© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
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Thals und förderte er instinktmäßig wo er konnte; überall
erblickte er Anfänge, für die zu sorgen, Keime, die zu
pflegen, Samenkörner, die zu versenken waren, feine Welt
anschauung lehrte ihn das Herannahen einer großartigen
Entwicklung, diejenigen haßte er, die sich dieser entgegen
stellten, und verspottete, welche stch einbildeten, ihr bischen
Eitelkeit könne eigenes Licht haben. Unbarmherzig verach
tete er sie, wenn sie auftraten, als habe die Geschichte und
die Menschheit auf sie gewartet, könne sie nicht entbehren,
kümmere sich um sie oder lasse sich durch sie bestimmen.
Machten zufällige äußere Vorthelle, (Rang, Geburt oder
Reichthum) es solchen möglich, wenigstens den Schein an
zunehmen, als wären sie etwas, verlieh ihnen das Schick
sal die vorübergehende Macht, ihren Meinungen momenta
nes Uebergewicht zu geben, dann war es unmöglich, daß
Humboldt nicht seine schärfsten Worte brauchte, um die
hochmüthigen Sternschnuppen als das zu bezeichnen, was
ste waren.
Auch Varnhagen erkannte die Haltlosigkeit des Beste
henden und die Nothwendigkeit einer Veränderung, den
noch aber ist seine Weltanschauung nicht entfernt jenem
Humboldt
der er
nur
ein
^.ement, in das er hinabstieg aus den Höhen einsamer
Studien, die die eigentliche Wohnung seines Geistes bil
deten: für Varnhagen war diese Gesellschaft Alles. Ueber
ihr Niveau erhebt er sich nicht. Er haßt und durchschaut
sie, kann sie aber nicht entbehren. Ausführliche AufzeH
nunaen finden wir über die Qual, in diesen leeren Kr
fen sich drehen zu müssen, und auf den nächsten Sei
ten ein fast kindliches Wohlbehagen, sich mitten, darin
...... ^MrßgrG.
tigkeiten, ohne daß ihm nur ein einziges Mal Gelegenheit
geboten wäre, selbst zu fehlen. Unbeftiedigter Ehrgeiz und
Trieb nach Thätigkeit nagten an seinem Herzen.
Um die Natur dieser Verstimmung aber durchaus zu be
greifen und die Rücksichtslosigkeit gerecht zu beurtheilen, mit
der sich Varnhagen wie Humboldt eine Kritik der Menschen
und der Umstände erlaubten, muß die Beschaffenheit der
Zeit in Betracht gezogen werden, in der sie ihre Lugend
verbracht hatten. _ p , ^ ir rf t .
Es gab eine Zeit, in der Preußen und Deutschland im
heutigen Sinne nicht exiftirten. Beide waren vernichtet
durch Napoleon, beide hatten kaum eine andere Existenz
noch als m den Herzen einer Anzahl energischer Männer,
die, wie eine verfolgte Gemeinde in Europa zerstreut,, die
Begeisterung wach hielten uub endlich sich weiter vereini
gend die Kräfte heraufbeschworen, durch welche Preußen
und Deutschland gerettet wurden. Diese Männer wußten,
dass ohne sie vielleicht nichts geschehn und das Vaterland
für immer verloren gewesen wäre, sie durften sich, nachdem
die Rettung vollbracht, selbst eine höhere Stellung anwei
fen, als die bloßer Unterthanen, die in Gehorsam ihrer
Pflicht nachgekommen. ^ _ _ TW1
Zu diesen Männern gehörten Varnhagen und Humboldt.
Es soll hier nicht untersucht werden, in welchem Maaße
sie Anspruch hatten, sich dazu zu zählen, eS kommt nur
darauf an, anzuerkennen, daß sie unter denen thättg waren,
durch deren geistige Hülfe etwas geschaffen wurde, das vor
her nicht vorhanden war. Der Freimuth, der sich in spä
tern Zeiten dann als Spott und Hohn geltend machte,
war derselbe Freimuth, der in den Tagen der Noth ihr
schönstes Verdienst war. Hätten wir vom Jahre 1815 ab
ein fteies Staatsleben gehabt, in dem diesen beiden öf
fentliche Sttmme zukam, so wären uns Correspondem und
Tagebücher heute erspart geblieben.
Statt besten blieb einem Manne wie Varnhagen seine
schönsten Jahre hindurch das bloße Zusehen. Es ist nicht
zu verwundern, daß er entmuthigt den Druck empfand, der
auf Km lastete, daß er zumeist den Verfall sah und was
den Verfall beschleunigte. So mischte sich Bitterkeit in
seme Weltanschauung. Er vergab es der Welt nicht, daß
er alt wurde in einer verfehlten Laufbahn. Wo von gro
ßen Unternehmungen die Rede war, hob er das am liebsten
hervor, daß die Regierung sie ohne Unterstützung lasse, wo
von großen Men
gesten wären.
en, daß ihre
it Behagen und
wußte er diese dann darzustellen.
Schwächen doch nur ver-
id bewunderunc
Fülle von Material stand ihm zu Gebote, das ich in sei-
nen Tagebüchern doch nur zum kleineren Theile fixirt finde.
Entweder hat er Vieles niemals niedergeschrieben, oder es
ist beim Abdruck fortgelassen worden.
Warum hat er überhaupt diese Dinge so genau verzeich
net, so viel Unbedeutendes, Erbärmliches? Er hätte es nicht
gethan, hätte seine Arbeitslust nach irgend einer Seite hin
Befriedigung gefunden. Bei seinen schriftstellerischen Ar
beiten war dies nicht möglich, da er ste in Zeiten veröffent
lichen mußte, ui taten er seine wahre Meinung in ihnen
niederlegen durfte. Nur merken zulasten, wie er dächte,
hätte ihn um Titel, Gehalt und vielleicht auch um seine
Freiheit taugen muffen. Er durfte, wem er aus den Be-
fremngsknegen erzählte, weder sagen, wie er die Dinge wirk
lich erlebt hatte, noch wie er in semer Seele über dieieni-
gen. dachte, die dabei thättg gewesen waren. So entstand
das Bedürfniß, sich im Geheimen selbst zu berichten, eine
Gewohnheit ward daraus und schließlich eine Arbeit. Da
der Staat seiner enttathen wollte, machte er sich zum di
plomatischen Berichterstatter für sich selbst und es entstand
so Tag auf Tag diese Sammlung geheimer Depeschen zum Ge
brauche der Zukunft,die, wenn man die Zeiten betrachtet, zuderen
Beleuchtung sie besonders dienen müssen, als eins der be
zeichnendsten Phänomen für diese Zeiten selbst zu betrachten
find. Denn was wir bei so vielen Charakteren, die Varn
hagen erwähnt, als das Auffallendste gewahren: einen Wi
derspruch zwischen Wollen und Können, eine Wahrung des
Scheins um jeden Preis und das Aufgeben der eigenen
Tode zu einer Art von Dämon wird jür Viele, deren
Schwachen es angreift, mehr noch aber für seine besten
Freunde,, deren Worte er auf geschickte Weise zur Unterstützung
seiner eigenen Warnung benutzt und deren grtte Namen
er so innig mit dem /einigen in Verbindung zu brin
gen gewußt hat, daß es fast unmöglich scheint, über ihn ein
Urtheil zu geben, das jene nicht mitembegriffe. Denn das
Verletzende bei der Herausgabe der Varnhagen'schen Pa
piere liegt zum geringsten Theil darin, daß sie über viele
Personen böse Dinge enthalten. Wären alle die Beobach
tungen, die wir hier lesen Varnhagen's eigene Gedanken,
enthielten sie sem Urtheil allein, so möchten sie noch stärker
lauten. Varnhagen's Einseitigkeit tritt so deutlich überall
hervor, daß sich Jeder leicht darüber ttösten könnte, von
ihm
etadelt zu werden. Der
besteht hier jedoch aus denu was
er auf
aufgeho
drucke c
Hauptinhalt
as Andere il
seiner Bücher
. -- ihm gesagt ha-
und wo der Tod alle Re-
en hat, durch testamentarische Anord-
gelangen läßt. ~ L
Mg zum drucke gelangen läßt. Alexander von Dum-
üdt und Bettina von Arnim waren 30, 40 Jahre
tat, was
clamationen
nung zum Dru
boldtund Be HWDWWW
lang Varnhagens genauste Bekannte. Sie kamen zu
chm und sprachen sich aus über das, was ihnen
gerade die Gedanken beschwerte. Sie waren bald ver-
siimmt, bald erregt, bald auch nur in guter Laune sich recht
frei gehen zu lasten, nahmen über Gott, König, Verwandte
und Freunde kein Blatt vor den Mund, und sobald sie
den Rücken gekehrt, nottrt Varnhagen in der Stille was
er gehört, und auf seine Verfügung wird dies Manuscript
zu einer Zeit pubtart, wo Humboldt und Bettina freilich
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todt, viele von denjenigen aber, über die sie beide Varn
hagen gesprochen, noch am Leben sind und sich zum Theil
aus das empfindlichste beleidigt fühlen.
Es ist durchaus nicht Legen die Ehre, Memoiren zu
schreiben, in denen der Scandal der Welt niedergelegt
wird. Niemand bars behaupten, der Herzog von Saint
Simon, der zu Ludwig XI V. loyalsten Hofleuten gehörte und
in seinen Papieren ein Urtheil über diesen Souverain hin
terlassen hat, das mit nackten Worten dessen ganze prahle
rische Mittelmäßigkeit darlegt, habe durch Abfassung seiner
Denkivürdigkeiten, welche lange Jahre in den Händen der
Familie blieben, eine Ehrlosigkeit begangen; oder der Ce-
remonienmeifter der Päpste Julius des Zweiten und Leo
des Zehnten, in dessen Tagebüchern sich Nachrichten über
Beschaffenheiten dieser beiden Häupter der Christenheit be
finden, welche zu Luther's und Ulrich von Hutten's An
griffen die schlagendsten Belege bllden, habe durch diese
Allen Bemerkungen Verrath geübt an seinen Herrn. Sie
erlebten es, und mußten es aussprechen. Es liegt ein unbän
diger Trieb im Menschen, die Wahrheit zu sagen, sie, wenn
die öffenttiche Rede nicht erlaubt ist, einem sicheren Vertrau
ten mitzutheilen, oder wenn auch dies nicht angeht, im
Versteckten schriftlich wenigstens wo niederzulegen. Für den
Druck aber mit Absicht so zu schreiben, wie in Varnhagen's
Tagebüchern geschehen ist, muß als ein Mißbrauch des
Vertrauens bettachtet werden, der durch keine noch so ge
schickte Wendung mit dem Begriff der Ehrenhaftigkeit in
Einklang gebracht werden könnte. ....
Denn Jedermann wird fichlen, es liegt Feigheit in die
sem Verfchren. Nicht darin so sehr, daß im Geheimen ge
schrieben wurde, sondern daß es vertraute Reden von
Freunden waren, mit denen dies geschah. Ich dürste mir
erlauben, in schriftlichen Notizen ym eignen Gebrauch
und für die Kenntnißnahme zukünftiger Zeit schonungslos
aburtheüend über Leute zu reden, die ich als erbärmlich
durchschaut zu haben glaubte, ohne meiner Stellung nach
ihnen persönllch gegenüber auch nur die Miene verziehen zu
dürfen. Es könnten Vorgesetzte sein, von deren Willen
mein Schicksal abhinge. Riefe mein Chef mich eines Ta
ges zu sich, und zeigte auf das Blatt, auf dem von meiner
Hand geschrieben stände, er sei dies und das was nicht be
sonders schmeichelhaft klingt, so wäre das ein Unglück, aber
ich könnte ihn ebenso fest ansehn und fragen, durch welche
Untreue er in Besitz der Handschrift gelangt sei. Und
selbst wenn dergleichen nach meinem Tode durch Zufall in
die unrechten Hände geriethe und gedruckt würde, der Mann
müßte immer noch von mir sagen: er hat sich wenigstens
nie für meinen Freund gegeben. Was aber hätte der zu
erwiedern, dem ein alter Freund über Freunde, Bekannte
und Verwandte das Herz auszuschütten pflegte, so daß
Jahre lang dies Verhältniß des Verttauens und rückhalts
loser Mittheilung andauerte, und beide alt und grau dabei
würdm, und endlich käme zum Vorschein, es sei Alles von
demjenigen, der das Verttauen so empfing, aufgezeichnet
worden und in seinem Testamente die Bestimmung gettoffen,
gleich nach seinem Absterben sollten diese Papiere gedruckt
werden, ohne Rücksicht darauf ob diejenigen, über die so in
vorübergehender Erregung gesprochen worden war, auf das
empfindlichste dadurch gekränkt würden? — Was hätte er
zu erwiedern, wenn ihm, ehe es ihm gelänge sich unter den
Schutz des Todes zu flüchten, die Beweise einer so beab-
sichttqten Treulosigkeit vor Augen gehalten würden? Jeder,
auch'der fernstehendste, der von diesem Falle hörte, mußte
empört sein, denn Treue und Verttauen überhaupt würden
in Frage gestellt erscheinen plötzlich, und jeden ein
unheimliches Gefühl beschleichen, auch ihm könne mög
licherweise eine solche Schlinge gelegt worden sein.
Keine Vertheidigung giebt es ftir ein solches Verfahren.
Denn wenn auch Alexander von Humboldt Varnhagen ein
mal schreibt, er könne mit seinen Briefen machen was ihm
beliebe, so geschah dies in früheren Jahren und bezog sich
damals wohl nur darauf, daß Varnhagen seine Briefe, wem
er wolle, mittheilen dürfe. Keinenfallö enthält eö aber
die Erlaubniß, niederzuschreiben, was er Varnhagen über
die speziellsten Dinge mündlich anvertraute, und aar es jetzt
schon durch den Druck zur-.allgemeinen Kenntniß zu brin
gen. Ebensowenig lasten sich Betttna's Worte so auslegen,
welche einmal im Eifer ausruft: schreiben Sie es nieder,
Varnhagen, damit man eö später weiß. Wem entfährt
nicht einmal der Wunsch, es möchte dies oder das aufge
schrieben werden, weil es zu merkwürdig sei, und wer denkt
dabei an Druckenlasten? Varnhagen hätte nicht den Muth
gehabt, Humboldt und Bettinen sein Manuscript in die
Hände zu geben und hinzuzufügen, dies wird gleich nach
Eurem Tode als Buch erscheinen. Er hätte wohl gewußt,
was sie ihm darauf gesagt haben würden.
Unter diesen Umständen ftagt es sich doch, ob das, was
geschehen ist, Varnhagens Wille war. Dem Anscheine nach.
Warum deponirte er nicht seine Manuscripte an einem siche
ren Orte? Aber weil er dies nicht gethan, darum ist immer
noch nicht außer Zweifel gestellt, daß die Herausgabe auf
seine Anordnung erfolgt sei. Er, ein alter Mann, weit
hinaus als er starb über die Eitelkeit, literarischen Effekt zu
machen, durch Studium und eigne Erfahrung genau be
kannt mit dem, was in den Augen der Welt zu allen Zei
ten unveränderlich als gut und nicht gut, ehrenhaft und
nicht ehrenhaft gegotten hat, sollte nicht gewußt haben, daß
eine solche Handlung der Hinterlist die empfindlichste Ver-
ringennig seines eignen Ruhmes zur Folge haben müsse?
Zu gut mußte chm bekannt sein, daß nichts so sehr dm
Ruf eines Manneö beeinttächttgt, als Untreue gegen Freunde
und literarische Verrätherei. Unmöglich beinahe ist eö, an
zunehmen, er, dem auch das so wenig verborgen war, was
Ruhm bedeute, und dmt nicht bloß das allem als Ruhm
erschim, was, so lange man lebt, als der Anschein soge-
nannter Berühmtheit mühsam auftecht erhalten wird, hatte
in seinen -letzten Tagen Zllles dies vergessen und Bestim
mungen gettoffm, deren Folgen vorauszusehn er selbst am
besten im Stande war?
Es ist ein Berhängniß für ihn, daß wir dies so lange
dennoch annehmen müssen, bis das Gegentheil erwiesen
wird. wozu bei der Lage der Dinge wenig Hoffnung bleibt.
Berlin, 31. Dezember 1861. Herman Grimm.
Schicksale und Beobachtungen
amerikanischer Wallfischfänger an der Ostküste
von Sibirien.
II.
2lls der ersten Ruhe gepflegt war — und weiter war
hier auch nichts zu finden — machte Handy den Vor
schlag, auf Rettung der unterwegs zurückgelassenen Kame
raden auszugehen. Aber bei aller unter anderen Umstän
den bewiesenen Aufopferungsfähigkeit zeigte sich Niemand
bereit, den soeben zurückgelegten Pfad nochmals zu bette
ten, da es sündhafte Thorheit sei, wenn Lebende dem of
fenbaren Tode entgegengehen wollten, um einiger Leute
willen, denen schwerlich Hülfe noch etwas nutzen konnte.
So ging Handy allein und brachte die Gesuchten nach
erschöpfender Bemühung als Jammergestalten zu ihren
frohlockenden Gefährten zurück. Für Alle war es, seitdem
sie die Insel verlassen, die erste Nacht, wo sie sich ohne
Qual und Todesgedanken der Ruhe überlassen konnten.
Am folgenden Tage langten auf 3 Hundeschlitten drei
russische Soldaten an, welche Handy zu verstehen gaben,
sie kämen aus Tutkan mit dem Befehle, den Anführer
nebst zweien der Fremden vorzuführen. Handy that also.
Sie legten den 18 Meilen weiten Weg durch Gegenden,
wie sie sie schon kannten, aus Furcht vor Erfrieren, qröst-
tentheils zu Fuß zurück.
Tutkan zählt nur 4 Häuser und einige zwanzig oder
dreißig Einwohner, Tungusen; es unterschied sich von dem
schon bekannten Dorfe bloß dadurch, daß es bewohnt war.
Die Einwohner zeigten sich fteundlich, ohne jedoch mit
den Amerikanern m Verkehr zu tteten. Es war ihnen
nämlich' untersagt worden, ehe nicht Befehle in dieser be
reits gemeldeten Angelegenheit vom Obersten der Stadt
Udsk eingegangen. Während dessen wurden täglich je drei
von Handy's Leuten aus Schemakan herbeigeschafft. Nach
drei Tagen traf die Verfügung ans Udsk'ein, geschrieben'