Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Personen, ihr Leben und Werk

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27 
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Mittelportal, das, wie die Seitenportale, seiner Umge 
staltung noch entgegen sieht, werben die Kirchenpatrone, also 
Maria, St. Stepban und St. Bernhard zu stehen kommen. 
Welch ein Anziehungspunkt für die Reisenden der 
Speyerer Dom geworden, davon war in diesen Blättern 
schon zum öfter« die Rede. In diesem Jahr war der Zu 
strom größer als je, ja die Mainzer Bürger hatten im 
Oktober sogar eine Domfahrt nach Speyer veranstaltet, 
an der nicht weniger als 1047 Personen Theil genommen. 
Vor allen aber treten hier die erlauchten fürstlichen Be 
sucher in den Vordergrund; so der König und die Königin 
von Preußen, mit welchen die verwittwete Großberzogin 
Sophie von Baden nebst dem Prinzen Wasa zusammen 
traf; so der König von Württemberg auf seiner Rückkehr 
von seinem Besuche auf Stolzenfels. Alle diese fürstlichen 
Personen haben den kolossalen Dom und seinen prächtigen 
Bilderschmuck in hohem Grade bewundert. 
Als ich den König Von Preußen auf dem Königschore 
stehen sah, trat mir lebhaft der 15. Juni des Jahres 1815 
Vor die Seele, an welchem einst sein Vater auf der näm 
lichen Stelle stand und mit ihm die beiden Kaiser Franz 
von Oesterreich und Alexander von Rußland. Welche Gedan 
ken mögen da jenem durch die Seele gegangen seyn, wenn 
er an die damalige Lage Europas dachte und jezt den 
Blick nach West und Ost schweifen ließ? Und gar, wenn 
er an die Versuchung dachte, sich in die Reihe der t?eut= 
scheu Kaiser zu stellen, die da unten schlafen, vielmehr 
die unterbrochene Reihe derselben neu zu beginnen? — 
Nicht unerwähnt will ich lassen, daß der König vor seinem 
Gange in den Dom auch die protestantische Kirche mit 
seinem Besuch beehrte, wohl weniger um ihrer selbst willen, 
da sie zu den verfehlten Werken des siebzehnten Jahrhun 
derts gehört ,wohl aber um der merkwürdigen Stelle 
willen, auf der sie steht, da gerade hier oder doch unfern 
davon jener denkwürdige Reichstag des Jahres 1529 ab 
gehalten wurde, von welchem sich der Name Protestanten her 
schreibt. Für den mächtigsten evangelischen Fürsten Deutsch 
lands mußte dieser klassische Boden von besonderem Interesse 
seyn. Der König hat auch dieser Kirche ein Geschenk zuge 
wendet und hinterher gestattet, daß dasselbe zur Begründung 
des schon erwähnten Diaconissenhauses verwendet werde. 
Daß die Stadt Speyer den König von Preußen nicht 
in derselben glänzenden Weise empfangen konnte, wie die 
große und reiche Stadt Köln unsern König Ludwig, das 
versteht sich von selbst und wird keinen Menschen wundern; 
aber sie hatte sich geschmückt, so gut sie konnte, um den 
hohen Verwandten ihres Königshauses und die erlauchte 
Schwester König Ludwigs zu ehren, dem sie so viel ver 
dankt und der ihr namentlich durch die Herstellung und 
Ausschmückung ihres Doms einen Schatz geschenkt hat, der 
ihr von Jahr zu Jahr reichere Zinsen trägt. 
Auf der Weiterreise nach Saarbrücken und Trier haben 
die preußischen Majestäten auch nicht versäumt, die könig. 
lichc Villa Ludwigshöhe zu besuchen. Wie wohl es ihnen 
dort und an dem Haardtgebirge überhaupt gefallen, das 
haben wir später aus dem Munde des Herrn Carbinal- 
Erzbischofs v. Geissel gehört, der im Herbst einige Zeit 
in seiner pfälzischen Heimath verweilte. Bei dem großen 
Gastmahle in Köln sagte nämlich der König: „Herr Car 
dinal, welch schöne Heimath haben Sie!" Ja, sie ist schön, 
und ich bin in Versuchung, wieder von jener Gegend zu 
reden, da mir die neue Marimiliansbahn die beste Ver 
anlassung dazu bietet; doch ich will meinen Brief nicht zu 
weit ausdehnen. Es wird sich wohl zu anderer Zeit Ge 
legenheit geben, die Leser aus die neue Bahnlinie von Neu 
stadt nach Straßburg zu führen und ihnen kurz zu zeigen, 
was alles dort an Schönheiten und Merkwürdigkeiten zur Seite 
liegt. Hier will ich nur noch einmal an die beiden festlichen 
Tage der feierlichen Bahneröffnung, den 23. und 24. Oktober 
erinnern, ww die bayerischen und hessischen Festgäste, die 
Ministerpräsidenten v. d. Pfordten und v. Dalwigk an der 
Spitze, nach Weißenburg fuhren, um die französischen 
nach Mainz zur glänzenden Fete zu führen, die sich am 
zweiten Tage in Straßburg in ähnlicher Weise wiederholte. 
Möge es wahr bleiben, was der bayerische Minister da 
mals in seinem Toaste attssprach, daß zwei große Nationen, 
Frankreich und Deutschland, die sich früher mit dem Eisen 
bekriegten, nun durch eiserne Bande zu Zwecken des Frie 
dens und der Gesittung verbunden sind. Bald wird nun 
die Eisenbahnlinie, die jetzt im Flug von Mühlhausen 
nach Mainz trägt, ihre Schienen noch weiter rheinab- 
wärts dehnen. Wenn man seiner Zeit befürchtet hat, 
der Rhein werde veröden, wenn rechts und links von 
ihm solche Wege hinziehen, so ist diese Befürchtung 
bis jetzt glänzend widerlegt worden und wird nicht 
wieder aufkommen. Der Verkehr auf der Wasserstraße 
hat sich im Gegentheil gehoben, und trotz der großen Menge 
von Personen und Gütern, die täglich auf den Eisenbah 
nen verführt werden, hatten namentlich in diesem ver 
flossenen Sommer alle Rheinschiffe vollauf zu thun und 
ihre Besitzer bedauern jezt nur, daß der Wasserstand so 
niedrig und der strenge Frost so plötzlich eingetreten ist. 
Ohne dieses doppelte Hinderniß würden sie noch lange 
nicht müssig liegen müssen. Auch der Schiffbau hebt sich 
von Jahr zu Jahr, besonders auf der Speyerer Werste. 
Während sie im vorigen Jahr nur eilf größere Fahrzeuge 
vom Stapel gelassen hat, betrug deren Zahl heuer sech 
zehn mit einer Tragfähigkeit von 1600 bis 9000 Centnern. 
Zudem ist wieder ein Schooner von Speyer aus zur See 
gegangen und im kommenden Jahr sollen wieder einige 
größere Seeschiffe daselbst in Angriff genommen werden. 
Schließlich lassen Sie mich noch erwähnen, daß Pro 
fessor Riehl aus München abermals einen Theil des Mo 
nats September benüzt hat, um seine ethnographischen 
Studien in unserem Kreise fortzusetzen und zu beenden, so 
daß er nun das Ergebniß seiner diesseitigen Forschungen 
dem König vorlegen kann. Hoffentlich wird von denselben 
auch etwas für die Oeffentlichkeit abfallen. 
Druck und Verlag der Z. G. HtHsch^ Buchhandlung. Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
	        

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