Full text: Zeitungsausschnitte über Elisabeth von Heyking

© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 20 
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Reih und Glied und sagte: „Sehen Sie, so stehen sie richtig, 
meine lebendigen Orgelpfeifen." 
Das war, nach dem Zeitmaßstab der Enkel, nun schon lange 
her, denn damals, als der gelehrte Herr gekommen war, der von 
der Orgel in seinem Buch erzählen wollte, hatte man erst ein 
paarmal die Jahreszahl mit einer neun nach der eins zu schreibe 
begonnen. Seitdem waren Jahre vergangen, und die drei-Enkel 
waren immer langer in die Höhe geschossen, so daß Großmamas 
damaliger Vergleich mit den Orgelpfeifen mehr und mehr 
stimmte. — Das Gymnasium hatten die beiden altern längst 
Puter sich, und auch der jüngste saß schoit in der Prima. Während 
der Schuljahre hatten sie viel lernen müssen. Bei manchem freilich 
hatten sie die Empfindung gehabt, daß sie es für die Prüfung 
zwar behalten müßten, gleich nachher aber sicher vergessen würden, 
weil es von lauter Leuten und Ländern handelte, die sie nichts 
angingen.. Daneben hatten sie aber auch einiges erfahren, das 
Ite me wieder aus ihren jungen Köpfen herauslassen würden, 
wen ste es als zu sich gehörig empfanden. Ländlich bodenständige 
Rinder waren die drei und wurzelten mit allen Herzensfasern 
m «m Stückchen Erde, das sie Heimat nannten. Bei Spielen 
wollten sie auch nie Römer, sondern immer Germanen sein, lind 
als thuen ihr damaliger Hauslehrer sagte, die Römer hätten jene 
Germanen Barbaren genannt, da lachten sie nur und riefen trotzig: 
uv?. mas ' Urbaren! Unsre Vorfahren waren es!" Die Ee- 
lM'chte ihrer Gegend kannten sie ganz genau lind wußten, welche 
Schlosser ursprünglich Burgen gewesen, die die Deutschen gegen 
me Wenden errichtet hatten. Es war aber auch eine Gegend, 
über die sich viel lernen ließ, und weltbekannte enthielt sie, 
bet deren Nennung man stolz oder traurig werderr konnte, je 
nachdem. Im Herzen Deutschlands, wie der Hauslehrer sagte, 
lag ja Großmamas Schloß, und auf Fußwanderungen oder auch 
mit dem llluto, das Großmama feit einigen Jahren besaß, ge« 
langte man leicht an die berühmtesten Stätte. Erfurt, wo Luther 
studMte, tcrntru die Knaben aus solchem Ausflug kennen, rind 
die Wartburg besuchten ste, wo or wohkgchütet gesessen. Der 
furchtbare Krieg, der dann über Deutschland gekommen, halte 
gerade m ihrer Gegend so manche Erinnerung hinterlassen. S« 
Magdeburg waren sie m dem Dom gewesen, der allein nach dem 
Brchbd bei dsr Dillyschen Belagerung Übriggeblieben, und in 
Wettzenftls kanntet, ste das Zimmer, wohin Gustav Adolfs Leich» 
von Lutzen aus gebracht worden. Auch erfüllte es sie rnit Stolz, 
daß zwei Siege Friedrichs des Großen, bei Roßbach und Torgmr, 
auf ihrem nähern Heimatboden erkämpft worden waren. Aber 
mich jüngere Begebenheiten hatten sich nicht wett von Großmamas 
schloß zugetragen. Saalfeld gehörte zur Nachbarschaft, und nach 
Jena oder Leipzig konnte mm, in einstündiger Fahrt gelangen. 
Und weil sie diese Orte von klein auf kannten, waren die napo- 
leonischen Kriege für Großmama's Enkel wie Selbsterlebtes. 
Ihr Schloß selbst hatte in jenen Jahren viele Einmrartienmgett 
gesehen- an den Türen einiger Zimmer standen noch die Namen 
verbündeter österreichischer Offiziere, die damals darin gewohnt, 
und diese Aufschriften wurden sorgfältig bewahrt. (Forts, folgt.) 'j 
Die (Otoelpfeifen. 
Von Elisabeth Heyking. 
(Fortsetzung aus Nr. 23.) 
Jo, damals war rhr Deutschland zum letztenmal der K-M'pst 
platz der Völker gewesen Kriege hatte es seitdem freilich noch 
gegeben, aber sie waren von den Deutsch',, in Feindesland 
getragen morden. Und unter diesen neuem Kriegen sab es einen, 
ver ging die drei Krnben ganz besonders nahe an. Das war der 
Krteg 70, denn in dem war der Großpapa gefallen rmd 
wich der älteste Sohn von Großmama, der als achtzehn' 
lähriger Freiwilliger hinausgezogen und nicht heimgekehrt 
tvar, Ihr »gner Vater, Großmamas zweiter Sohn, 
»vor damals noch auf der Schule gewesen, zu jung, um 
nüt ins Feld ztt können. „Gottlob," sagte Großmama 
leise, als sie ihnen davor, erzählte, so leise, daß man dies Dankes- 
wort kaum hörte, denn sie war nicht ganz sicher, ob sie d«s vor 
den Enkeln eigentlich sag«, durste. Den Enkeln, die doch w er 
zogen wevdm sollten, daß das Fehlen "kräftig führender Mannes 
^häiche nie an ihnen gemerkt würde. Aber dem ererbt kriegerischon 
Sinn der Knaben schadete solch le?ses Wort nichts. Wenn sie auf 
den Steintafeln an den Wänden der Kirche die Namen der toten 
Vorfahren lasen, so erfüllten sie inaner jene mit besondern, S^oiz. 
die in Kriegen das Leben gelassen. Und es waren ihrer gar manche- 
Am andächtigsten stimmte ste die Gedenktafel für den Eroßva.er 
und den jungen Onkel, die beide draußen im Kampf gegen Frauk- 
reich geblieben waren. „Prachtvoll! mit achtzehn Jahren fürs 
Vaterland fallen zu dürfen!" dachten sie dann immer alle drei, und 
die drei Herzen klopfen dabei zum Zerspringe»,.
	        
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