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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 9
o«.*v Keben.
* Her man Grimm zum 6. Januar 1898.
In einer Zeit, in der in Deutschland der zunftmäßige Be
trieb im gelehrten Beruf überhand zu nehmen droht nnd das
gesunde Gefühl weiterer Kreise sich mit Unwillen von so
viel Kleinlichkeit, Engherzigkeit und Gehässigkeit abzuwenden
beginnt, wird den Volksgenossen der Wert der
wenigen scharfausgeprägten Charaktere, die die Gelehrten
republik uoch aufweist, erst recht klar. Zu diesen Männern
gehört Herman Grimm, der heute in aller Stille — selbst. ....
die besten Freunde wissen nicht, wohin er sich vor ihren j und
Huldigungen gefluchtet hat — seinen siebzigsten Geburts
tag feiert.
Freilich die Gelehrten von echtem Schrot und Korn
wollen den Jubilar nicht immer als Fachgenossen gelten lassen,
und in der That — zu seinem Ruhme sei es gesagt — ist
Herman Grimm so vielseitig veranlagt, daß er sich zu unser
aller Freude nicht innerhalb der Grenzen gehalten hat, die
ihm sein Amt als ordentlicher Professor der neueren
Kunstgeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin
aufzuerlegen schien. Derselbe Mann, der dennoch in seinem
Michelangelo unserer Nation ein Bild Italiens zur Zeit der
Renaissance gegeben hat, das sich ebenbürtig neben die
großangelegten Künstlerbiographien Karl Justis stellt, hat
zugleich das beste und einzige wirklich kongeniale Werk
über Goethe geschrieben, Zugleich aber darf man
Hermau Grimm, der, von Jugend aus mit Paul Heyse ver
traut, ihn damals zum Genossen seiner poetischen Erstlings
werke hatte, neben diesem als den Begründer der modernen
deutschen Novelle preisen. In der Hinsicht wird das
liebenswürdige Büchlein, das zum letzten Weihnachten zum
drittenmale ausgegeben wurde, dermaleinst in der deutschen
Litteraturgeschichte eine Bedeutung beanspruchen dürfen, die
im umgekehrten Verhältnis steht zu der geringen Beachtung,
die cs bisher gefunden hat. Verehrung zu erf
Immer waren es die Großen im Reiche des Geistes ^betritt, um Rat
und der Kunst, zu denen sich Grimm besonders hingezogen - ' '
fühlte. Wer kennt nicht das geistvolle Buch über Homer,
an dessen Hand der Leser in die Werkstätte des
Dichters der Ilias eintreten darf I Hier wie in
dem formvollendeten Essay über Goethes Tasso handelt cs
sich weniger um eine Würdigung als um eine Nach
dichtung. Solchen Phantasicgebilden gegenüber wird jeder
seiner Eigenart gemäß Stellung nehmen, gleichwohl bleibt
des Allgemeingültigen, für das Grimm zuerst dar er
lösende Wort gesunden hat, so viel, daß man auch dieser
aber ist der Hintergrund,
Keller, Meyer und alle
aus der zweiten Halste
Von den Kollegen an
es zumal Treitschke und
dritte der Hauptwerke mit heller Freude ans der Hand legt.
Mit den wahrhaft Vornehmen unter denfZeitgenossen wußteGrimm
gute Kameradschaft zu halten. Cornelius, zu dem er als
junger Mann mit warmer Verehrung und Dankbarkeit empor
sah, hat er ein schönes Denkmal gesetzt. Nur einem gott
begnadeten hochgerichteten Maler, der uns jüngeren wie kein
anderer an das Herz gewachsen, nur dem leiderprobten Anselm
Feuerbach — der ihm, wenn man allesin allem nimmt,
doch so geistesverwandt war — ist er in einem schönen Auf
sätze, der leider noch vor der Veröffentlichung des „Vermacht-
nisstS" erschien, — mit schmerzlichem Bedauern sei es gesagt —
nicht ganz gerecht geworden. Wie wundcrbur «bei. ist das Bild,
das Grimm noch in diesen Tagen von Böcklin entworfen
hat! Auch da läßt sich über dieses oder jenes Urteil, das
mehr die technische Seite des Schaffens des Meisters
angeht, streiten: wie farbenreich
von dem sich dann Böcklin,
die anderen großen Schweizer
dieses Jahrhunderts abheben!
der Berliner Hochschule waren c» juuiiu x,im. .
Curtius, deren Heimgang Grimm vor allem traf. Beiden
Männern hat er tiefempfundene Nachrufe gewidmet. Mit
Curtius verband ihn die Begeisterung für griechische Kunst
und für das Hellenentum in der antiken und der
modernen Welt. In ihm verehrte er den phantasie
begabten Künstler und den edlen Freund, mit dem er durch
die gleiche ideale Weltanschauung sich innig verknüpft fühlte.
Grimms großartiger und freier Auffassung macht es um so
mehr Ehre, daß er andererseits auch der herben
Männlichkeit Treitschkes und dessen vorstürmendem Wesen
volles Verständnis entgegenbrachte. Wie er sich von Treitschkes
hinreißendem nationalen Pathos den segensreichsten Einfluß
auf die Jugend versprach, so schätzte er in ihm den groß
artigen Stilisten, der mit einer Kraft, die selbst Ranke
versagt war, einen ungeheueren Stoff geformt und unserem
Volke das unvergängliche Epos von seiner nationalen Einigung
geschenkt habe. Kurz vor seinem Tode hat er Treitschke
noch euren letzten Liebesdienst erwiesen: Wie in Homers
Ilias, so hat er auch in deffen Deutscher Geschichte
weiten Kreisen der Gebildeten die wunderbare Feinheit der
großartigen und trotz der langsamen Weiterführung des Werkes
einheitlichen Komposition gedeutet.
Mag die Schar der Altersgenoffen, die den Jubilar
umgeben, im Laufe der Jahrzehnte lichter geworden sein, er
hat sich dafür Ersatz zu schaffen gewußt. ES ist Herman
Grimm gegeben, jüngere Männer an sich zu fesseln und
durch gütige Teilnahme an ihrem Lebensweg mit hingebender
Verehrung zu erfüllen. Wer auch immer seine Schwell"
betritt, um Rat oder Hilfe zu heischen, stets
gehobenen Gefühls das gastliche Haus
treue Schwesterliebe sorgsam waltet,
lassen! Mit den Wünschen der jungen und
Fccunde vereinigen sich heute vre der Deutschen diesseits ui
jenseits des Ozeans: möge dem teuren Manne, der in ra
loser Arbeit die beste Erholung sucht und findet, uc
manches gute Werk getingen, das dem Namen seines Volk
und seiner uns allen von den Tagen der Kindheit an
vertrauten Familie znm Ruhme gereiche!
"' - * ^ Erich Siesegang.
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