Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Personen, ihr Leben und Werk

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27 
M >296. Erste Beilage zur Kömgl. privilegirten Berlinischen Zett-mg, 
Sonntag den 16. Dezember. 
1MU 
Alexander von Humboldt. 
(Briefwechsel und Gespräche Alexander von Humboldt's 
mit einem jungen Freunde. Berlin, Franz Duncker. 18^1.) 
Als die Zusammenstellung von Briefen und Gesprächen, 
welche zwischen Humboldt und Varnhagen gewechselt wor 
den sind, veröffentlicht wurde, war ihr Eindruck ein tief 
gehender. Das Publikum verschlang die Blätter, die ihm 
hier geboten wurden, und zwar em Publikum aus allen 
Ständen. 
Darüber herrschte kein Zweifel, daß mit den so aller 
Welt zugänglich gemachten Vi rtraulrchkeiten (denn Ge 
heimnisse waren es nicht) ein Mißbrauch getrieben sei, den 
nichts entschuldigen könnte. Wir sind durch die Zeitungen 
daran gewöhnt, Meinungen, Charaktere und sogar Privat 
verhältnisse rücksichtslos öffentlich behandelt zu sehn. Allein 
dergleichen beleidigt kaum mehr. Jedermann erkennt den 
Einfluß der momentanen Erregung. Die sich berührt fühlen 
antworten entweder, oder ignoriren den Angriff. Allewelt 
aber vergißt bald, was so gesagt worden ist, und Niemand 
möchte darum auf Preßfreiheit Verzicht leisten wollen. 
Wird die Sache zu arg. so kann man sich an die Gerichte 
wenden. Was aber soll geschehen, wenn die einschneiden 
den Aeußerungen eines verstorbenen Staatsmannes, die 
im geheimsten'Gespräch einem andern Staatsmanne gegen 
über gethan worden sind, sich plötzlich aufgezeichnet und 
gedruckt finden? 
Denken wir uns eine in bester Eintracht tebrnbc auS- 
gebreitete Familie. Verstimmungen, welche sich in gereiz 
ten Worten Luft machen, können auch in ihr nicht aus- 
bleiben. Sie liegen in der Natur der Menschen und ent- 
stehen überall. Mit der Erregung aber schwindet auch die 
Erinnerung daran, und trotz der bösesten Reden, die hier 
oder dort vielleicht gefallen sind, bleibt die allgemeine Einig, 
keit und daS Vertrauen das alte. Nun plötzlich aber ent 
deckte sich, nehmen wir an, es sei eine unsichtbare Hand 
immer dann thätig gewesen, wenn gerade am empfindlich, 
sten Dieser oder Jener sich über Bruder, Schwester, sogar 
über Eltern oder Kinder geäußert, und all diese Dinge 
fänden wir aufgezeichnet und gedruckt vor. Es wäre nicht 
möalich, ein stärkeres Gift zu ersinnen, um mit einem 
Schlage den geschlossensten Kreis zu sprengen. Immer 
wieder würde Jeder neu lesen, in unvertilgbarer Schrift, 
was der Andere über ihn gesagt, und das Vertrauen fortan 
vernichtet sein. 
Etwas ähnliches geschah mit der Herausgabe der Briefe 
und Gespräche Humboldt's. Varnhagen war zuletzt noch 
einer der wenigen gewesen, die die alten Zeiten durchleb 
ten. Zu ihm kam Humboldt dann und wann und über 
ließ sich dem freien Ausdrucke dessen, was ihn ärgerte, be- 
trübte und belastete. Was in seinen Briefen steht, ist in 
geringerem Maaße verfänglich, feine mündlichen Aeuße- 
rungen aber, die, wenn er wieder gegangen war, von 
Varnhagen notirt wurden, enthalten das für Viele uner 
träglich Beleidigende. 
Der Unterschied zwischen geschriebenen Gedanken und 
mündlicher Rede ist der, daß man dort stets etwas weni 
ger zu sagen pflegt als man denkt, hier aber leicht etwas 
mehr sagt als man gedacht hat. Dieser Unterschied ist so 
stark, daß man sich beim Schreiben immer auf das beru- 
fen darf, was man, abgesehen von den einzelnen Worten, im 
Ganzen sagen wollte, was zwischen den Zeilen steht. Wer 
etwas schreibt, denkt nach und fordert Nachdenken, wer et 
was spricht, empfindet und fordert Empfindung, deshalb 
gebraucht er stärkere Accente. Ich kann einem Manne 
schreiben, er gefalle mir nicht, in einer Art, daß jeder auö 
dem Satze herausliest, ich hätte ihn einen elenden Kerl 
nennen wollen, dagegen wenn ich mündlich die schärfsten 
Ausdrücke gebrauche, bedeuten sie immer nur, daß 
ich in einem bestimntten Momente auö einer be- 
stimmten Ursache mich zu diesem oder jenem Worte hinrei 
sen ließ, daö, je durchdringender es klingt, nur die gestei 
gerte Leidenschaft, die mich selber beherrschte, zum Aus 
druck bringt. Solche Aeußerungen deshalb sind wahr und 
unwahr zu gleicher Zeit, und derjenige, der ein gesprochenes 
Wort hinter dem Rücken dessen, von dem es ausgeht, nie 
derschreibt und in die Welt schickt, begeht ein Unrecht. 
Wenn wir also Humboldt's Briefe ohne seinen Auftrag 
herausgegeben, seine Worte ohne sein Wissen aufgezeichnet 
und gleichfalls gedruckt sehen, so fällt diese Handlung dem 
allein zur Last, von dem sie ausgeht, und zwar bedarf es 
hierzu keines besonderen Verdictö, sondern die Sache rich 
tet sich selbst. Es giebt ein Jedermann bekanntes Gesetz 
des Erlaubten und des Nichterlaubten. Wer dagegen 
fehlt, empfängt dadurch schon, daß er fehlt, seine Bestra 
fung, und es findet keine Appellation statt, denn es existirt 
weder Kläger noch Gerichtshof. Kläger ist die vollbrachte 
That selbst, und Gerichtshof das Gefühl des Publikums. 
Jetzt, wo daö Buch den Reiz der Neuheit verloren hat, 
ist eö wohl erlaubt, diese Bemerkungen über sein Erschei 
nen aufzuzeichnen. Die Heftigkeit des ersten Urtheils hat 
sich gemildert. Man ist sich bewußt geworden, daß die 
Angriffe, die cs auf noch unter uns weilende Persönlich 
keiten enthält, von diesen abgeglitten sind als wären sie 
nicht geschehen, eine Erfahrung, die noch überall gemacht 
wurde, wo gegen lebende Männer auch did schärfsten und 
sogar die gerechtesten Dinge gesagt worden sind. Es ist, 
als könnte an den Menschen, so lange sie da sind, kein 
Urtheil Anderer haften bleiben, es wird wie Kleider ab 
getragen und verschwindet. Statt dessen tritt Humboldt's 
Charakter, wie er sich in den Briefen und Gesprächen 
zeigt, immer mehr als der eigentliche Inhalt heraus. Er 
ist todt. Ueber ihn beginnt sich ein bleibendes Urtheil 
zu bilden, und die Frage muß beantwortet werden, waS 
für die Anschauung seines innersten Wesens hier zu ge 
winnen sei. 
Er -hatte so lange Jahre gelebt, daß man ihn fast noch 
als einen Lebenden nahm. der ein Pamphlet gegen seine Zeit 
genossen in die Welt schleuderte Man begann inne zu 
werden, daß er todt fei. Es sind die Worte eines ver 
schwundenen Mannes, die so sehr beleidigten. Eines Man- 
neS, dem, so lange er lebte, nichts imponirte als die wahre, 
wirkliche Arbeit zum Nutzen der Menschheit, dessen unab 
lässiges Wirken im Dienste der Wissenschaft uns wie ein 
Riesenwerk vor Augen steht, und der, ich spreche eö aus, 
auch in diesem Buche nirgends seinem Charakter untreu 
wird. 
Denn waS sich seinen Aeußerungen entgegensetzen ließe: 
der Vorwurf des verletzten Vertrauens, der nachweisbare 
Widerspruch, in den er selbst verfällt, wie sich auö seinen 
eigenen Briefen beweisen ließe vielleicht, in denen er je 
nach verschiedener Richtung hin dieselben Dinge lobend 
und tadelnd zugleich erwähnt, die erwiesene Einseitigkeit, 
mit der er oftmals Persönliche Verhältnisse auffaßt, ändert 
dennoch nichts in der Sache. Er hat Personen, die er 
mit Varnhagen im Gespräch auf niedrige Stufe stellt, 
Schmeicheleien ins Gesicht gesagt, hat schlechte Bücher 
und Leute, die eö nicht verdienten, gelobt und prote- 
girt, hat geschwiegen wo er mit starker Stimme hätte 
sagen können, was seine wahre Meinung war — al 
les daö eingeräumt: in der ächten Stimmung, die 
Wahrheit zu sagen, wußte er sie stets zu finden und 
in scharfe Worte zu kleiden. Geben wir jenes zu, als 
eine weniger ideale Entwicklung seines Wesens, welche 
durch den Zwang der Verhältnisse vielleicht zu einer 
Lebensnothwendigkeit wurde, halten wir aber um so fester 
auch am andern und fühlen wir. daß hierin das wahrhaft 
Unvergängliche seines Charakters liegt. Er hätte gewiß 
mit allen Kräften zu verhindern gesucht, daß frisch nach 
seinem Tode so sein Andenken preisgegeben würde, wenn 
er die Möglichkeit hätte ahnen können, aber da es einmal 
geschehn ist und das Geschehene sich nicht wieder unge 
schehen machen läßt, so erkennen wir in Humboldt's Worten 
daö eigne Gefüllt über die Unerträglichkeit der Zustände, 
denen wir heute entronnen sind, und bestärken uns in dem 
Urtheil, welcher Antheil bestimmten Personen daran M 
zumessen sei. In dieser Beziehung ist das Erscheinen des 
BuchcS von historischer Bedeutung. Es schlug ein. Keine
	        
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