© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 20
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Auf dem Bahnhof dann, in dem sich senkenden Nebel, ein Ge
wühl von Pferden und grämn Gestalten, das zuerst unentwirrbar
schien und sich dann doch rasch ordnete. Je sechs Mann und sechs
Pferde in jeden der bckrämten Waggons. Dis Pferde zu drei und
drei au den Leiden Schmalseiten stehend, rmt den Köpfen nach der
MM, wo Reiter, Sättel, Satteltesthen und Ehköree verstaut
waren. — Mit fünf Freunden van der Prima, gleich ihm als
Fahnenjunker eingetreten, «wir der jüngste Enkel untergebracht. An
der offenen Schiebetür stand er, und Großmama steckte ihm Rosen
an, wie es alle Mütter taten. „Keine Bai lg«, Großmama", sagte
er, „wir werden's schon schassen." — Großmama aber bangte
gar nicht gerade darum.— Doch nun kam der zurückÄWbendeWachr-
Meister, der die ausrückende Ersatzfchwadro«, unter viel Schnupfen
und Fluchen- in den wenigen Wochen mühsam ausgebildet hatte,
noch einmal den Zug entlang gelaufen. In jeden Wagen steckte
er residierend den breiten, raten Kopf, auch in den der sechs
PrimcnM. „Na Kinderchen", sagte er, „kommt mir, man ja
gesund wieder heim." Und Großmamas Enkel stand stramm vor
denn Gestrenge'.;: „Zu Befehl, Herr Wachtmeister, wollen seyen,
was sich machen läßt." Dann hub die Musik zu blasen an, ein
Zittern ging durch die Wagenrechen, die Räder begannen sich zu
drehen, unter Gesang, mit wehenden Tuckern und letzten noch hin
und her gerufenen Worten reiste auch dieser Zug siayon.
Von den.Zurückbleibenden weinte ..niemand, sie sprachen nur
alle etwas laut und hastig, als fei da etwas, das übertönt werden
müßte.
- Gortsetzmlg folgt.) .
Oie Orgelpfeifen. 5
Von Elisabeth Heyking.
(Fortsetzung aus Nr. 48.)
Der Tod des ältesten, das.Ausrücken des jüngsten Enkels folgten
so vLsch aufeMander, daß es Großmama erst nach ihrer Heimkehr
ans der Garnison alles.ganz zum BewrtßlsÄn kam. Sie faß nun
oft in dem geschütztesten Teil des Gartens, wo nach den Sommer-
blumen jetzt Malven, Dahlien und Herbstanemonen blühten.
Änd sie sah über die sanft abfallenden, gemauerten Terrassen
hinab in das Tal, sah, wie sich die allhevbstliche Wandlung vollzog,
di« Walter der Kirschenplantagen an den Hängen rubinrot zu
leuchten begannen, ach den abgemähten Wesen die Zeitlosen ihre
lila Kelche öffneten und aus blassem Dunst die vereinzelten Baum-
gruppm golden hervorschimmerten. Der reife Sommerzauber war
vom Antlitz der Gegend geschieden, einer schön gewesenen Frau
glich sie fetzt, di-e ihre welkenden Züge hinter weich verschleiernde
Gewebe verbirgt. — Aber nicht nur was da war, sah Großmama.
Dhr Blick reichte ja weit zurück in längst Gewesenes. Denn vor
der eigenen Generation hatte sie hier fa noch die zwei stuhem
gekannt, wie sie noch die beiden ihr folgenden erlebte. Auf vte.e,
viele Menschen konnte sie sich besinnen, die einst hier gewandelt
und nun längst nicht mehr da waren, — wenigstens nutzt
als für sie sichtbare. Aber in irgercheiner andern Fo nt bestanden
sie sicherlich irgendwie weiter. Großmama war davon fest uver-
Leugt Sie kannte sich ja auch so gut Ms bestimmte hohe Baume
Ihres Forstes besinnen, die im Lauf der Jahre bei verschiedenen
Schllägen gefeiter worden waren. Wie sie umsankest und dann
geschält und fortgefahren wurden Me waren mich nicht metjvjM.
ober manche non ihnen segelten als Schiffsmasten auf hoher sse,
andere warm eingebaut in den Häusern großer Städte. Dre
einstigen im Winde rauschenden Waldrtesen hätte Mlter ihrer
jetzigen ©eftalt wohl niemand gleich erkannt, und doch warm es
dieselben. . Umwandlung mar alles, -waren Leben und Sterben.
Und ein großer Umwandler war auch der Krieg mit seinen neuen
Verwendungen von Menschen und Dingen. Zu Rohstoff war
olles, waren alle geworden, auch jene, die sich bis dahin als
? Ästig besonders 'Differenzierte, für Ausnahmewosm gehalten
alten Und Rohstoffen gleich ließen sie sich willig zu dem formen,
was-, gerade am notwendigsten gebraucht wunde. Nicht mir jette,
die freiwillig zu den Fahnen geeilt waren, wo Gelehrte und
Handwerker, Zirkusleute und längst ausgediente alte Zivilbeumte
-chammm in Reih rmd Glied standen, um sich das eindrillen zu
wissen, was not tat, nein, auch den Dcheimgebliebenon ging es
ähnlich. Irgendwie war Mer mit in den Krieg gszogen, gab
etwas dafür, wandelte sich selbst zu einer neuen VeftiMMiNg.
Helsen wollen war b\% eine große Losung. Und sogar Großmama
wachte eines Morgens auf und sagte: „Mir träumte, ich sei eine
Dicke Berta geworden, und das war so schön, denn da fühlte ich
Mich doch mal Wirklich nützlich."
Aber auch in ihrer menschlichen Gestalt gehörte Großmama W