© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 20
aus : ? , 1926|
Elisabeth von Heyking.
persönliche Erinnerungen zum 1. Todestage
der Dichterin.
Von
Erich Mosfe.
Es gibt Menschen, Dichter, die ihre Sehn
sucht, ihren Glauben, ihre Leidenschaft in ein
Werk werfen: man begreift sie, fängt sie auf
in diesem Werk und ist betroffen, bei persön
licher Bekanntschaft etwas ganz anderes zu
finden, die dunkle Larve eines armen Irdi
schen, das sein Unsterbliches, feine Essenz, sein
Bestes von sich gegeben. Aber es gibt auch
jene andern, deren eigentliches Gesicht durch
kein Buch, keine Form auszusagen, das stumm
bleibt vor der Menge unter nur geahnter
Maske, und dessen feine Züge einzig jenen
wenigen sich öffnen, die Zufall, Wille oder
Schicksal gnädig zu unmittelbaren Betrachtern
hat werden lassen.
Ich erinnere mich jener kleinen Münchener
Gesellschaft von sechs Personen, da Elisabeth
von Heyking zum erstenmal neben mir saß,
hochgestrafft den kleinen, vom Leid zermürbten,
damals schon kranken Körper, während der
feinö weißhaarige Kopf üher dem kurzen Her
melincape, mit den etwas müden Augen, die
Länder und Schicksale einer halben Welt be
griffen, schweigend vorgebeugt, den lebhaften
Gesprächen folgte. Beim Abschied gab sie mir
die Hand, richtete das erste Wort an mich:
„Kommen Sie nach Crossen, besuchen Sie mich
auf meinem Schloß, kommen Sie für ein paar
Tage."
Was war das für ein fremder, seltsamer
Mensch, der schweigend eine Stunde neben
einem saß und dann zu sich lud? Wer war
diese Baronin v. Heyking?
Ich wußte von jenen „Briefen, die ihn nicht
erreichten", wußte, daß sie die Enkelin der Bet
tina von Arnim, daß sie als Gesanütcnfrau
z. Zt. jener erregenden Boxeraufstände in
Peking, daß sie in Mexiko gewesen, in Aegyp
ten nnd als erste Europäerin der rätselhaft ge
waltigen Kaiserin-Mutter von China gegen
übergestanden. Aber all das wäre kein Grund
gewesen, dieser ebenso plötzlichen wie seltsamen
Einladung zu folgen, war man nicht in dieser
ersten Stunde schön angerührt und zuinnerst
bewegt von einer Grazie, einer Musikalität der
Güte, die, durch das Alter eher verstärkt,
Triebfeder, Inhalt und Sinn dieses einzig
artigen Lebens bedeutete.
Stach ein paar Monaten war ich, von Gera
ans, böi ihr. Diese Burg, der alte Stammsitz
der Flemmings, ist wie ein traumbewahrtes
Mittelalter, dicke Mauern im Viereck, ein alter
Hof. Der eine Flügel Geschäftsräume, von
der Baronin bewohnt, der zweite für die Gäste.
Ja, hier zeigte sich das Seltsame, hier und
nur hier drückte sich Geist und Wesen dieser
einzigartigen Frau irr unmittelbarer Gestal-
tmrg ans: Gegenstände, kostbarste Schränke,
Teppiche, Bilder,-zusammengetragen und ge
sammelt aus der ganzen Welt, hineingesetzt
scheinbar bunt durcheinander in diese riesen-
hohen Räume und doch gebändigt durch uner
hörten Geschmack, durch den Geist einer alten,
angeborenen Kultur zu edelster Harmonie und
Zusammenklang eines Ganzen.
Nie wieder bobe ich Reichtum so tragen
sehen, nie von innen her so durchseelt empfun
den, wie hier. Zu jeder Mahlzeit dekorierte
sie selbst den- Tisch, suchte die Blumen aus,
wand die Bänder dazu passend über das wergc
Linnen. Aber nicht dieses war es, nicht der
äußere Glanz dieses Geschmackes, sondern jene
wärmende Güte, jenes zutiefst Menschliche, das
diese schicksalsbeschwerte Frau nach dem Klein
sten, forschen ließ, was die Menschen neben ihr
ancstug, was sie freute und bedrängte, dreie
Uebersülle eines Menschlichen, einer Liebe, die
das Erbe schien der Bettina, die aus dem
eigenen Schicksal bewiesen, aus eigener Not
der Seele und die nun zwangshaft sich über
alles breiten mußte, was neben ihr war, in
Tröstung und mütterlichster Sorge.
So konnte sie nicht mehr allein leben,, so
waren Gäste, Gesellschaft erlesensten Geistes
stets um sie, zwei Dichterinnen damals, cm
Maler, ein Minister, ein Dichter, ein bekannter
Literarhistoriker und ein Jndologe: alle wohn
ten sie in jenem Seitenflügel, allen war ihr
Zimmer persönlich eingerichtet, alle waren sie
für ein paar Tage hier, und nie wurden diese
Zimmer leer, keiner ging weg, ohne neuen
Mut, neue Kraft aus diesen Tagen geschöpft
zu haben.
Heute gedenke ich jenesNachmittaas, wo
wir allein durch die Pracht der sclbstgepflanz-
ten Blumen gingen, durch die Sommerpracht
des weiten, verwachsenen Parkes: da blieb sie
plötzlich stehen, das Gespräch verstummte und
mitten aus der Stille, mitten aus furchtbarster
Einsamkeit kam das Bekenntnis: „Mein Mann,
meine beiden Sühne sind in einem Jahre ge
storben, verstehen Sie — ich bin eine alte
Frau."
Nein, sie war ni^t alt. Sie blieb jung und
wird es immer bleiben. Weil die Liebe in ihr
war und die Wärme. Die in uns, die wir sie
kennen durften, weiter leben wird: über ein
Grab hinaus.