Full text: Zeitungsausschnitte über Elisabeth von Heyking

Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 20 
bringen und rasch in die Arme zu legen. Erstaunt, nicht 
verstehend sah sie mich an. Ich aber tauchte wortlos unter 
zwischen den vielen hastenden Menschen. Vermochte es 
nicht über die Lippen zu bringen: wohin ich am liebsten alle 
Blumen der Erde trüge, kann ich es nicht, weil ich ja nicht 
einmal weih, wo das ist — da bist du ooch reicher als ich. 
Aber nun sind die Kränze verkauft, die Blumenläden 
geschlossen. Feuchtkalt lastet aus der großen Stadt der 
graue Tag der Toten. Ich sitze nachmittags in meinem 
freudlosen Hotelzimmer, und meine Gedanken gehen mit 
den vielen Kranzkäufern, die heute zu den Kirchhöfen pilgern, 
zu den alten mit den verwitterten Denkmalen inmitten der 
Stadt, zu den neuen weit draußen, den kahlen, wo der Wind 
an den jungen Bäumchen zerrt. — Die langen, langen Züge 
glaub ich zu scheu — so viel länger noch als in den fern 
schon scheinenden Jahren, da die Menschen untereinander 
nicht so sehr Todesbringer zu sein versuchten, als gerade 
durch gemeinsamen Kamps gegen den Tod Vereinte! — Sie 
ziehen und ziehen, endlose Reihen schwarzer Gestalten, ver 
schwimmend im dunkler und dunkler sich neigenden Tage- 
Aber mir ist, als trügen sie alle ein Leuchtendes in den 
Händen, in den hoch emporgehobenen Händen —• das sind 
ihre eigenen armen Herzen, gebrochene Herzen, blutende 
Herzen. Ein seltsamer Glanz strahlt davon aus, er loht 
hinauf zum Himmel: So haben wir gelitten! So! 
Wer sie zu heilen vermöchte, all die einsamen, ge 
marterten Herzen auf der weiten Welt! — Denn nicht nur 
hier, nein, allerwärts ziehen ja solch lange Scharen hinaus 
zu den Gräbern, in allen Ländern, auf der ganzen gram- 
erfüllten Erde. 
Und hier in der Dämmerung sitzend, et 
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Da taucht vor mir auf. aus nebligen 
seelen, das ich als Kind zuerst L “ 
Vorüber “ ~ 
»er manchen Orte, wo ich das Totenfest feiern sah. 
„ < Fernen Aller- 
. ln Baden-Baden erlebt. — 
war die Fremdenzeit, verschwunden wie bunte 
Zugvögel die vielerlei Gäste, die gekommen, um sich von der 
Sonne der Majestäten bestrahlen zu lassen und selbst darin 
zu glänzen. Geschlossen stand die Villa Mesmer. Ein 
gezogen war die gelbrote Fahne auf dem Schlosse. Die 
Buden am Konversationshaus ließen ihre Rollladen zum 
Winterschlaf herab, an den Hotels senkten sich die Jalousien 
wie müde Augenlider. Die Allee, in der höchste und be 
rühmteste Persönlichkeiten noch eben gewandelt, lag leer- 
Von den sich entlaubenden Eichen sanken die Blätter lautlos 
herab, lagen feucht und braun auf den Wegen. Ueber den 
Lichtentaler Wiesen, wo die letzten Herbstzeitlosen blüten, 
schwammen bläuliche Dunststreisen, und von den Felder« 
her wehte der brenzlich scharfe Rauch des Kartoffelkrauts,, 
das da verbrannt wurde. Der ganze Ort hatte plötzlich 
etwas Abgestorbenes. Die Glocken läuteten Allerheiligen, 
und es zog die Prozession feierlich durch die Straßen: sie 
läuteten Allerseelen, und zu dem hoch gelegenen Kirchhof 
wallsahrteten schwarz gekleidete Menschen, die Kränze und 
Sträuße trugen. Viele von ihnen hatten rotverschwollene, 
tränende Augen. Ich glaube, es war das erstemal, daß ich 
mit Bewußtsein große Menschen weinen sah. Ich konnte es 
zuerst nicht recht fassen. Es schien so unwahrscheinlich und 
wollte gar nicht in meine Weltvorstellung passen. Tränen 
waren mir bis dahin als das unvermeidliche Los der 
Kinder erschienen, weil sie sich den Erwachsenen eben nie 
recht verständlich machen konnten und es da immer Miß 
verständnisse geben mußte. Aber daß diese Großen, Starken, 
deren Leben ich mir so herrlich frei gedacht, auch weinten! 
Gab es denn noch Stärkeres als sie selbst? Und "welch ge 
heimnisvollen Kummer bürdete es ihnen auf? Würde er 
auch mich dereinst treffen? — Es war, als habe mich die 
dunkle Schwinge eines aus dem §>erbstnebel gespenstisch auf 
tauchenden Vogels plötzlich gestreift. (Fortsetzung folgt.) ,
	        

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