Full text: Zeitungsausschnitt über Marie Rehsener

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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 22 
aus : Unterhaltungsbeilage der Täglichen Rundschau, 
Nr. 32, 1917, Feb. 7, S. 126-127 
Marie Rehsener. 
E i n Lebensbild. —-- Von M. v. Graevenitz. 
Ein stilles, nach außen ganz anspruchsloses Leben ist am 
21. Januar 1917 zu Ende gegangen. Marie Rehsener schloß 
nach langen, mit rührender Geduld getragenen Leiden die müden 
Augen im Evangelischen Stift zu Freiburg i. B., wo sie mit ihrer 
Schwester über sechs Jahre gelebt hatte. Ein .Kreis treuer Freunde 
folgte ihrem Sarge,, der auf dem schönen, vom. Kranz der Schwarz 
waldberge behüteten Freiburger Friedhof zur Ruhe bestattet wurde. 
So still dies jetzt beendete. Leben schien, so reich und innerlich 
bewegt ist es gewesen. Denn Marie Rehsener mar eine reich und 
vielseitig begabte Künstlerin, deren Schaffen und Lebcnsgang auch 
einem weiteren Kreise von Interesse sein wird. Eine edle, tief 
innerliche, durch und durch ideal veranlagte Natur war die Ver 
blichene. 
Ihre Wiege stand im hohen Norden Deutschlands, in Memel, 
in dem gemütlichen alten Pfarrhaus, wo sie am 24. Dezember 1839 
geboren wurde und mit ihrer drei Jahre jüngeren Schwester 
Johanne heranwuchs. Ihr Vater war Prediger, ein edler Mann, 
dessen mildes, glaubensstarkes Christentum auf alle Kreise seiner 
Gemeinde einen großen Einfluß ausübte. Er hatte eine reiche, 
vielseitige Bildung, die er seinen Töchtern mitteilte. Seine Kunst- 
liebe, die für oae öwir, ftge Zeit und seinen weit von allen Pflege- 
stätten der Kunst entlegenen Wirkungskreis selten und bedeutend 
war, hatte seinen Gesichtskreis erweitert und vertieft. Seine 
Gattin, eine Kurländerin, befaß das leidenschaftliche, empfängliche 
Temperament ihrer Heimat in hohem Grade. 
Das idyllische Jugendleben der beiden Schwestern wurde jäh 
unterbrochen durch den furchtbaren Brand Memels im Jahr 1854, 
der den größten Teil der Stadt vernichtete und auch das Pfarr 
haus in Asche legte. ■ Die heimatlos Gewordenen mußten mit den 
Resten ihrer Habe flüchten. Auf grundlosen Wegen, unter schwieri 
gen Verhältnissen fuhren sie Tage und Nächte nach Zierau in Kur 
land, wo die Eltern der Mutter im schön gelegenen Pastorat lebten. 
Dort verbrachten die jungen Schwestern mit der Mutter ein schönes 
glückliches Jahr. Die patriarchalischen Verhältnisse in Kurland, der 
Verkehr mit der liebenswürdigen Familie des Patronatsherrn, 
Baron v. Manteuffel, dis entgegenkouunend« Gastfreundschaft der 
Kürländer ließen die Vertriebenen ihr schweres Loos leichter tragen. 
Nach dein Tode der Eltern verließen die Töchter die Heimat, 
da beider Gesundheit das rauhe Klima nicht vertrug. Auch zog 
es beide unwiderstehlich liach Süden, den Zentren der Bildung 
und Kunst entgegen. Ein heißer Wissensdrang lebte in ihnen, den 
der Utrterricht des Vaters altgeregt unb genährt harte. Ihr nun 
beginnendes Leben kann man fast ein Wanderleben nennen. Es 
führte sie nach München, Rom, Tirol, Baden-Baden, Wiesbaden, 
Venedig, Gossenfaß. 
Wohin das Schicksal die beiden Schwestern führte, überall 
haben sie mit feinem Verstehen dem Pulsschlag des Volkes gelauscht, 
haben sein Eigenstes zu erkunden gewußt und mit Feder und Stift 
festgehalten. Besonders in Tirol, in Gossenfaß, wo sie jahrelang bei 
einfachen guten Menschen wohnten, haben sie gesammelt und 
gearbeitet, und vieles Kostbare vor dem Untergang und dem Ver 
gessen bewahrt. Die „Zeitschrift des Vereins für Volkskunst" (be 
gründet von K. Weinhold, Berlin) enthält von 1891 bis 1969 regel 
mäßige, anregend und fein geschriebene Beitrage von Marie, die 
Iohaitnas Hand mit feinen Zeichnungen geschmückt hat. Da finden 
wir charakteristische Porträts der Einwohner, ihre alten, schönen 
Gerätschaften und Möbel, ihre Schnitzereien und ihre Blumen und 
Baume, die uns einen Begriff ihrer schönen bodenständigen Kunst 
und Kultur vermitteln. Die Freude am Volkstümlichen, am Echten 
und Bodenständigen blieb Marie bis zum letzten Atemzuge! Aber 
diese Betätigung ihrer feinen Beobachtung war nur eine Aus 
strahlung ihrer reichen Begabung. 
Früh schon zeigte sich bei ihr ein ausgesprochenes Mufiktalent, 
und durch guten Unterricht und fleißiges Studium erreichte sie einen 
hohen Grad im künstlerischen Klavierspiel. Ein besonders weicher 
Anschlag war ihr eigen und eine perlende Technik. Mit leiden 
schaftlicher Liebe vertiefte sie sich in Beethovens Schöpfungen, und 
es gelang ihr, auch seine letzten tiefsinnigen Werke mit feinem Ver 
ständnis zu spielen.
	        
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