Full text: Zeitungsausschnitt über Clemens Brentano

aus : Kölnische Zeitung Nr.289, 19^0, Jun. 9 
SCHRIFTEN UM CLEMENS BRENTANO 
PETER ANTON VON BRENTANO: Schatten 
zug der Ahnen der Dichtergesdiwistcr 
Clemens und Bettina von Brentano. / 141 
Seiten mit 24- Abbildungen und einer Ahnen 
tafel. / Josef Habbel, Verlagsliandlung, Regens- 
barg. / Gebunden 5,80 Mark; 1940. 
Briefwechsel zwischen Clemens 
Brentano u n d Sophie M e r e a u , nach 
den Handschriften heraus gegeben von Heinz 
Amelnng. / 470 Seiten mit 8 Abbildungen, j 
Riitten u. T.oening Verlag, Potsdam; 1940. 
KARL GLÖCKNER: Brentano als Märchen 
erzähler. / 82 Seiten. / Eugen Dicderichs, Jena. 
Die weifausholende wissenschaftliche For 
schung um die geistige Strömung der Roman 
tik, die lange von den Schatten der großem 
klassischen Zeit überdeckt war und erst vom 
der Gegenwart in vielen Publikationen im 
ihrer wahren Bedeutung als Phänomen des 
deutschen Geisteslebens erkannt und ge 
würdigt wird, beschäftigt sich sowohl mit der 
vielfältigsten Erscheinung der Romantik am 
sich wie mit den tragenden Persönlichkeiten! 
dieser geistigen und dichterischen Bewegung. 
Ausgezeichnete und tief eindringende Dar 
stellungen auf allen ihren Gebieten liegen 
schon vor und werden ständig durch neue er 
gänzt: Gesamtausgaben sind in die Wege ge 
leitet, wenn auch noch zögernd. Briefveröffent- 
lichungeii erschließen Neuland, und Studien 
führen bis auf den Wesensgrund der reich- 
bewegten Zeit. Vor allem ist es Clemens; 
Brentano, der mit seiner ans Geniale 
streifenden Begabung, seiner ungezügelten 
Phantasie und seinem zerspaltenen Wesen die 
Forschung angezogen hat, weil in ihm sich 
geistiger Reichtum, hemmungslose' Leiden 
schaft des Charakters und Überfülle des 
Gefühls als ein Spiegelbild eines Teiles 
der Romantik am sichtbarsten vereinigen. 
Von einem Träger der verzweigten Familie 
Brentano mit den oft wiederkehrenden Vor 
namen Peter Anton wird eine Genealogie 
des Geschlechtes, I m Schattenzug der 
Ahnen, durch fünf Jahrhunderte vorgelegt* 
die bis auf die Dichter-Geschwister Clemens 
und Bettina hinführt und eine Familien 
entwicklung aufzeigt, wie sie in solcher Voll 
ständigkeit lind in solcher charakterlichen und 
Wesensfülle selten ist. Die Urväter, die 
Herren von Brenta, die sich später Brentano 
nannten, gehörten zum Uradel der Lom 
bardei, die damals noch Bestandteil des 
Deutschen Reiches war; die urkundlich belegte 
Stammreihe beginnt mit dem Gibellincn 
Johannes de Brenta um das Jahr 1250, dem 
dreizehnten Vorfahr gerader Linie des Dich 
ters. Es ist natürlich nicht möglich, im Rahmen 
einer gedrängten Anzeige den - Familienablauf 
durch die Jahrhunderte zu verfolgen, aber es 
Nt sehr lesenswert in der klaren genealogischen 
Betrachtung, die nur aus erwiesenen Quellen 
schöpft, ein wie tätig strebendes, kampf 
erprobtes. lebenskühnes und in allerhand 
Unternehmungen sieb glücklich bewährendes 
Geschlecht die Brentanos gewesen duck die sich 
bald über ganz Europa verzweigten. Don 
Domeninco Brentano di Treme/.zo, 1651 ge 
boren. gründete eine Handels-Compagnie in 
der Freien Reichsstadt Frankfurt a. M. und 
veranlaßte die spätere Übersiedlung seiner 
Nachkommen nach Deutschland: er ist der 
Urgroßvater der Dichter-Geschwister. Be 
merkenswert ist in erster Linie, daß in allen 
Gliedern der Familie, die sich mit un 
geschwächter Lebenskraft zu hohen Stellungen 
aufschwangen und auch ihren Besitz zu mehren 
verstanden, em ' 
geprägtes ^ 
war 
7 
sind Liebes:- und Ehebriefe geschrieben 
worden, die von sojehen verheerenden Flammen 
durchrast sind, von himmelanstürmender 
Liebesseligbeit und dämonischer Höllenqual, 
von Aorwi'mfen. verletzender Abweisung. Ver 
zeihung und Hingabe durchsetzt, Briefe, in 
denen das Höchste erstrebt wird, in der Liebe, 
in der DiJchtung, und alle doppelte Leiden 
schaft: sich in der irdischen Beschränkung, im 
Sichnwhtgenügen, verzehrt, im Hoffen, Ge- 
währcüi, im Überschwang und in der Ver 
zweiflung sich alles Giück und alle seelischen 
Nöte d^ Lebens bis zum Grenzenlosen offen 
baren. Ls ist eine seltsame Musik, die aus 
den Briefen hervorklingt, wo in die jauchzen 
den Hymnen der Leidenschaft Kaskaden von 
Mißtönent hineinschreien, wo — ohne Zweifel 
echtes — KJcbesgefühl zeitweise übersdiwemmt 
wird von ätzender Ironie, Überdruß, nervöser 
LTnruhe, Mißtrauen. Von Sophie Mereau, einer 
zierlichen, cklugen und schönen Frau, sehr ge 
feiert und umsdiwärmt, wissen wir kaum 
mehr als dlas, was in ihren Briefen steht, ihre 
schillerisch .nachempfundene Diditung ist ver 
gessen. lindt das einzige Bildnis von ihr, eine 
Bleistiftzeichnung aus dem Nachlaß Varn- 
hagens von Ense, muß mit gutem Glauben als 
solches genommen werden. War die Ehe 
glücklich? Sie hatte unzweifelhaft ihre großen 
und seligen Stunden, sie war vorübergehend 
einem so tunruhigen Manne wie Brentano 
Glück und Heimat, sie gab ihm sdiönste 
Lieder ein, sie blieb der Gipfelpunkt seines 
Lebens, aber gliicklidi war sie dennoch nidit, 
konnte nicht glücklich sein bei einem Diditer, 
dessen Gefühle so sprunghaft waren, dessen 
Stimmungen alle Kadenzen vom Übermaß der 
Entzückung bis zur tiefsten seelischen Ver 
zweiflung dtrrddiefen. Aber der Briefwechsel 
gibt, gerade weil er das elementar Mensdiliche 
so ganz in den Vordergrund rückt, ein Bild 
der Wesenheit des Dichters, wie es deutlicher, 
unmittelbarer, zuverlässiger, sich nirgendwo 
ausspricht, gibt uns Einblicke in sein Inneres, 
V das mit der Flammen; hrift des Herzens wie 
eine Urgewalt aus ihm hervorbricht. Er ist 
aber auch die Korfession romantischen 
Empfindens schlechthin, eines Empfindens, 
das zwischen den Polen der Maßlosigkeit von 
Wunsch und Sehnsucht und dem Bewußtsein 
menschlichen Ungeniigens sich hoffnungslos 
nuflösen. sich awfgeben muß. So zählt dieser 
Briefwechsel zu den wichtigsten Dokumenten 
der ganzen romantischen Bewegung, 
ln diesem Zusammenhang sei noch auf eine 
ältere Arbeit von Karl Glöckner, Bren 
tano als Märchenerzähler, zurück 
gegriffen, erschienen als Dissertation unter 
den Deutschen Arbeiten der Universität Köln, 
in der vor allem in überzeugender Unter 
suchung die Abhängigkeit Brentanos von dem 
neapolitanischen Volksmärdiendiditer Basile 
des siebzehnten Jahrhunderts behandelt wird. 
Glöckner berührt auch das Problem der Blut- 
inisduing in Brentano, auf die er unter 
anderem auch — dieser Gesiditspunkt ver 
dient besondere Beachtung — die Fülle von 
Unausgeglidienheitcn und Schwankungen in 
Charakter und Diditung zurückführt. Er 
kommt zu dem Sdiluß, daß nur die kleinen 
Märdien wirklidi gestaltet sind —, „weil 
Bqsile sie gestaltet hat“, daß aber dort, wo 
er sidi von ihm löst, seinp Diditung ins Ufer 
lose verfließt, in den Rheinmürdien, die seine 
eigene Erfindung sind, nur noch „Musik ist, 
nicht Bau“. Dies wird, wie es in Disser 
tationen üblich ist, im einzelnen nach 
gewiesen. aber darüber hinaus gewinnt die 
Sdirift Bedeutung durdi die Herausarbeitung 
der Unterschiede und Gegensätze zu den 
Brüdern Grimm, durch das Grundsätzliche 
über die Mürchenerzählung überhaupt. „Die 
Brüder Grimm stehen dem Kinde aufredit 
und sdilicht, als praktisdie Mensdicn, gegen 
über. Brentano dagegen sicht es mit den sehn 
süchtigen -Augen des Romantikers als die 
wahre Stufe des Menschen.“ Wie aber auch 
Glöckner betont: in der Tiefe und der Eigen- 
gesetzlichkeit ihrer Welt behalten die Märdien 
Brentanos ihren Reiz und Wert, weil audi sie 
persönlichstes Bekenntnis des Diditers sind. 
- D. H. Sarnetzki.
	        
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