Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Personen, ihr Leben und Werk

Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27 
Sonntag, 11. Juni. 
Abonnement: für Berlin vierteljährlich QM 75^ r 
für das deutsche Reich und ganz Oesterreich 9 Jt 
incl. der Postbeförderungsgebühren. Bestellungen 
nehmen an die Expedition, Französische Straße 51, 
und sämmtliche Postanstalten. 
Inhalt. 
Deutschland. Berlin: Garibaldi; der Ton der Wahlagitation; 
Verhandlungen des Bundcsraths; aus dem Reichstage; Ver 
werfung der Negierungövorschläge zn neuen Schutzzöllen; zur 
Ablehnung der Samoa-Vorlage; zur Bestattung Garibaldis. 
Oestcrreichisch - ungarische Monarchie. Pest: der Skandal 
im Abgcordnetenhause. 
Frankreich. Paris: Rede des Finanzministers; zur Abberufung 
des Päpstlichen Nuntius. 
Aus dem Reiche und den Provinzen. 
Nmtliche Nachrichten. 
Die Tauffeierlichkeit im kaiserlichen Hause. 
Berliner Nachrichten. 
Kreissynodc Berlin II. 
R e i chStagsv erhan d lnn g en. 
Berliner Börsenhalle n. Waaren« u. Produktenmärkte. 
* Berlin, 10. Juni. 
Garibaldi. 
So hat Italien denn am Donnerstag den 8. Juni seinen 
letzten Ritter^ bestattet. Auf einer kleinen Insel liegt sein 
Grab. Selbst wenn ihm später auf einem Hügel der römischen 
Stadt das Mausoleum errichtet werden sollte, werden sich die 
Blicke des Betrachters immer von diesem Ban, wie stolz und 
prächtig er sein möge, nach Caprera richten, gerade wie sich 
unsere Gedanken von dem Porphyrsarge, der, von den trauern 
den Siegesgöttinnen umstanden, unter der Kuppel des Jnva- 
lidendomes in Paris, die Gebeine Napoleon's birgt, unwill 
kürlich nach dem einsamen Eiland im Ocean wenden, wo sein 
erstes Grab sich unter Trauerweiden erhob. Denn wie St. 
Helena in Napoleon's tragischer Geschichte zur Charakterisi- 
rung seines Genius nicht seblen darf, so ist die winzige Erd 
scholle im Mittelländischen Meer, Caprera, von der niemals 
vor ihm gesprochen wurde, noch ohne ihn je wieder gesprochen 
werden wird, ein Theil von Garibaldi's Wesen geworden, das 
Zeichen seiner erhabenen Uneigennützigkeit und republikani 
schen Schlichtheit. 
Als Heros verehrt und als Don Quijote verlacht und 
gefoppt, scheint Garibaldi aus einer andern Zeit in die Prosa 
und Nüchternheit unserer Gegenwart verschlagen zu sein. Das 
antike und das romantische Ideal«, tzxr irrende Ritter und der 
römische Volkstribun, verschmelzen sich in ihm. Er hat nichts 
gemein mit unserer fieberhaften Sucht nach Erfolg und Ge 
winn, er weiß sich nichch mit'kluger Unterwürfigkeit oder mit 
der Kunst des diplomatischen Hinhaltens und Verschweigens 
in die Umstände zu schicken, immer- zerhaut er den Knoten 
mit dem Schwert oder mit der Rede. Ein Ziel Herzen 
nd vor den Augen: die EinbeitMlMMrlandes,L.^M,^ 
Victor Emanuel's in Neapel am 7. November 1860 liest sich 
heute wie ein Gesang aus einem Epos, als wäre sie eins der 
schönsten Blätter aus Plutarch's Heldenbiographien. Damals 
gab es in Europa und Amerika nur einen Ruf: welch' ein 
Mann ist dies! An Timoleon erinnerten die Einen, an 
Washington die Andern. Alle aber wünschten dem Helden 
dies Eine, daß er, wie jetzt in Neapel, so dereinst vom 
Kapitol herab Victor Emanucl zum König des geeinigten 
Italiens ausrufen möchte. Daß er sich durch seine 
eigene Schuld und Verblendung um diesen glorreichsten 
Schlußakt seines Lebens brachte und in der vordersten 
Reihe der Italiener, denen er doch mit seinem Blute 
bei Aspromonte und Mentana den Weg nach Rom gezeigt 
hatte, am Entscheidnngstage vor der Porta Pia fehlte, hat er 
vermuthlich später selbst am tiefsten bedauert. Wie viel trägt 
es aus, lautete die Grabschrift eines-Papstes, in welche Zeiten 
das Leben auch des besten Mannes fällt! Nicht blos das 
Leben, auch der Tod. Für Italien konnte Garibaldi nicht zu 
lange leben, da er in dem noch nicht allzufest zusammenge 
wachsenen Lande, wo er immer erschien, das Symbol der 
italienischen Einheit und Freiheit war; für seinen Ruhm und 
seine Stellung in der Weltgeschichte hätte er früher sterben 
sollen. Hierin haben die beiden Männer, die mit ihm das 
neue Italien begründet, ein günstigeres Loos gezogen: in der 
Mitte seiner Laufbahn, auf der Höhe seines Ruhmes, Großes 
in seinen Gedanken wälzend, starb Cavour, während nicht 
nur sein Volk, sondern ganz Europa erwartungsvoll ans ihn 
schaute; noch in rüstigster Kraft verschied Victor Emanuel, 
viel zu früh, wie das schmerzgebcugte Italien klagte, für das 
Glück seines Volkes und die Befestigung seines Reiches. Von 
Garibaldi konnte niemand seit den letzten sieben Jahren mehr 
etwas Bedeutendes und Nützliches, auch nur in dem Parla 
mentssaal auf Monte Citoriö, erwarten. Die Leiche des Cid 
hatten einstmals seine Krieger in stattlicher Rüstung, auf 
seinem Schlachtroß, in das'Gefecht geführt, damit er noch 
als Todter die Feinde in Furcht und Schrecken jage, die 
italienischen Republikaner schleppten den sterbenden Garibaldi, 
halb als Standarte, halb als Marionette, überall mit sich 
und suchten ihre phantastischen Pläne mit dem Glanze seines 
Namens bald zu decken, bald zu erhöhen. 
Von dem Todten sind all diese Flecken Abgefallen. Rein 
steht sein großes Bild vor unsern, vor den Mgen der Nach 
welt. Wie man sich Washington, ohne eine gechsse Kühle des 
Temperaments und die Schwunglosigkeit der Phantasie nicht 
denken kann, so Garibaldi nicht'ohne seine Hinderlichkeiten 
.U"er,lcio Sn wiegst ent- 
Jn Cavour herrschte der klugwägcnde Verstand, das Gen' 
des Staatsmannes vor; in hervorragendem Grade besaß Victor 
Emanuel den Königssinn; in Garibaldi schlug das Herz des 
italienischen Volkes. Ohne eine Ader politischer Berechnung, 
ja nur Ueberlcgung, ein mittelmäßiger Feldhauptmann, reicher 
beinahe an Niederlagen und Rückzügen, als an Siegen, war 
und konnte Garibaldi nichts als ein Ritter sein. Für sich 
nichts wollend und begehrend, kämpfte er uneigennützig für 
seine Idee. Seiner ganzen Art t und Natur nach, -gehört er 
mcM nt hnitpit iiiplsCmi btt» Geschichte bisb-ur-^en Namen der 
ucivitivrii jiu; vu ‘v.i.Vlvr Martmef. iUlClji »w 
Aehnlichkeit seines Wesens b ; e j uev Schicksale mit denen 
des Columbus drängt u 5 nachdenklichen Geiste auf. 
Das phantastische Clemens dem naa^ besonderen Ton, 
die eigenthümliche Farbe. iLJ r stalte» schließ* sich Mit seinem 
Tode die heroische Epoche« foincV Erneuerung ab: der König, 
der Staatsmann, der Kämpfer — und mit ihnen auch ihr 
großer Gegner, der Papst sind dahin. Das Außerordent 
liche in Italiens Entwickelung macht dem Reaelmayigen, dem 
Alltagsgange der Dinge tzvlatz. Wer will chm vorhersagen, 
wann ihm wieder ein Cavour kommt. Aber ores 
ist sicher: niemals wird es einen Garibaldi wieder 
finden. Diese Erscheinung gehört ui he Jugend eures 
Volkes und das italienische Volk erlebte von 1830 bis 
1870 eine neue Jugend. ^Von diesem Hintergründe roman- 
tischer Verschwörungen nst.d Gefahren, inmitten von Rct st 
und Liebesabenteuern, aus der einen Seite das dustere Ge 
folge der Märtyrer, die ist den Gesanginsten, am Galgen, un 
Fcstungsgraben ihre hochherzigen Traume rußten, aus der 
andern die verwegene SäM/ der .Tau,end" - Phantasten 
dieic wie iene — wird sich die Gestalt Garibaldi S zur die 
Nachwelt erheben, kein großer, alles überragender Mensch, 
aber ein Wohlthäter seines Volkes und in seiner Schlichtheit 
und Wahrheitsliebe, in seiner Tugend ohne Furcht und Tadel 
eine Zierde der Menschheit. 
Der Ausfall der Ersatzwahl zum Reichstage im Wahl 
kreise" Greifswald-Grimmen, wo cs den Konservativen 
mißlungen ist, den bei der allgemeinen Wahl zur Fortschritts 
partei uberaeaaintenen Kreis zurückzuerobern, veranlaßt die 
^Neue Preun. Ä" 3 U bitteren Klagen über den Ton, 
welchen die Fortschrittspartei bei der Agitation ange- 
schlagen habe; da« Blatt ich.eiht: . 
SKpim pin Wahltrerben weiteren Boden gewinnt und 
wenn^cine^^e^^^^^^L^^^M^^ittel^^dcn^gcwünsäiten 
ErsoAber iu Frage' gestellt wird. 
Fortschrittspartei nicht zu 
lgen vorgekommen sind, ^ 
ngendhafte Entrüstnnc
	        
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