© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27
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in englischer Sprache von einem amerikanischen Matrosen,
der vor Jahr und Tag von einem Wallfischfahrer dorthin
gelangt war, dahin lautend, daß der Anführer der Frem
den, wenn ein solcher vorhanden, sich in Udsk zu Präsen
tiren hätte, um dort das Nöthige wegen seiner und seiner
Leute Ueberwinterung zu erfahren. Wäre aber kein An
führer dabei, so sollten fie wieder nach der Insel verwie
sen werden, wo sie hergekommen. Handy anüvortete gleich
falls schriftlich, sie befänden sich in elendester und bedürf
tigster Lage, und er bäte deshalb um Hülfe. Darauf traf
nach abermals zwei Tagen ein weiteres Schreiben ein,
worin er eine neue Aufforderung erhielt, in Udsk zu er
scheinen, was den Tag darauf geschah. Er wurde vor
den Chef des Kreises geführt, dem er durch Vermittelung
jenes amerikanischen Matrosen die Geschichte seines Schiff
bruches und seiner Expedition nach Tutkan in allen Ein-
zelnheiten erzählte, worauf zur Ucberführung sämmtlicher
Mannschaft nach Udsk Altordnung getroffen wurde. Hier
bekamen sie Wohnung und Nahrung und nach kürzer Zeit
waren sie mit den Einwohnern befreundet und wie zu Hause.
Sie verlebten hier gemächlich Winter und Frühjahr inmit
ten einer biederen Gastfreundschaft, welche der einfachen
Lebensweise der Einwohner entsprach.
Ww haben bisher noch keine einigermaßen verständliche
Beschreibung dieser Gegend und der Stadt, welche ihr als
Mittelpunkt obrigkeitlicher lind gewerblicher Thätigkeit
dient? Darum hoffen wir, daß Handy'.s Mittheilungen
um so willkommener sein werden, als Handel und Aüö-
ftlhr dorthin im Zunehmen begriffen sind.
. Die Stadt Udsk hat etwa 100 Häuser und liegt an
dem den Spiegel des ausgetretenen Wassers etwa um 50'
überragenden Ufer des Flusses Udcu Die Einwohner, gegen
600, sind meist Russen, theils auch Jakutökische Tungusen,
diese von jenen in ihrer Art zu leben scharf tmterschteden.
Die Distriktsstadt Jakutsk, im Innern.-von Sibirien, ist
1000 Werft entfernt, der Verkehr wird ziemlich während
des' ganzen Jahres anstecht erhalten. Die Häuser von
Udsk sind sehr geräumig, aus einem horizontaleii Gefüge
dicker Tannenbretter, mtt verschältem Fußboden und Dächern
von Baumrinde. ■ ' ■ ' '
Daß man sich hier aufs Einheizen versteht, wird Jeder
glauben, auch ohne nähere Angaben. Daß die Russen
die Herren und die Tungusen die Dienstboten spielen, liegt
auch nahe. Die russischen Familien leben behäbig, und
seitdem die Beziehungen zu Engländern lind Amerikanern
häufiger geworden sind, haben sie mit moderner Civilisa
tion auch tiefen und jenen europäischen Comfort ange
nommen. . -
Udsk ist, wie erwähnt, fKreisort7und Handelödepot
Von hier gehen die Zöllner und Steuereinnehmer nach
den abhängigen Ortschaften aus. Jagd auf Zobel und
andere Rauchthiere bilden den Haupterwerb der Tungusen.
Getreide reift in dem kurzen Sommer nicht, die Regierung
läßt atlö einem besonderen Magazin Roggenbrod an die
Armen vertheilen.
Das Volk von Udsk und Umgegend bekennt sich mit vie
lem Eifer zur griechisch-katholischen Kirche. Das stürmische
und rauhe Klima, sagt Handy, stimmt diese Leute nicht
allein zum ehrerbietigen Festhalten an den kirchlichen For
men, sondern erzeugt in ihnen auch eine vorzugsweise dem
hohen Norden eigenthümliche Neigung, den Ausdruck ihrer
innigen Ueberzeugung mit kleinlich abergläubischem Gethue
zu vermischcit. Der Charakter des Volkes ist durchweg ge
setzt und ernst. Nur bei der Feier der Feste thaut er ztl
einer mehr als tropischen Ausgelassenheit auf. Udsk hat
eine hölzerne Kirche mit spitzigem Dach, nach der Grund-
form eines griechischen Kreuzes von schwer zu bestimmen
der Architektur. Das Innere ist mit allerlei Bildwerk von
plumper Malerei geziert. Neben der .Arche ein spitziger
Glockenthürm, mit 5 Glocken, ähnlich wie man dergleichen
auf Alpenlandschaften gemalt zu sehen pflegt. Ein Pope
und ein Küster stehen dem Gottesdienste vor.
Handy hatte Muße genug, auch einen Punkt zu beob
achten, den Reisende, in welcher Lage sie auch sein mögen,
selten vernachlässigen: nämlich die Weiber. Er fand ihrer
viele von schönem Wuchs und Angesicht und lebhaftem
Temperament. Die Menschen sind auch hier, wie allent
halben, nach Geburts-Unterschieden scharf gesondert. Es
gilt die allgemeine (amerikanische) Stufenleiter. Die kleinste
Beimischung zum reinen russischen Blut schließt unbedingt
von der höheren Gesellschaft aus, welche eifersüchtig aus
,Reinheit der Race" hält; steigt man die Scala hinab bis
oUM Tungusen-Vollblut, so findet man dieses im ausschließ
lichen Prärogativ der Dienstbotenschaft. Der sorgfälttgen
Ausrechthaltung dieser Verhältnisse des Blutes verdantt die
bevorzugte Schicht ungewöhnlich schön und zart gebildete.
Weiber. Bei alledem wurden unsere Mattosen, ttotz ihrer
armseligen und mtscheinbaren Situatton, auf das zuvorkom
mendste und herzlichste von allen Seiten aufgenommen.
Mit Abrechnung der vom Klima auferlegten und nicht
unkleidsamen Pelz-Trachten ist die Toilette ziemlich euro
päisch und nichts darüber zu sagen?
Nach dem Bisherigen sollte man nicht glauben, daß
unter solcher Ungunst des Htmmelö Kraft zur Vergnügungs
sucht wäre, doch berichtet Handy, für menschliche Empfin
dung tröstlich, ganz umständlich dqö Gegentheil. Volks
feste ziehen zur Winterzeit das Volk von nahe und fern,
auf Schneeschlittschuhen und Schlitten, herbei. Hauptver
gnügen ist der Tanz, beim Klange der Geigen, des Tri
angels und eines dritten, im russischen Lextcon nicht zu
ermittelnden Instrumentes. Die Tänze bestehen ans Be
wegungen und Gesten von mehr Leben und Frohsinn als
Grazie. Nach klimatischer Neigung herrscht bei solchen
Gelegenheiten ein reichlicher Gebrauch geistiger Getränke.
Rum, Gin und Wodka, die von Jakutsk kommen, glück-
lichenveise aber nur den Wohlhabenderen zugänglich sind.
Während des Winters sind mindestens 2 Tage in der
Woche für Lustbarkeiten bestimmt. Die Kürze der Tage
und der strenge Frost lasten es mcht viel zum Arbeiten
kommen, und io muß die Zeit todtgeschlagen werden. Handy
bemertt, daß in russischen, wie überhaupt in katholischen
Ländern, geistliche und weltliche Obrigkeit es an Anlässen
zu Festlichkeiten nicht fehlen lassen, von der Wiege bis zum
Grabe. Denn die Geburts- und Namenstaac aller großen
Männer des Staates und der Kirche — Alleö wird regle
mentsmäßig von Jedermann, je nach seinen Verhältnissen,,
festlich begangen. Der Geburtstag Peter'S des Großen,
Weihnacht und die Neujahrstage sind die hiesigen Haupt
feste. Morgens Gottesdienst, den übrigen Tag und einen
Theil der Nacht Tanz, Gesang und Kartenspiel. Letzteres
ist in vielen, in Amerika unbekannten Arten vertreten.
Auch Damenspiel ist gebräuchlich, Schachspiel nicht.
Lichte eigener Fabrik dienen für Hans und .Kirche, in
neuerer Zeit sind auch Lampen durch die Fremden einge
führt worden. Zu ihrer Speisung wird Wallfisch- und
Seehundsthran genommen, dessen Bereitung die Tungusen
ebenfalls von den Fremden erlernt haben. Er bildet ge
genwärtig einen einttäglichen Handelsarttkel nach dem In
nern von Sibirien.
Um die Mitte Februar sind nochmals große Lustbarkei
ten, zu denen man sich eine ganze Woche vorher rüstet.
Den Sinn davon hat Handy nicht zu erfahren vermocht.
Hauptsächlich Schlitten-Wetttennen mtt Hunden und Renn-
thieren. Eine ganze Woche' hindurch geht es Tag und
Nacht über den ttefen Schnee. Die beiden letzten brächte
wurden die Fahrten noch durch Freudenschießen verherrlicht.
Während der ganzen Zeit war die Kirche geöffnet, von
Innen und Außen mit Laternen erleuchtet, wie auch die
anstoßenden Häuser, und des Glockenläutens war kein
Ende. Den Schluß des Ganzen bildeten Charaktertänze
und Gesänge. Die letzteren priesen die Thaten und Lie
besabenteuer der alten Männer des Nordens. Handy
klagt, daß die Weiber mtt ihren lieblichen Stimmen ohne
jeglichen Ausdruck smgen. .
In No. 300. — Erste Beilage, Sonntag den 22. De
zember — muß der Schluß des Aufsatzes „Ueber Lenz"
heißen: „der von dem Herausgeber in der Borrede angekün
digten großm Publikation" u. s. f. .. v. M.