© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27
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Dresdener Kunstbrief.
(Schluß.)
Die anderen Standbilder des Lutherdenkmals
nnd zwar zunächst an den vier Ecken des Sockels,
sind Savonarola, Huß, Wiclef und Petrus Wal.
dus, welche sitzend dargestellt sind. Friedrich der Weise,
Philipp der Großmüthige, Reuchlin nnd Me
lanit) thon, welche stehen auf den vier Ecksockeln einer
Art von Umfassungsmauer des Hauptmonuments, und
zwischen diesen letztgenannten Statuen wieder drei sitzende,
nämlich die personificirten Städte Speier, Augs -
b»rg und Magdeburg. Von allen diesen Statuen
ist bis jetzt nur der sitzende Wiclef im Großmodell, das
ganze Monument jedoch in der Skizze des Klein
Modells vollendet. Wie ersichtlich, handelt es sich
hier nicht bloß um die Darstellung eines einzel
neu deutschen Reformationshelden, sondern um die
monumentale Verherrlichung deö ganzen europäischen Re
formationswerkeö von dem Schlüsse des Mstt-lallers an
bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Reliefs und
Namen führen spezieller in dieses Reformationögelchicht-
Uche. Auch Wiclef, in tiefes Forschen versunken, ist eine
ehrwürdige Gestalt von künstlerischer Wahrheit und er
greifender Wirkung. — Außerdem enthalten die freundlichen
Atelierräume eine Masse Groß- und Kteinmodells deö Mei.
sters. von denen besonders die zu den fast rundbildlichen
mythologischen Theater-Hautreliefö den Geist wachrufen und
fesseln. — In langen Reihen erblicken wir ferner in dem
Atelier Rietschel'S seine Statuen und Reliefs zum neuen
Museum, Kleinmodelle zu Statuen und Monumenten, Bü
sten u. s. w. Doch Ri etsch el setzt sich nicht allein in seinen
Werken, sondern auch in seinen Schülern, zur Zeit acht, Ehren
denkmäler, und zwar namentlich in Kietz, welcher die
Statue des Nationalbkonomen List für Reutlingen
ausgeführt hat, welche nun nach Braunschweig zu Hu-
wa tdt wandert, um von ihm gegossen zu werden, und in
Dondorf, dessen Wartburgstandbilder, nach den Klein
Modellen in Rietschel's Atelier zu urtheilen, ein hervor
ragendes Talent bezeugen. Das Arndtdenkmal für
Bonn beschäftigt bis jetzt mehr noch seine Idee, als seine
Hand. Möge es nur nicht eine Mantelfigur werden.
Während Meister Rietschel mehr anfällig und ange
griffen als leidend ist, blüht der zweite große Bildmeister
Dresdens, Hähnel, in voller Mannskraft bei heiterer
Gemüthsweise. Seine Werkstatt, Eliassiraße 7., ist nicht
minder reich ausgestattet mit Modellen vollendeter Werke
der mannigfachsten Art, unter denen wir nur sein in Geis
und Form klassisches mythologisches Relief an der Süd
feite des Theaters, seine Statuen und Reliefs zum neuen
Museum, sein Mozartdenkmal für Salzburg mit einer
ausgezeichneten Reliefdarstellung der „Symphonie" und
lein Monument Karls IV. für Prag hervorheben. Auch
hier vermochten wir erst den hohen künstlerischen Werth
jenes mythologischen Theater-Reliefs zu erkennen, dessen
Platz noch unangemessener erscheint als die beiden Froxtispice
Reliefs Rietschel's, da, bei gleicher Höhe, die Gestal
ten dieser etwa um die Hälfte größer sind, als
die jenes. Wo ist da das ästhetische Harmonie- und
selbst das praktische Zweckmäßigkeits-Bewußte der Meister
von Hellas, der Erbauer des Parthenons, deö ErechtheumS,
der Tempel des Theseus und Jupiter Olympios? — Wir
fanden den Meister heiter und scherzend beschäftigt an
seinem Kleinmodell zur Equesterstatue Schwarzen
berg'S für Wien.
Um nun ein Bild zu entwerfen von der hiesigen
modernen Malerei, erachten wir es für das Ange
messenste, die Leser in den Saal deö „sächsischen
Kunstvereins" auf der Brühl'schen Terrasse zu führen
Hessen Lokal vor wenigen Tagen erst nach einer Horti
Cultur.Ausstellung dem Publikum wieder eröffnet wor
den ist. Eine Dresdener Malerschule, im alten Sinne
deö Wortes, also eine Künstleraenossenschaft, deren Werke
ein concreteö stylistisches und coloriftisches Charakterae
präge tragen, existirt nicht. Jeder geht seinen eigenen
Weg. Der Eine, besonders was Genre und Landschaft
anbetrifft, schließt sich mehr an Berlin, der Andere, na
mentlich durch die Einwirkung Hübner's, an Düssel
dorf, ein Dritter an Frankreich und Belgien, ein Vierter
endlich an die älteren Niederländer an in ihrer Gtanz-
poche in den ersten und mittleren Jahrzehnten des 17.
Jahrhunderts. Die Ausstellung, nicht zahlreich, enthäÜ
doch einige recht interessante und werthvolle Kunstwerke.
Der Tod des Adonis nach Theokrit von Kießling ist
künstlerisch gedacht nnd empfunden, stylvoll componirt,
correct gezeichnet, nur schwach im physiognomischen Aus
druck und im Colorit; Wendler's alte Frau mit einem
Kinde, ganz im Charakter E. Meyerheim's, ist voll
künstlerischen Gefühls in Erfassung und Ausführung und
verdient ein sehr gutes Zeugniß; als ein gewand
ter Militair- und Schlachten-Maler erweist sich der
Ober - Lieutenant von G ö tz in seiner Episode
der Scklacht bei Bautzen; der bereits durch mehrere
Genregemälde von Bedeutung bekannte Meno Mühlig
bat ein verdienstliches Bildchen ausgestellt, ein „Krebs*
euchten", Förster und Bauern mit Fackeln in einer Mond
nacht beim Krebsfange in einer Bergschlucht; Karst's „am
Brunnen", eine Bauersfrau, welche einem Mägdlein zu
trinken giebt, ist ein zart empfundenes und sorglich behan
deltes Bild im Charakter deö Meyer von Bremen; tüch
tig im Portrait ist Scholtz, wie sein männliches Bildniß
beweist; ein frisches, heiteres Gefühl und ein liebevolles
Eingehen in die Reize der Natur bei gediegener künstle
rischer Durchführung erfreut unö in Leonhardi's „Früh
lingslust; während sich Hohn eck der französisch-belgischen
Landschastsbehandlung anschließt, namentlich Rousseau
und Fourmois, folgt Seydel den Spuren der älte
ren niederländischen Tradition, vornämlich eines Ruys-
dael und VynantS; ein recht ansprechendes, talent
volles Bildchen ist eine beschattete Hütte, von C. W.
Müller; als ArchitecturmalerglänzenChoulant,inseiner
„Tiberinsel" ein glücklicher Nachahmer C a n a l e t t o's, Hahn
in seiner „Albrechtsburg bei Meißen", und Werner in sei
nen Aquarellen „der Kaisirsaal in dem Rathhause zu.
Goslar mit den Wandgemälden von M. Wohlgemuth"
und „das Innere der Kirche zu Spalatro in Dalmatien",
wie sich überhaupt als Aquarellisten noch auszeichnen
Schmelzer und Williard, der in seiner „Herbstland
schaft" die Aquarellmeister Hildebrandt und Hoguet
sich zum Muster genommen zu haben scheint: Ein bedeu
tendes, ideenreiches Compositionstalent hat Dresden in
dem vor Jahresfrist verstorbenen Bruno Weiske ver
loren. Von seinen ausgestellten geistreichen, meist die An
tike in antiker Weife behandelnden, Zeichnungen ist beson
ders ein Blatt hier bemerkenswerth, die „Mineralwässer",
eine friesartige Composition von Kindergruppen im Cha
rakter W. v. Kaulbach'ö. Der als Compositeur be
rühmte Genelli in Weimar sandte eine eigenhändige
Conception zu einem Theatervorhange nach den Dichter
worten:
„Der Leidenschaften wüstes Heer, dem Schooß der alte»
Nacht entstammt,
Die stille Schaar der Tugenden, aus Licht geboren,
lichtumstammt,
Der Nemesis, des Fatums Walten, —
Ihr schaut es hier in Traumgeüalien."
Die allegorischen und mythologischen, im Mittelfelde zu
zwei Hauptgruppen zusammengeschlossenen, Gestalten find
groß, antik gedacht nnd componirt in tragischem Pathos.
— Kellner's, in Nürnberg, Glasgemälde, hier der heil.
Sebaldus und drei Blatt aus dem „Leben der Maria"
nach Dürer, gehören bekanntlich zu dem Besten der mo
dernen Cabinetöglasmalerci. — Daö letzljährige treffliche
Vereinsblatt ist ^Tezel's Ablaßpredigt" nach dem Carton
vonTrenkwaldm Wien gestochen vonFriedrich hierorts.
Doch die hiesige Kunsithätigkeit der Gegenwart nur nach
den Vereinsauöstellungen beurtheilen zu wollen, wäre ein
großer Fehler, und gäbe nur ein höchst unvollständiges
Bild. Weiter einzugehen in diese modernste Kunstgeschichte
Dresdens gestattet uns jedoch der Raum dieser Blätter
nicht. Wer sich eine genauere Kenntniß von den Werken
und Richtungen der meisten hiesigen Künstler verschaffen
will, den verweisen wir auf die Säle des Museums.
Dresden, den 20. November. N. F.