Stiche chronologisch neben einander
zu legen, um die Veränderungen zu verfolgen, denen cs zum
Opfer gefallen war. Für die neuere Zeit bestätigten, als noch
zuverlässigeres Material, Photographien diese Beobachtung.
In den letzten Jahren ist es von frischem durchweg übermalt
worden, so daß von dem Zustande sogar, in dem rch es vor
20 Jahren zuerst sah, heute nur wenig übrig ist. Diese letzte
Redaktion des Florentiner Portraits hat Hähnel bei seiner
Raphaelstatue vorzugsweise verwandt und damit, so angenehm
der Kopf wirkt, auch nicht eine einzige richtige Linie des
ächten Raphaeltypus seinem Werke mitgegeben. Desto fester
aber wurde nun an der Aechtheit des Portraits auf der Schule
von Athen festgehalten. Gerade für dieses aber ist gleich
falls, und zwar vor einigen Jahren bereits, der schlagende
Beweis nachträglicher Entstellung gefunden worden.
Die Technik der Freskomalerei erfordert bekanntlich ein
rasches, die Malerei gleich fertig stellendes Arbeiten auf eben
aufgetragener, frischer Kalkfläche.' Ein Vorznchnen der Umrisse
ist da nicht möglich: der Maler pflegt sie in den weichen
Kalk einzuritzen. So nun hat Raphael auf der Schule von
Athen seine eigenen Gesichtszüge gerettet. Die Far
ben konnte man verändern: diese Einritzungcn dagegen
waren unvertilgbar. Läßt man ein scharfes Streiflicht
auf die Mauerflache fallen, so lösen sich die Farben in allge
meine vcrschwlmmende Töne auf, wählend die Unebenheiten
des Grundes im grellem Gegensatze von Licht?und Schatten
hervortreten. Diese Beleuchtung'hat man Raphaels Kopfe
auf der Schule von Athen angedeihen lassen und den hervor
gebrachten Effekt photographirt. Um ganz sicher zu gehen,
ist das Licht einmal von der linken, dann von der rechten Seite
her auf die Wand geworfen worden. Die gewonnenen Photo
graphien lassen die Linien auf das unzweideutigste Hervor
treten, welche Raphael als die maßgebenden Umrisse ansah,
und zugleich bleiben immer noch auch die Farben genug er
kennbar, um allen Zweifel darüber schwinden zu lassen, daß
Zeichnung und Malerei, wie diese jetzt beschaffen ist, einander
nicht decken. Die Farben zeigen ein gezogenes Antlitz mit
schmaler Nase bei verhältnißmähig eng zusammenliegenden
Augen (entsprechend dem in früheren Zcitcn in der Akademie
von San Luca gezeigten falschen Schädel Raphaels), während
die darunter liegende eingeritzte Zeichnung ein eher rundes
Antlitz erkennen läßt, das in seinen Proportionen dem Holz
schnitte entspricht, welchen Vasari seinem Leben Raphaels als
Bildnitz vorgesetzt hat und dessen vermeintliche Unrichtigkeit
mau bisher nicht erklären konnte. Rumohr meinte, der
Spiegsl, in welchem Raphael sich gesehen, sei nicht glatt, son»
dern sphärisch gewesen, so daß seine Züge in unmerklicher
Entstellung zusammengedrängt hätten erscheinen müssen.
Ich halte Carlo Maratta, den berühmten Restaurator der
Schule von Athen, für den ersten Urheber des umgestaltenden
Prozeßes. Marwta hat seine Ansichten über Raphaels
Kopfbildung in einer Marmorbüste verewigt, welche heute in
der Sammlung des Konservatorenpalastes zu Rom befindlich
iit und nach deren Vorbild die späteren italienischen Büsten
Raphaels sämmtlich gearbeitet zu sein scheinen. Sie trägt
alle die Eigenschaften, welche auch die heutige Malerei auf
der Schule von Athen auszeichnen.
Photographien der betreffenden Stelle der Schule von
Athen sind überall billig zu kaufen. Vasari's Holzschnitt
findet sich fast in allen Ausgaben, auch in der bei Cotta er
schienenen deutschen Uebersctzung. Was den ächten Schädel
Raphaels anlangt, so erlaube ich mir eine Anfrage.
In einem Berichte über die Aufdeckung des Grabes
Raphaels in der Rotunde zu Rom, welche am 9. September
1833 stattfand, habe ich gelesen, es sei von den über den
Schädel gemachten Gypsabgüffen einer für den Kronprinzen
von Preußen (Friedrich Wilhelm IV.) bestimmt und nach
Berlin gesandt worden. Es Ist mir nicht möglich gewesen,
eine Spur dieses Abgusses zu entdecken. Sollte einer der
Leser der „National-Zeitung" darum wissen, so bitte ich ihn,
mir einige Worte zukommen zu lassen, falls er es nicht vor
zieht, öffentliche Mittheilung zu machen. Einen Abguß deS
falschen Schädels besaß seiner Z^it Goethe, der ihn in hohen
Ehren hielt.
Berlin, den 27. November 1878. H. Grimm.