Büchner: Clemens Brentano und Ferdinand Freiligrath.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 17
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Freude wollte ich Ihre Muße würdig [
honoriren und das Recht auf Ihr Lied
sollte Ihnen doch bleiben. Ein solcher
Stoff, der mir von Ihnen bearbeitet un-
gemeine Freude machen könnte, und der
Ihrem Genius vielleicht selbst reihend
wäre, fällt mir im Augenblicke ein, und
der einleitende Faden ist hinreichend in
Lamartins Reiße in den Orient gegeben
und zwar in der Schilderung seiner Zu
sammenkunft mit Lady Stauhöhe auf dem
Libanon am Schlüsse des ersten Bandes.
Rach der Zeitung ist Lady Esther nun ge
storben, ihr Abschied von ihren zwei Mysti
schen Stuten, welche den Messias und sie
nach Jerusalem tragen sollten, wäre eine
reihende Aufgabe. Sie selbst kann die Zeit
nicht erwarten, sie fühlt sich in das himm
lische Jerusalem abgerufen, sie begiebt sich
dem Tode nah unter dem Sternhimmel zu
den beiden Roßen, und trennt sich von
ihnett und fleht daß die Vorsehung eine
andere lveiße Jungfrau erwecke und sende,
die Bestimmung zu erfüllen, von der sie
selbst abgerufen werde, sie kann am Schlüße
dieses Gebets sterben, eine Sternschnuppe
fliegt gegen den Occident, die zu ihr nieder
weinenden Roße erheben die Köpfe, regen
sich freudig, schauen gen Abend, spitzen
die Ohren und wiehern freudig u. s. w.
— Vergeben Sie, lieber Dichter, daß ich
das da so hin schreibe, es ist die Begier,
Sie z»t locken, ich meine die Scene wäre
Ihrem Genius ganz entsprechend, ich
meine, ich müßte Sie von Ihnen, o könnte
ich Sie von Ihnen lesen, dichten Sie das,
Sie sollen nie jemand so viele Freude ge
macht haben; dichten Sie es bald, ehe
etwa der verstorbene Halbmüde, der den
Orient zu einem Hof und Kammertürken
entehrt, die geheimnisvollen Stuten ent
führt und sie in den: Wettreiten gegen
englische Raee mit einem deutschen Edel
mann, welches neulich angekündigt worden,
zu Schanden reitet. — Ich muß aber
schließen, sonst komme ich wieder in Er
güße, die weniger befruchten als verwüsten
und wenigstens den Weg verderben.
Daß Sie eilt Kaufmann sind und somit
im bürgerlichen Leben wurzeln, mehrt
meine Achtung für Sie, und ich würde es
mit Betrübniß vernehmen, wenn Sie mit
Ihrem Stande ganz zerfielen und sich
Ihrem Zustande (der Poesie) unbedingt
Preist gäben. Es ist immer ein ins Kraut
schießen, ein sich zu Tode blühen u. s. w.
Eilt Erglühen, Erröthen ist zu seiner Zeit
ein rührender Purpur, aber sich solchem
allein hingeben lvird zu tödtlichem Schar
lachfieber. Es giebt Dichter deren Inne
res ein schimmernder Ansschlag wird, sie
müßen sich immer künstlich erwärmen,
denn [sonst] tritt die Poesie zurück. So
werden sie konvnlsionair, fallsüchtig, wahn
sinnig oder sterben, und aus ihrer Ber-
weßung wachsen höchstens Gedichte anderer,
Gift oder Leckerbissen, Pilze, Trüffeln,
Champignons. Meine Schwester Arnim,
der ich meine große Liebe zu Ihren Ge
dichten anssprach, machte denselben den
Vorwurf, trotz allen Wohlklangs seyen sie
nicht gesungen, und sagte, es sey das Wesen
der Räder an den Dampfschiffen darin.
Allerdings fühlte ich bei näherer Erwägung
auch, daß nicht das Schiffen auf einfachem
Kahne darin ist, aber doch ungemeine Lust
und Kraft, es ist die Bewegung der Zeit
darin. Die Sandlieder aber sind mir das
Liebste, weil auch ich ant Ufer bitt stehen
geblieben. Leben Sie wohl, verehrter Herr,
ehren Sie mein Vertrauen und behalten
den Brief für sich allein und erfüllen Sie
meine Bitte. Clemens Brentano.
Dieses der Brief des alten Dichters
an den jungen. Ich kann nicht umhin,
denselben für eilt höchst bedeutsalnes
Zeugniß zu halten. Clemens Brentanos
seltsame Eigenart tritt zunächst in den
eingestreuten Scherzgeschichten, in dem
Springen der Gedanken hervor, aber auch
sein klares, geistvolles Urtheil über die
Krankheiten der gleichzeitigen Literatur,
seine treffende Charakteristik von Lenau,
P laten, K. Beck, seine sichere Erkenntniß,
wie er in Freiligrath mit einer eigenthüm-
lichen, gesundeit Dichterkrast zu thun hat.
Ob Freiligrath dem genialen alten Ro
mantiker das erbetene Conterfei zugesandt,
ob er seinen Brief beantwortet, weiß ich
nicht; ein Gedicht über Palästina und
die schwärmerische Lady Esther und ihre
Stuten hat er jedenfalls nicht gemacht,
obwohl Brentano noch in seinem Todes
jahre 1842 durch Kerner daran mahnen
ließ. Dafür hat er dem Dichter der Ro
mantik in dem tiefen, ernsten „Flecken am
Rheine" ein würdig Todtenamt gesungen.
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