628
Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 17
Stromes mäßige Berghänge mit Wald
und Weinpflanzungen; es konnte dem
Dichter hier wohl gefallen. Eine Schil
derung der glücklichen Zeit vom Herbst
1839 bis zum Frühling 1841, welche
Freiligrath in Unkel verlebte, ist nicht
Zweck dieses Aufsatzes; es entstand hier
manches schöne Gedicht, aber, was wich
tiger ist, Ferdinand Freiligrath fand in !
Unkel das Beste, was er fiubeit konnte,!
eine geistvolle, hochgebildete Gattin, wie!
sie der Dichter bedurfte, voll Verständniß!
für seine Dichterkraft, mit leiser Hand!
seine überschäumende Natur in Schranken j
haltend, stark und tapfer in der Zeit
politischen Kampfes und erneuter Dienst-
knechtschaft des von Land zu Land wan- !
dernden, viele Jahre lang in der Fremde;
weilenden Sängers Schicksal theilend.
Während, jenes ersten Unkeler Herbstes
1839 kam Freiligrath ein Brief zu von
Clemens Brentano, dem alternden Banner
träger der Romantik; die untergehende Ro
mantik begrüßte den aufsteigenden Dichter
stern der neuen Zeit. Freiligrath hat lebens
lang auf das wunderliche Schriftstück sehr-
großen Werth gelegt, auch beit Wunsch der
Nichtveröffentlichung bis zum Tode ge
achtet. Nunmehr nach Karl Beck's Schei
den ist auch der letzte Grund geschwunden,
das Urtheil des geistvollen Dichters über
die Literatur seiner Zeit zu unterdrücken.
Clemens Brentano weilte damals in
München; Moritz Carriere, schon von
Barmen her mit Freiligrath befreundet,
trat in jener Zeit eine längere Reise nach
Italien an, besuchte den alten Romantiker
und schreibt ant 4. September 1839 an
Freiligrath: „Hier sitz' ich auf Brentano's
Sessel. Ich hab' ihn gestern aufgesucht,
Bettina hatte mich als Freund von ihr
und Dir empfohlen; wir sind lang an
der Isar wilden Ufern umhergestrichen
und immer im Gespräch ans Dich und
Deine Lieder zurückgekommen; ich zweifle,
daß Deine eigenthümliche Poesie einen
größeren Verehrer hat als ihn, und sein
Herz schlägt freundeswarm für Deine
Person. Es gehört zu seinen heißesten
Wünschen, daß Du ihm das Relief Deines
Gesichts schicken und mit ein paar Zeilen
seinen Brief recht bald erwidern mögest."
Durch dieses Zusammentreffen mit Mo
ritz Carriere aufs Nene angeregt, voll
endete Clemens Brentano seinen Brief,
nach Inhalt und Form einen der geist
vollsten und sonderbarsten, die man sich
denken kann, sechs engste Octavseiten in
seiner zierlichen Handschrift. Der erste
größere Theil ward int Mai begonnen,
dann bei Seite gelegt; durch die Begeg
nung mit Carriere fand sich Brentano
veranlaßt, im Herbst die Fortsetzung zu
schreiben, aber auf der sechsten Seite
verkehrt anfangend, so daß die zwei Briefe
einander entgegenstreben und schließlich
hart ans einander stoßen. Das seltsame
Schriftstück wird hier buchstäblich getreu,
mit seinen mannigfachen orthographischen
und stilistischen Sorglosigkeiten, wieder
gegeben :
München im May.
Lieber Herr Freiligrath!
Schon seit einem halben Jahr, seit ich
den Genius kenrie, mit welchem Gottes
Gnade Sie gesegnet hat, hat mein eignes
Herz und ein Freund, dem dieses Herz
dient, mich anfgefodert, Ihnen zu schrei
ben. Es kam immer nicht dazu, weil ich
in ernsteren Pflichten so verschuldet bitt,
daß mir solches Schreiben als ein Luxus-
gelüsten nicht geziemte. Jetzt kam kleine
Muße und Veranlassung tutb so seyn Sie
mir freundlich gegrüßt! — Schon seit
einigen Jahren besucht mich jährlich Herr
Künzel, der commis voyageur der Ranchi
schen Papierfnbriqne von Heilbronn, dem
ich ein Mahl eine Bestellung gegeben, und
legt mir das Resultat seines nebenbei für
eigene Rechnung getriebnen Geschäfsts
einer Sammlung von Stammbuch blättern
vor und bittet mich auch um meine arm
seligen Poetischen Muster zu seiner Reu
terei. Vor einigen Tagen, 15. November,
bat er mich wieder um ein Blatt und
blätterte mir seinen Vorrath vor, da sah
ich ein Blatt mit Ihrer Unterschrifft und
sagte ihm, für dies Blatt von Ihnen
wollte ich ihm sechse schreiben, er Wai
des Handels zufrieden ttitb ich schrieb sie,
und habe nun dies Blatt, und sendete es
meinem Freund, der dergleichen zwar
nicht sammelt, aber auch nicht zerstreut,
und dem Ihr Blatt nun für eine ganze
Sammlung gilt, er dankt Ihnen und
mir, das ist mir genug, denn ich habe
nie etwas besessen, als was ich gebe.
Lieber Freund! Sie verstehn das
j wohl, wenn ich sage, ich habe eine artige
! Samniluttg von Narben und eine ausge-