y Ms einem Tagebuch.
Von Elisabeth v. Heyking.
Einmal auch verbrachte ich. Allerseelen in Venedig.
Silbern war die Stadt an jenem Tage, umwoben vom
wehmütigen Zauber einer ergrauenden Schönen. Bis-
wellen brach ^ein Sonnenstrahl durch den Dunst. Dann
glühten plötzlich alle eben noch erloschenen Farben in neu
gewonnener Jugend auf, und es war wie verklärendes
Lächeln, das über welke Züge huscht. Schirokkolust Lastete
schwer. Lautlos glitt die Gondel durch dre trägen
schwer. Lautlos glitt die Gondel durch me trägen Wasser
der Kanäle, vorbei an dem bröckelnden Gemäuer ver
schwiegener Gärten, den tragisch blickenden Palästen, hinaus
f tr Lagune, wo die Insel liegt, da die Toten wohnen. —
iele Gondeln fuhren dorthin, still und schattenhaft, mit
dem lang schleppenden schwarzen Tuche über dem geheimnis
voll geschlossenen Verdecke — so recht die Schiffe für eine
Trauerfahrt. Doch auch offene Barken folgten, gefüllt mit
lauten Menschen, denen dies ein Fest sein mochte, wie jedes
andere auch. — Dann auf der Insel: eine Stadt beinah diese
Behausung der Gestorbenen. Gar zuviel toter Stein für
die Toten.
Bleierner wurde der Himmel, die Gondoliere mahnten
zur Rückkehr. Stemmten sich dann kräftiger gegen den
aufböenden Wind. Wellen begannen die glatte Flache zu
heben. Es schwankten die schwarzen Schiffe der Trauer.
Eine allgemeine Flucht der Lebenden ward es von der
Insel der Toten, um noch vor dem Sturm die Stadt zu
erreichen. — Verfallen, wie eine plötzlich von tödlicher
Krankheit Ergriffene, log sie nun da im fahlen Lichte,
beraubt von der Sonne, der Schminke alternder Städte.
Und jede Furche in ihrem Antlitz unbarmherzig enthüllt.
Verwitterter noch als vorhin das Gemäuer um die un
heimlich verschwiegenen Gärten, tragischer die Fassaden der
düstern Paläste. Das Wasser an der Piazzetta, in den
Kanälen, plötzlich schlammiggrün geworden mit schaumigen
Wellenkämmen. Möwen, die dicht über dem unheilvoll
gurgelnden Wasier kreisen, die Schwingen bis in den
weißen Wogengischt tauchen, nach treibendem Unrat
schnappen, kreischend aufflattern. — Ein Aufatmen, als
endlich die Gondel vor dem Portal des Palastes hält und
wir wieder auf der alten Steintreppe stehen, deren rissige
Stufen viel höher als sonst von den klatschenden Wellen
überspült werden. — Die Gondoliere haben die Hüte ab
genommen, wischen sich ostentativ die Stirn.
Die ganze Nacht heulte der Sturm. Die Kamme
raunten von allem Unheil und nie entdeckte? Schuld- Die
knisternden Seidenbespannunaen der Wände wisperten von
lauernder Tücke und schleichender Verleumdung. Und
schwieg der Wind einen Augenblick, um Atem zu holen zu
neuem Schreien, so drang aus der Tiefe das Rauschen des
aufgepeitschten Wassers, und es stöhnte von ungesühnten
Verbrechen, von Kerker, Folter und Mord. — Höher noch
mochten die Wogen branden, wilder die Winde wehen
draußen in der Lagune um die Steinstadt der Toten.
Doch nicht nur in unserm Erdteil erlebte ich Allerseelen.
In Mexiko sah ich den seltsamen Jahrmarkt, der tage
lang vor dem Feste gehalten wird. Einzigartiges Spielzeug
wurde da in den Buden feilgeboten: winzige Särglein, in
denen Püppchen als Tote liegen, Schädel aus Kernen ge-
! schnitzt, kleine hölzerne Gerippe und Kuchen, verziert mit
Totenköxfen und gekreuzten Knochen aus buntem Zucker
guß. Spielzeug, berechnet für die Kinder einer stärkster
Nervenreizung bedürfenden Rasse. Und die zerlumpten
indianischen Kleinen greifen denn auch gierig nach den
grausigen Dingen, während die Väter, mit den schläfrigen
Augen unter den hohen spitzen Hüten, die Mütter, in den
ewig schl-ampigen Tüchern, vor den Buden in den
Vorräte mitnehmen muß.