Full text: Zeitungsausschnitt über Clemens Brentano und Ferdinand Freiligrath

Buchiicr: Clemens Brentano und Ferdinand Freiligrath. 
629 
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 17 
zeichnete fast complette Sammlung von 
Wunden, aber ich war nie fähig dem 
Publikum einen Catalogue raissonnee in 
Neimen von diesen Herrlichkeiten vorzu 
legen, so schauderhauft ist mir ein Buch 
händler und ein gedrucktes Buch. Was 
habe ich mich als Kuabe vor deu Seelen- 
verkäufern iu Amsterdam geängstet, ich 
glaubte die Seelen hingen dort puuktirt, 
wie im Orbis pictus, von zähem Pfann 
kuchenteich, wie lederne Hosen in der Cal- 
verstraat an Hacken. So geht mir es 
jetzt, wenn ich das innerste Leben eines 
armen Menschen, sauber gedruckt, von 
einem spreitzbeinigen affektirten Leipziger- 
oder Hanovraner Commis belächlend re- 
komandirt und bekrittelt und verhandelt 
sehe — und dennoch habe ich diesem 
Trafiqne zu verdanken, daß ich ruhig 
ans meiner eignen poetischen Essigmutter, 
ohne mich gegen die Pest des gemeinen 
Lebens zu verdampfen, fortsäuern kann. 
Die Poesie ist ein Gemeingut der Mensch 
heit, wer gesund wird, wenn sie ans- 
schlägt, dem ist zu gratuliren; wo sie gar 
nicht transpirirt oder gar zurücktritt und 
sich auf andre Theile wirft, da sieht es 
schlimm aus. Als die Kaiserin Maria 
Theresia Tirol durchreißte sagte Taddädl 
zu Tüddadl: ich möchte wahrlich der 
Kaiser sein und sie einmahl an mein 
Herz drücken, da erwiederte Täddadl: 
Talke, du meinst wohl der Kaiser wär 
wie du, da werden Jhro Ma 
jestät schon ihre Leut dazu haben. — 
So geht es mir nun auch, wie diesem 
Kaiser in Hinsicht auf die Poesie, ich habe 
sie im Herzen, aber ich drücke sie nicht 
selbst ans Herz, dazu haben meine Maje 
stät ihre Leute — aber der Hofstaat ist 
sehr klein und nehmen Sie mir es nicht 
übel — in der letzten Zeit, etwa seit 
6 Monaten seit ich das Mövenfederchen 
im Mceressand, und den Juwel in der 
Wüste gefunden, sind Sie, lieber Herr 
und Freund, einzig und allein int Dienst. 
— Aber ich muß mich aus diesen Redens 
arten heraus machen, sonst werde ich 
Redens-artig. — Ich will also sagen, 
wie in aller Beziehung, so auch in Poe 
tischer ist mir die ganze Mitmenschheit 
ein Leib, und wie Gottes Frühling mein 
Frühling, ist mir dieses, jenes Dichten 
meine Poesie. So ist es mir mit Jhrer 
Poesie gegangen, die mir so entspricht 
und solche Freude macht, daß ich gewiß 
schon viel Dummheiten wegen ihr ge 
sprochen, aber auch viele Dummheiten 
wegen ihr nicht gedichtet habe. — Ich 
lese, weil nicht im Dienste der Zeit, keine 
Zeitschriften und Tageblätter regelmäßig, 
manchnml fällt mir irgendwo eines in die 
Hand, so oft dieses geschah, wunderte ich 
mich über die Klage, daß es keine Dichter 
mehr gebe. Alles, was mir Gereimtes 
begegnete, fand ich ungemein farbig, för 
mig, fertig, weit frühere Perioden über 
ragend, ob ihm etwas fehlt, kann ich 
nicht sagen. Ein bejahrter Freund von 
mir klagt, so oft ihm die köstlichste 
Pflanmentorte vorgesetzt wird, die Kunst 
Quetschenkuchen zu backen sey gänzlich 
verlohren gegangen, er habe als Knabe 
für einen Kreuzer einen Quetschenknchen' 
an allen Straßenecken gekauft, der viel 
köstlicher gewesen sey. So mag es auch 
diesen Nasenrümpfenden mit der neuen 
Poesie gehen, sie haben den Geschmack 
verlohren, keinen Apetit mehr und den 
Magen verdorben. Wenn ich nun nach 
schmecke, was den Leuten wohl unheimlich 
darin schmecken könne, so stoße ich einzig 
und allein ans einen gewissen tragischen 
Geschmack, den selbst das Heitere darin 
mit sich zu führen scheint, Alles schmeckt 
nach Hefe. Wenn ich dein Flügelkleid 
der Jngendmuse einer früheren Periode 
ans der Hand (dem Ermel) weissagte, 
so laß ich gewöhnlich: Du wirst als 
Schlafrock am Zapfenbrett sterben — 
aber der jetzigen Turnjacke läßt sich solche 
friedliche Nativitüt nicht stellen. Peter 
von Staufenberg, der eine Nymphe ge 
heiratet und der Gemahl der Melusine, 
welche an gewissen Tagen ihre Bettge 
nossinnen nicht sehen durften, weil sie 
dann vom Gürtel abwärts den Drachen 
leib hatten und ebenso der Schneider 
Lienimann, der im Schlaufloch zu Basel 
Augst die Schlangenjungfran mit einem 
Kuß erlösen sollte, diese könnten, wenn 
sie diese Poesie läsen, vielleicht sagen, ja 
so, gerade so war es uns manchmahl mit 
unsern Melusinen in den süßesten Mo 
menten; wir ahndeten das tragische Ende, 
den Drachenschweif, ohne von ihm zu 
wissen. — Bei Ihnen jedoch ist dies 
weniger der Fall, als bei den andern, 
die ich durch Sie kennen lernte und das 
war so — zuerst laß ich zufällig die
	        
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