Full text: Zeitungsausschnitt über Clemens Brentano und Ferdinand Freiligrath

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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte. 
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 17 
Stromes mäßige Berghänge mit Wald 
und Weinpflanzungen; es konnte dem 
Dichter hier wohl gefallen. Eine Schil 
derung der glücklichen Zeit vom Herbst 
1839 bis zum Frühling 1841, welche 
Freiligrath in Unkel verlebte, ist nicht 
Zweck dieses Aufsatzes; es entstand hier 
manches schöne Gedicht, aber, was wich 
tiger ist, Ferdinand Freiligrath fand in ! 
Unkel das Beste, was er fiubeit konnte,! 
eine geistvolle, hochgebildete Gattin, wie! 
sie der Dichter bedurfte, voll Verständniß! 
für seine Dichterkraft, mit leiser Hand! 
seine überschäumende Natur in Schranken j 
haltend, stark und tapfer in der Zeit 
politischen Kampfes und erneuter Dienst- 
knechtschaft des von Land zu Land wan- ! 
dernden, viele Jahre lang in der Fremde; 
weilenden Sängers Schicksal theilend. 
Während, jenes ersten Unkeler Herbstes 
1839 kam Freiligrath ein Brief zu von 
Clemens Brentano, dem alternden Banner 
träger der Romantik; die untergehende Ro 
mantik begrüßte den aufsteigenden Dichter 
stern der neuen Zeit. Freiligrath hat lebens 
lang auf das wunderliche Schriftstück sehr- 
großen Werth gelegt, auch beit Wunsch der 
Nichtveröffentlichung bis zum Tode ge 
achtet. Nunmehr nach Karl Beck's Schei 
den ist auch der letzte Grund geschwunden, 
das Urtheil des geistvollen Dichters über 
die Literatur seiner Zeit zu unterdrücken. 
Clemens Brentano weilte damals in 
München; Moritz Carriere, schon von 
Barmen her mit Freiligrath befreundet, 
trat in jener Zeit eine längere Reise nach 
Italien an, besuchte den alten Romantiker 
und schreibt ant 4. September 1839 an 
Freiligrath: „Hier sitz' ich auf Brentano's 
Sessel. Ich hab' ihn gestern aufgesucht, 
Bettina hatte mich als Freund von ihr 
und Dir empfohlen; wir sind lang an 
der Isar wilden Ufern umhergestrichen 
und immer im Gespräch ans Dich und 
Deine Lieder zurückgekommen; ich zweifle, 
daß Deine eigenthümliche Poesie einen 
größeren Verehrer hat als ihn, und sein 
Herz schlägt freundeswarm für Deine 
Person. Es gehört zu seinen heißesten 
Wünschen, daß Du ihm das Relief Deines 
Gesichts schicken und mit ein paar Zeilen 
seinen Brief recht bald erwidern mögest." 
Durch dieses Zusammentreffen mit Mo 
ritz Carriere aufs Nene angeregt, voll 
endete Clemens Brentano seinen Brief, 
nach Inhalt und Form einen der geist 
vollsten und sonderbarsten, die man sich 
denken kann, sechs engste Octavseiten in 
seiner zierlichen Handschrift. Der erste 
größere Theil ward int Mai begonnen, 
dann bei Seite gelegt; durch die Begeg 
nung mit Carriere fand sich Brentano 
veranlaßt, im Herbst die Fortsetzung zu 
schreiben, aber auf der sechsten Seite 
verkehrt anfangend, so daß die zwei Briefe 
einander entgegenstreben und schließlich 
hart ans einander stoßen. Das seltsame 
Schriftstück wird hier buchstäblich getreu, 
mit seinen mannigfachen orthographischen 
und stilistischen Sorglosigkeiten, wieder 
gegeben : 
München im May. 
Lieber Herr Freiligrath! 
Schon seit einem halben Jahr, seit ich 
den Genius kenrie, mit welchem Gottes 
Gnade Sie gesegnet hat, hat mein eignes 
Herz und ein Freund, dem dieses Herz 
dient, mich anfgefodert, Ihnen zu schrei 
ben. Es kam immer nicht dazu, weil ich 
in ernsteren Pflichten so verschuldet bitt, 
daß mir solches Schreiben als ein Luxus- 
gelüsten nicht geziemte. Jetzt kam kleine 
Muße und Veranlassung tutb so seyn Sie 
mir freundlich gegrüßt! — Schon seit 
einigen Jahren besucht mich jährlich Herr 
Künzel, der commis voyageur der Ranchi 
schen Papierfnbriqne von Heilbronn, dem 
ich ein Mahl eine Bestellung gegeben, und 
legt mir das Resultat seines nebenbei für 
eigene Rechnung getriebnen Geschäfsts 
einer Sammlung von Stammbuch blättern 
vor und bittet mich auch um meine arm 
seligen Poetischen Muster zu seiner Reu 
terei. Vor einigen Tagen, 15. November, 
bat er mich wieder um ein Blatt und 
blätterte mir seinen Vorrath vor, da sah 
ich ein Blatt mit Ihrer Unterschrifft und 
sagte ihm, für dies Blatt von Ihnen 
wollte ich ihm sechse schreiben, er Wai 
des Handels zufrieden ttitb ich schrieb sie, 
und habe nun dies Blatt, und sendete es 
meinem Freund, der dergleichen zwar 
nicht sammelt, aber auch nicht zerstreut, 
und dem Ihr Blatt nun für eine ganze 
Sammlung gilt, er dankt Ihnen und 
mir, das ist mir genug, denn ich habe 
nie etwas besessen, als was ich gebe. 
Lieber Freund! Sie verstehn das 
j wohl, wenn ich sage, ich habe eine artige 
! Samniluttg von Narben und eine ausge-
	        

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