Buchiicr: Clemens Brentano und Ferdinand Freiligrath.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 17
zeichnete fast complette Sammlung von
Wunden, aber ich war nie fähig dem
Publikum einen Catalogue raissonnee in
Neimen von diesen Herrlichkeiten vorzu
legen, so schauderhauft ist mir ein Buch
händler und ein gedrucktes Buch. Was
habe ich mich als Kuabe vor deu Seelen-
verkäufern iu Amsterdam geängstet, ich
glaubte die Seelen hingen dort puuktirt,
wie im Orbis pictus, von zähem Pfann
kuchenteich, wie lederne Hosen in der Cal-
verstraat an Hacken. So geht mir es
jetzt, wenn ich das innerste Leben eines
armen Menschen, sauber gedruckt, von
einem spreitzbeinigen affektirten Leipziger-
oder Hanovraner Commis belächlend re-
komandirt und bekrittelt und verhandelt
sehe — und dennoch habe ich diesem
Trafiqne zu verdanken, daß ich ruhig
ans meiner eignen poetischen Essigmutter,
ohne mich gegen die Pest des gemeinen
Lebens zu verdampfen, fortsäuern kann.
Die Poesie ist ein Gemeingut der Mensch
heit, wer gesund wird, wenn sie ans-
schlägt, dem ist zu gratuliren; wo sie gar
nicht transpirirt oder gar zurücktritt und
sich auf andre Theile wirft, da sieht es
schlimm aus. Als die Kaiserin Maria
Theresia Tirol durchreißte sagte Taddädl
zu Tüddadl: ich möchte wahrlich der
Kaiser sein und sie einmahl an mein
Herz drücken, da erwiederte Täddadl:
Talke, du meinst wohl der Kaiser wär
wie du, da werden Jhro Ma
jestät schon ihre Leut dazu haben. —
So geht es mir nun auch, wie diesem
Kaiser in Hinsicht auf die Poesie, ich habe
sie im Herzen, aber ich drücke sie nicht
selbst ans Herz, dazu haben meine Maje
stät ihre Leute — aber der Hofstaat ist
sehr klein und nehmen Sie mir es nicht
übel — in der letzten Zeit, etwa seit
6 Monaten seit ich das Mövenfederchen
im Mceressand, und den Juwel in der
Wüste gefunden, sind Sie, lieber Herr
und Freund, einzig und allein int Dienst.
— Aber ich muß mich aus diesen Redens
arten heraus machen, sonst werde ich
Redens-artig. — Ich will also sagen,
wie in aller Beziehung, so auch in Poe
tischer ist mir die ganze Mitmenschheit
ein Leib, und wie Gottes Frühling mein
Frühling, ist mir dieses, jenes Dichten
meine Poesie. So ist es mir mit Jhrer
Poesie gegangen, die mir so entspricht
und solche Freude macht, daß ich gewiß
schon viel Dummheiten wegen ihr ge
sprochen, aber auch viele Dummheiten
wegen ihr nicht gedichtet habe. — Ich
lese, weil nicht im Dienste der Zeit, keine
Zeitschriften und Tageblätter regelmäßig,
manchnml fällt mir irgendwo eines in die
Hand, so oft dieses geschah, wunderte ich
mich über die Klage, daß es keine Dichter
mehr gebe. Alles, was mir Gereimtes
begegnete, fand ich ungemein farbig, för
mig, fertig, weit frühere Perioden über
ragend, ob ihm etwas fehlt, kann ich
nicht sagen. Ein bejahrter Freund von
mir klagt, so oft ihm die köstlichste
Pflanmentorte vorgesetzt wird, die Kunst
Quetschenkuchen zu backen sey gänzlich
verlohren gegangen, er habe als Knabe
für einen Kreuzer einen Quetschenknchen'
an allen Straßenecken gekauft, der viel
köstlicher gewesen sey. So mag es auch
diesen Nasenrümpfenden mit der neuen
Poesie gehen, sie haben den Geschmack
verlohren, keinen Apetit mehr und den
Magen verdorben. Wenn ich nun nach
schmecke, was den Leuten wohl unheimlich
darin schmecken könne, so stoße ich einzig
und allein ans einen gewissen tragischen
Geschmack, den selbst das Heitere darin
mit sich zu führen scheint, Alles schmeckt
nach Hefe. Wenn ich dein Flügelkleid
der Jngendmuse einer früheren Periode
ans der Hand (dem Ermel) weissagte,
so laß ich gewöhnlich: Du wirst als
Schlafrock am Zapfenbrett sterben —
aber der jetzigen Turnjacke läßt sich solche
friedliche Nativitüt nicht stellen. Peter
von Staufenberg, der eine Nymphe ge
heiratet und der Gemahl der Melusine,
welche an gewissen Tagen ihre Bettge
nossinnen nicht sehen durften, weil sie
dann vom Gürtel abwärts den Drachen
leib hatten und ebenso der Schneider
Lienimann, der im Schlaufloch zu Basel
Augst die Schlangenjungfran mit einem
Kuß erlösen sollte, diese könnten, wenn
sie diese Poesie läsen, vielleicht sagen, ja
so, gerade so war es uns manchmahl mit
unsern Melusinen in den süßesten Mo
menten; wir ahndeten das tragische Ende,
den Drachenschweif, ohne von ihm zu
wissen. — Bei Ihnen jedoch ist dies
weniger der Fall, als bei den andern,
die ich durch Sie kennen lernte und das
war so — zuerst laß ich zufällig die