© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 20
Ball-Maxime n.
Von Stefan Großmann.
Man soll nicht nur mit den
Beinen tanzen. Der Tänzer muß
es im Gesicht stehen haben, inan
muß es seinen Augen, seinem
Mund, der Haltung seines Kopses
ablesen können: Jetzt tanze ich.
Es ist ein Verrat am Tanz,
Gespräche mit einem Dritten über
den Kopf des Partners hinweg
zu führen. Man müßte das Recht
haben, eine Dame auf der Stelle
stehen zu lassen, wenn sie dem
Tanz so wenig hingegeben ist, daß
sie imstande ist, mit einen: Dritten
zu konversieren.
Es gibt, besonders unter den
Deutschen, eine Unbeholfenheit der
Tänzer, die ausdrucksvoller ist als
die billige Routine der seelenlosen
Gewandtheit.
Der natürliche Tänzer ist vom
Tanz zart angeheitert, der gemeine
Tänzer hat die Herrschaft über sich
und den Tanz verloren und zeigt
das unangenehme Bild des Be
trunkenen.
Ernfahrt in das Schloß Crossen bei Gera,
den Wohnsitz der Baronin von Heyking.
Mitglied . . . Darf ich Sie zu
den Unsrigen zählen?"
„Das haft Du jetzt von den:
ewigen Herumlaufen," seufzte
Herr von Tarnotzy.
„In, dns h«b' ich dnvon,"
erwiderte sie triumphierend.
„Endlich komme ich in direkten
Verkehr mit Ihrer Exzellenz."
„Cs geht nicht. Ich hab'
lein Geld, liebe Hermine, für
derartige Dinge."
„Derartige Dinge! Wie Du
das betonst! Cs sind die wich
tigsten Dinge. Jahrelang habe
ich daran gearbeitet, bemerkt
zu werden, Beziehungen an-
zuknüpfen, danüt man vorwärts
kommt. Ich freunde mich mit
der Ministerin an — sie lädt
UNS zu ihren Abenden. Ein
mal fehlt ein Vierter zum Ta
rock — da springst Du ein.
Du bist ja ein Tepp — aber
selbst Du kannst Staatssekretär
werden. Wenn man nur Vro-
tektion hat. Ein Esel, der's
nicht ausnutzt. Wenn ich herum
renne, mich abmühe, sorge ich
nur für die Fannlie. Oder
glaubst Du, es macht mir Ver
gnügen, fremde Kinder zu be
kleiden? Christbäume in
Spitälern anzuzünden, wo ich
mich vor Kranken so eile?"
„Entschuldige, es ist neun
Uhr, ich muß . . ."
„Albert!" rief Hermine be
schwörend. „Denk' an die Zu
kunft unserer Kinder!"
„Ja, ja," rief er aus der
sicheren Hut des Treppenhauses.
„Eben darum. Sollen unsere
Jungen in: Winter nackend lau
fen ?" Vernichtet blieb seine Frau
zurück. Sie kannte ihren Mann.
In Geldsachen — da wird der
lleine, verhexte Ministerial-
Inneres der Schloßkirche von Crossen.
Phot \V. Titzenthaler.
Aus dem Shakespeare-Cyklus im Berliner Deutschen Theater:
Albert Bassermann als König Lear.
Frau Tarnotzys
feinster Coup.
Novelle von M. Roda Roda.
ie saßen beim Frühstück
— der Herr Ministerial-
sekretär Tarnotzy und
seine Frau.
Der Briefträger warf die
Post ins Briejkästchen und
klingelte. Frau von Tarnotzy
ging hinaus. Im Zurückkommen
schnitt sie mit der Haarnadel
den feinen gelben Umschlag
auf. Ward rot wie eine Mohn
blume und gleich darauf blaß.
„Was ist denn los?" fragte
Tarnotzy und blickte ängstlich,
unbehaglich auf.
Die Frau hielt ihm das
wappengeschmtickte Billett hin.
Von Ihrer Exzellenz dcr Mini
sterin. Der Mann las: „Liebste
Frau von Tarnotzy! Seit Jahr
und Tag fehlen Sie bei keiner
jener Veranstaltungen, deren
Ertrag der leidenden Mensch
heit Milderung schaffen soll.
Ich habe Sie bei Wohltätig-
keitssesten tätig am Merk ge
sehen, opserheischend und opscr-
bringend. — Zum Krieg braucht
man Soldaten. Diese Zeilen,
meine beste Frau von Tarnotzy,
wollen Sie zu einem neuen
mildherzigen Unternehmen wer
ben ..." — Herrn Tarnotzys
Augen glitten rascher über die
steile Sacrecoeurschrift Ihrer
Exzellenz und pickten nur noch
einzelne Wörter heraus: „. ..
nahender Winter . . . warme
Kleidchen... Donnerstag nach
mittag . . . zur Bildung eines
Komitees . . . jede Dame hun
dert Kronen als gründendes
Zeitbilder
Ein interessanter Vergleich: Die Damenmode vor 3000 Jahren
Asiatische Statuette aus dem 8. Jahrhundert v. Chr.
und heute.
Moderne Abendtoilette.
sekretär zum Helden; er duldet alle Foltern, aber er
gibt nicht nach.
Es gibt, es gibt im äußersten Fall noch einen
Weg — den durchs Wasser; das Wasser ist eiskalt,
der Grund führt vorbei an Schwester Luise. Sie hat
es fett, die Luise. Hat allen Eitelkeiten entsagt
und einen Klempner geheiratet, der sich Fabrikant
schimpfen ließ.
Morgens, mittags und abends bestürmte Frau
von Tarnotzy ihren Gatten, zwei Tage lang.
„Meine liebe Hermine," sagte Tarnotzy endlich,
„ich werde Dir am 24. November, an Deine::: lieben
Geburtstag, zweihundert Kronen übe'rgeben, wie ich
Dir's versprochen habe. Hundert Kronen für die
Knaben — für Winterpaletots, Schuhe und Kappen.
Hundert Kronen als Geschenk. Dafür sollst Du Dir
den Marderkragen kaufen, ::::: den Du Deine Schwester
Luise so sehr beneidet hast. Mehr ist nicht da. Und
Schluß."
Da blieb Herminen nur der eine, der spitzig ge
pflasterte Weg offen. Ohne zu zögern, beschritt sie j
ihn. Sie zog ihr altes Kostiim an und fuhr zur j
Schwester. In kleinen Schritten ging sie über den i
Fabrikhof, umdröhnt von blechernem Schlag.
„Herrje — die Ehr' I" rief Luisens spöttische i
Stimme schon von der Veranda her. „Was seh' ich?
Die Frau Ministeriarsekretärin."
„Guten Tag, liebe Luise. Ich wollte wieder ein- !
mal sehen, was Du machst. Wie geht's?" Sie um
armte die Schwester und küßte sie links und rechts.