33. Jahrgang
hatte, und daß der Konsul hiervon Herrn Voderberg Mitteilung
gemacht haben könnte. Daher blieb er mit einem melancho-
lischen Gesicht ruhig am Tisch stehen und nahm die Einladung
der beiden Herren an, im Wagen mit ihnen in die Stadt hin-
unterzufahren. Als sie abfuhren, stand der Zigeunerprinz am
Wagenschlag und hielt bettelnd seinen spitzen Hut den drei
Herren entgegen. Don Jgnazio rief ihm einen spanischen
Fluch zu, daß der Zigeuner erschreckt den Hut zurückzog. Er
verbeugte sich tief, als die Pferde anzogen und sagte nach Art
spanischer Bettler: „Gott schütze euch, meine Brüder!"
Während der Wagen durch den hohen Buchenwald rollte,
holte Herr Voderberg die Telegramme aus der Tasche und
machte mit einem silbernen Bleistift Notizen auf die Tele-
grammformulare. Don Jgnazio und Herr Meves sprachen
kein Wort und sahen geflissentlich aneinander vorbei.
Vor der Post ließ Herr Voderberg halten und stieg aus,
um ein paar Telegramme aufzugeben. Don Jgnazio be-
gleitete ihn. Der Konsul saß allein im Wagen. Ihn quälten
keinerlei moralische Erwägungen, aber er hatte ein nervöses,
unheimliches Gefühl: wäre diese ganze Sache doch erst
vorbei!
Er zuckte ein wenig zusammen, als er einen blassen Mann
um die Straßenecke biegen sah, weil er im ersten Augen-
blick glaubte, Herr Löwenberger sei aus Sevilla angekommen,
und er nahm sich vor, Herrn Voderberg nach dem abgeschlosse-
nen Handel zuzureden, Granada sofort zu verlassen.
Endlich kamen die beiden Herren aus der Post zurück.
Der Weg führte durch enge Straßen an einem
steingefaßten Flußbett vorbei, und hoch über ihnen thronte
die gewaltige Alhambra. Auf einem Nachbarfelsen,
umstanden von Zypressen und eingefaßt von blumen-
übersäten Terrassen, flimmerte der Gener-al-ife. Der
Himmel war seidenblau und schien in seiner strahlenden Schön-
heit nichts gemein haben zu wollen mit all dem, was hier unten
in den engen Straßen von Granada vor sich ging.
Endlich hielt der Wagen vor einer eisenbeschlagenen Tür,
die in eine dunkle Mauer eingelassen war.
Don Jgnazio öffnete die Tür mit einem großen Schlüssel,
und die drei Männer traten ein in einen blumenbestandenen
Hof. „Treten Sie ein!" sagte der Don. „Hier ist mein be-
scheidenes Haus." In der Mitte des Hofes flammten pur-
purne Kamelien, und der Abglanz der Farbe brannte auf den
Säulen eines verwitterten Bogenganges.
Don Jgnazio ging voran. Er stieg eine breite Treppe
empor, und auf der oberen Galerie des Säulenhofes blieb er
stehen. Unter den drei Männern leuchtete der blumenbestan-
dene Hof: es war ein brennendes Meer von Purpur. Einige
Palmen stiegen aus der dunkelroten Glut empor, fein geädert,
in der Farbe dunkeler Barylle, und über die kahle Mauer hin-
weg leuchtete wie ein Stern der Gener-al-ife.
In Don Jgnazios Gesicht war kindliches Staunen und
Andacht: er war ehrlich von der Schönheit dieses Anblicks vor
ihnen überzeugt. „Das ist Spanien," sagte er leise.
(Fortsetzung folgt.)
Briefe von Betsy Meyer.
An C. F. Meyer.
Ein goldner in wundervoller Arbeit.
In einer Waffenhalle fand ich ihn
Als höchste Zier.
Und immer liegt der Helm mir in Gedanken,
Des Meisters muß ich denken, der ihn schuf,
Bin ich bei dir!
Detlev v. Liliencron
Als im Jahre 1904 die Erinnerungen Betsy Meyers an
C. F. Meyer M waren, da wandelte mich,
glühende Verehrerin Conrad Ferdinand Meyers, die Lust an,
ihr brieflich ein paar Worte darüber zu sagen! Ich ahnte nicht,
wo sie sich aufhielt, und schrieb auf gut Glück nach Rilchberg,
dem Wohnsitze des Dichters, wo seine Familie noch lebt. Nach
kurzer Zeit schon erhielt ich ein sehr liebenswürdiges Schreiben,
das ein Bild ihres Häuschens in Veltheim enthielt, und dessen
Inhalt mich so fesselte, daß ich beschloß, die Schreiberin, ihrer
Einladung folgend, zu besuchen. Ein herrlicher Julitag des
Jahres 1904 brachte mich mit meiner Tochter nach Veltheim
in das Chalet Rischmatt. Ich hatte erwartet, eine Greisin zu
finden— es empfing uns aber schon auf dem Bahnhöfe eine
stattliche Frauengestalt von imposanter Haltung, deren Augen
in jugendlichem Feuer strahlten. Weiße Haare umrahmten
ein geistvolles, fast männliches Antlitz, eine Ähnlichkeit mit
ihrem Bruder war unverkennbar. Ungebeugt von der Last
der Jahre, sie war damals 73 Jahre, war sie von einer spru-
delnden Lebhaftigkeit. Es wurden unvergeßliche Stunden, die
wir in ihrem reizenden, von Erinnerungen aller Art ange-
füllten Hans verbrachten. Sie hatte in hohem Grade die
Gabe des Erzählens — zum Greifen plastisch ließ sie uns
Menschen und Dinge aus ihrer Erinnerung lebendig werden,
plauderte sie von ihrem geliebten Bruder, von seinen letzten
schweren Jahren, von der gemeinsam verlebten schönen
Jugendzeit. Und als die Scheidestunde schlug, verließen wir
sie mit dem Bewußtsein, daß uns ein geistiges Band verknüpfe,
das nicht wieder zu lösen war.
Und so wurde es auch! Jahrelang blieb ich im Brief-
wechsel mit der genialen Frau, ich, die so viel Jüngere, wurde
in rührendster Weise von ihr verwöhnt! Das erste Weih-
nachtsfest nach dieser Bekanntschaft brachte mir ein schönes,
wenig bekanntes Bild des Dichters, das ohne sein Wissen (er
mochte nicht photographiert sein) von ihm in Davos 1896
gemacht worden war; es war sein letztes Bild. Er war
damals schon krank! Ich besuchte sie seitdem, so oft ich nach
der Schweiz kam, fast jährlich, und nie vergesse ich den letzten
Eindruck, den ich vor zwei Jahren empfing! Sie stand am
Bahnhof Mildegg ans einen Stock gestützt. „Die Füße wollen
nicht mehr", sagte sie lächelnd, aber Geist und Humor waren
der nunmehr Achtzigjährigen nicht abhanden gekommen. Auf
dem schönen Schlosse Wildegg durfte ich den "Nachmittag mit
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