Full text: Zeitungsausschnitte über Veröffentlichungen von Herman Grimm: Über Personen, ihr Leben und Werk

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 27 
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Vorwor t. 
Tie Werke Goethes gehören zu den kostbarsten Besitz- 
thümern des deutschen Volkes. Was Homer für Griechen 
land, Dante für Italien, Shakspeare für die Länder 
bedeutet, in denen englisch gesprochen wird, das ist Goethe 
für alle die, welche wohnen, „soweit die deutsche Zunge 
klingt". Wären Homer und Dante nicht gewesen, so 
würde die Geschichte ihrer Völker nicht den Anblick glän 
zender Schönheit bieten, der sie umgiebt. Zukünftigen 
Geschlechtern werden aus Shakspeare^s und Goethe's 
Dichtungen unsere Zeiten von ähnlichen Glanze überstrahlt 
"ZZZZZ-, ! einmal entgegentreten. Ein Vorgefühl, dem wir vertrauen, 
! sagt uns, daß dem so sein werde. 
Goethes letzte Mühe war der Ausgabe seiner Werke 
gewidmet, die als „Ausgabe letzter Hand" erschien. Die 
von ihm zum Drucke geordneten Schriften, welche nach 
seinem Tode erst herauskommen sollten, wurden als 
„Nachlaß" von Eckermann und Riemer dieser Ausgabe 
hinzugefügt. So sehen wir Goethes Haus in Weimar 
bis in die äußersten Tage des Dichters von lebendiger 
litterarischer Arbeit erfüllt. Auch als er gestorben war 
schien sein Auge über seinen Werken noch zu wachen. 
Ein Gefühl von Ehrfurcht, das wir hegen, läßt die An 
schauung entstehen, als ob die großen Männer auch als 
Todte noch nicht völlig Abschied genommen hätten von 
den irdischen Werken. Der Sage nach umreiten die in 
Erz aus erzenen Rossen thronenden Fürsten in tiefer Nacht 
ihre Stadt und halten Umschau: so glauben wir auch 
die großen Dichter und Denker in fortwirkenden Gedanken 
über uns waltend. Goethe schien noch da zu sein. Es 
wurde die ersten Jahre nach seinem Hinweggange leise 
gesprochen in Dingen, die ihn betrafen. 
Allmählich aber kam die Frage nach dem im ver 
lassenen Hause lagernden handschriftlichen Nachlasse auf. 
In den dreißiger Jahren hatte die Ausgabe letzter Hand 
den Litteraturfreunden genug gethan, im folgenden Jahr 
zehnt machte sich das Verlangen kund, dem Ursprünge der 
Werke aus die Manuscripte hin nachzugehen. Die bis 
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dahin in sehr geringem Maße gedruckten Briefe erschienen 
nicht mehr ausreichend, ein Bild von Goethes vertrauterem 
Verkehre zu gewähren. Den Dichter kannte man, man 
wollte mehr, nun auch vom Schriftsteller und vom 
Menschen, wissen. Von dem Manne, Alles in Allem, 
der jedem Deutschen so nahe steht. Auf Herausgabe der 
Papiere wurde gedrungen. Sie waren zürn größten 
Theile in den Besitz der beiden Enkel Goethes, Walters 
und Wolfgangs übergegangen. An diese richteten sich die 
Wünsche und Anfragen. Sie blieben erfolglos. Den 
älteren Litteraturfreunden ist der Unmuth wohl erinner 
lich, der neben den Gefühlen des Respectes, auf den die 
Träger eines solchen Namens stets Anspruch behielten, 
ihnen gegenüber Platz griff. Endlich mußte man sich 
sagen, daß die Gründe dieser Zurückhaltung nicht er 
sichtlich seien und daß es kein Mittel gebe, eine Änderung 
herbeizuführen. Die Goetheforschung nahm ihren Gang 
weiter als ob das Goethearchiv nicht da sei. Nur ein 
Gefühl noch bewegte zuletzt die, welche ihre Blicke darauf 
gerichtet hielten: die Frage, was geschehen, wenn Walter 
v. Goethe, dem Wolfgnng, der jüngere Bruder, voraus 
gegangen war, seine Augen schlösse. Denn die Furcht, 
es könne der Nachlaß der Zersplitterung anheinifallen. 
war nicht abzuweisen. 
Den 18. April 1885 starb Walther v. Goethe. Den 
folgenden Tag ward sein am 24. September 1883 er 
richtetes Testament eröffnet. Niemand wird ohne Be 
wegung die Bestimmungen lesen, in denen der letzte Nach 
komme Goethes zum letzten Male seine Stimme erhebt. 
Mit richtigem Urtheil und Gefühl war das, was er 
selbst nun nicht mehr behüten konnte, endlich den rechten 
Händen anvertraut worden. Der Familie Karl Augusts 
mußte die Goethes sich doch am nächsten verbunden 
fühlen: die Großherzogin Sophie von Sachsen wurde 
zur freien Erbin des litterarischen Goetheschen Nachlasses 
eingesetzt. „Ich ernenne", lautet der Schlußparagraph des 
Testamentes, „zur Erbin des v. Goetheschen Familien 
archivs, wie solches bei meinem Tode sich vorfindet, Jhro 
Königliche Hoheit die Frau Großherzogin von Sachsen. Es 
umfaßt gedachtes Archiv die großväterlichen von Goethe- 
fchen Schriftstücke, Akten u. s. w., ferner das Privat 
archiv meines Großvaters wissenschaftlichen, poetischen, 
litterarischen, administrativen und familiären Werthes, 
soweit sie sich in dem gedachten Archive vorfinden. Möge 
Jhro Königliche Hoheit die Frau Großherzogin dieses 
mein Vermächtniß, ich sage besser dieses Goethesche Ver- 
mächtniß, in dem Sinne empfangen, in dem es Höchst- 
derselben durch mich entgegengebracht wird, als ein Beweis 
tiefempfundenen, weil tiefbegründeten Vertrauens." 
In den Besitz eines so hohen geistigen Gutes und 
dem deutschen Volke gegenüber in eine so verantwortliche 
Stellung eintretend, faßte Ihre Königliche Hoheit jetzt 
eine Reihe folgenschwerer Entschlüsse, zu deren Ausführung 
Sie sofort vorging. Der schriftliche Nachlaß Goethes 
sollte zu einem Goethearchive mit besonderer eigener Ver 
waltung erhoben werden. Eine neue umfassende Lebens 
beschreibung sollte in Auftrag gegeben, eine neue Aus 
gabe der Werke auf Grund des nun sich im vollsten 
Umfange darbietenden Materiales veranstaltet werden. 
Ihre Königliche Hoheit berathschlagte zuerst mit Gustav 
v. Loeper. Dann wurde Wilhelm Scherer zugezogen. 
Als Träger dessen, was in Goethes Namen begonnen 
worden war, trat unter dem Protectorate Seiner König 
lichen Hoheit des Großherzogs eine „Goethegesellschaft" 
zusammen. Auf der im Juni 1885 stattfindenden con- 
stituirenden Versammlung wurden all diese Gedanken 
öffentlich entwickelt. Die Präsidentschaft der Gesellschaft 
übernahm Eduard Simson. Die Ausgabe der Werke wurde 
G. v. Loeper, Scherer und Erich Schmidt anvertraut, 
welche die Grundsätze aufstellten, nach denen verfahren 
; \' j v werden würde, und die Mitarbeiter wählten. Als Director 
des Goethearchives wurde E. Schmidt von Ihrer König 
lichen Hoheit berufen, während das Goethe-Nationalmuseum 
in Carl Ruland seinen Director fand. 
Einen schweren Schlag empfing diese unter den glück 
lichsten Aussichten ins Leben tretende Organisation durch 
Scherers Tod. Schon crn der ersten Generalversammlung, 
welche der Präsident zum Mai 1886 einberief, hatte 
Scherer sich nicht mehr betheiligen können. Damals 
hoffte man noch, daß Gesundheit und Arbeitskraft wieder 
zugewinnen sein würden. Im Mai 1887 mußte von 
dem in der Blüthe seiner Jahre uns entrissenen Manne 
schon als von einem längst Dahingegangenen gesprochen 
werden. Schmidt gieng nun nach Berlin, worauf Ihre 
Königliche Hoheit Bernhard Suphan an seine Stelle berief, 
der, zugleich mit Herman Grinnn, in die Direktion der 
Ausgabe eintrat. Auch Bernhard Seuffert, der erste 
Generalcorrector der Ausgabe, wurde in die Direction 
aufgenommen, welche nun aus fünf Mitgliedern besteht. 
Die „Ausgabe der Großherzogin Sophie von Sachsen", 
deren erste Bände jetzt erscheinen, bildet, wie gezeigt worden 
ist, nur ein Glied in einer Reihe von Unternehmungen. 
Mit bedeutenden Beträgen wird für Unterhaltung und 
Bereicherung des Goethe-Nationalnmseums Sorge getragen, 
dessen Schätze zudem durch die Bereitwilligkeit der Goethe 
schen Jntestaterben in ehrenvoller Weise verrnehrt worden 
sind. Dem Goethearchiv haben Ankäufe von Manuskripten 
und Büchern eine Vollständigkeit gegeben, die es, heute 
bereits, in den Anfängen seines Bestehens, zum Mittel 
punkt der Goethe betreffenden wissenschaftlichen Arbeit er 
hoben. Goethes, seit einem halben Jahrhundert so gut 
wie verschlossenes Haus steht, dem deutschen Volke neu 
geschenkt, offen wieder da. Die Räume, in denen er 
lebte und arbeitete, können betreten werden, unberührt 
als habe er sie eben verlassen. Es ist als sei die Arbeit 
seiner letzten Tage in frischem Ausschüße wieder ins 
Treiben gekommen. 
Allgemeinem Gefühle nach wird der neueren deutschen 
Litteratur der ihr gebührende Antheil an der Erziehung 
unseres Volkes nicht mehr lange versagt bleiben. Die 
diesem Gebiete des Wiffens sich zuwendende Arbeit wird 
dann zu höherer Wichtigkeit aufsteigen. Als Dichter und 
Schriftsteller wird Goethe einen Rang bei uns einnehmen 
wie er ihn zuvor nicht inne hatte. Aber auch als Mensch 
wird er Allen nun erst so erscheinen wie er war. Bisher 
wußten nur Wenige von ihm, die sich aus dem gesammten 
Umfange seines Thuns und Wirkens diese Kenntniß mit 
Mühe holten. In Zukunft wird Jeder nun leicht wissen 
können, wie einer der größten Männer Deutschlands von 
Tage zu ^vage gelebt hat. Die neue Ausgabe seiner 
Werke wird als das Merkmal eines geistigen Umschwunges 
gelten, von dem heute nur als etwas Zukünftigem die 
Rede sein kann, von dem die Zukunft aber als von etwas 
Vollbrachtem sprechen wird. 
Das Leben der Enkel Goethes sollte kein von Sonnen 
schein überstrahltes sein: auch auf sie fällt ein be 
ruhigendes mildes Licht. In der angeborenen großartigen 
Gesinnung, die sie niemals verleugneten, haben sie durch 
ihre letzten Entschlüsse doch den Anstoß zu dem gegeben, 
was heute geschieht. Dem Großvater wieder nahetretend 
sind sie durch geistige Bande neu mit ihm vereinigt. 
Neben der Großherzogin Sophie von Sachsen, der Nach 
folgerin der Herzoginnen Amalia und Luise, werden 
Walter und Wolfgang v. Goethe einst genannt werden, 
wenn das neue Aufblühen der von Goethe ausgehenden 
litterarischen Bewegung in Deutschland datirt werden soll. 
Herman Grimm. 
Adresse des Herrn Verfassers: 
Ragaz, Schweiz 
Hof-Ragaz. 
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