© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
z.
an die persönliche Erscheinung Grimm's
sein und nicht etwa der Versuch einer lite
rarischen Würdigung. Und doch soll seiner
gerade nebenGregorovius als literarischer
Individualität gedacht werden. Wie dieser,
hing er innig mit Italien zusammen —
Gregorovius mit dem mittelalterlichen
Rom, Grimm mit dem der Renaissance,
und nicht mit Rom allein, sondern auch
mit Florenz, neben Rom Wirkungsstätte
Michelangelo's. Während aber Gregoro
vius sich in seinem Styl an Roms monu
mentale Welt anlehnte und in seinem Ge
schichtswerke sozusagen steinerne Quadern
auf einander thürmte, ist Grimm als Sty
list zerhackt, oft weniger ausführend als an
deutend, immer errathen lassen wollend.
Wir denken da ganz besonders an den Es
sayisten, der noch vor Kurzem aus derj
„Deutschen Rundschau" zu uns sprach.
Sein Styl hat uns nie recht entzücken
nsti>n ffisla™*» *•« — ■’ L
, vm.guu.cu Vrf ;---/
wollen. Wenn man zu modern sein wollte, Nihilismus kam. Aus einem Spaziergange
so müßte man Grimm einen Secessionisten, unter Pinien und Cypressen unterhalten sich
wenn nicht gar einen Excessionisten nennen, pie Beiden. In lichtgetränktem Dufte er
Denn er secedirt "„*> — 1 ' 1 —
^km der Sarkasmus des Italieners
galt. Grimm, der unter Anderm eine Bio
graphie Raffaells im Anschlüsse an Vasarlls
„Raffael" geschrieben, war eben von der Li
teratur, Morelli, der in jungen Jahren Arzt
und vornehmlich Anatom gewesen, von der
Naturwissenschaft zur Kunstwissenschaft
aufgestiegen. Morelli nun läßt in jenem
Dialog den Russen Ivan Lermvliew und
einen alten gebildeten Italiener auftreten.
Der Dialog spielt in Florenz, der Stadt,
die mit ihrer die köstlichsten Werke der Ma
lerei bergenden „Tribuna" und dem Palazzo
Pitti die eigentliche künstlerische Heimath
Morelli's war. In Begeisterung für die
Florentiner Kunst, hat Lermoliew den lan
gen Weg von dem Tatarenneste Gorlaw
nach der Medicäerstadt zurückgelegt. Sein
Freund, der Italiener, hat infolge der trau
rigen Erfahrungen, die er mit der Unwis
senheit der Kunsthistoriker und der Kunst
kenner gemacht, nihiltstischer denken gelernt
als der Russe, der aus der Heimath des
Nihilismus kam. Auf einem Spaziergange
2-. vmvu nennen.
Denn er secedirt nicht nur, sondern excedirt
s'sogar. Was sich bei normalen Stylisten
durch Kommas aneinanderfügt, bei ihm
wird es durch Punkte abgeschlossen. "Full
stop”, sagt der Engländer empathisch für
„Punkt". Hermann Grimm hatte offen
bar von Allem, was er schrieb, eine so hohe
Meinung, daß ihm nichts als nebensächlich
oder begleitend erschien, und darum schrieb
er oft genug in lauter vollen Hauptsätzen.
Als Stylist wollte er an Goethe oder sa
gen wir wenigstens an Ranke anknüpfen.
Er wollte!
Uns ist der Stylist immer in hohem
Grade manierirt erschienen, genau so wie
Hermann Grimm.
der Mensch, der, um nicht alltäglich zu sein,
Alles that, um sich als Klassiker zu geben.
Die Kunstgeschichte wurde, seitdem er sei
nen „Michelangelo" geschrieben, feine eigent
liche Domäne. Doch war er eben mehr
Kunsthistoriker und Kunstliterat als Kunst
kritiker. Keinen größeren Gegensatz gab
es, als den zwischen dem die Bilder ästhe
tisch-sentimental betrachtenden Berliner
Professor und dem naturwissenschaftlich
forschenden Giovanni Morelli, als Kunst
kritiker unter dem Pseudonym Ivan Ler
moliew weltberühmt.
In einem Dialog über Prinzip und Me
thode in der Kunstkritik hat Lermoliew in
bitterster Ironie über die Kunstästheten ge
richtet, und da spielte er in erster Linie auf
deutsche Professoren an, und unter diesen
wiederum war 'es., vorncümlick,
uu/iyciiuuimu ci-
scheinen an dem herrlichen Herbstabend in
der Ferne die bläulichen Berge von Pistoja
und Pescia — schlank und stolz^ hebt sich
der alte Florentiner, der schwarze Thurm
des Palazzo Vecchio, in den reinen Aether.
Dem noch unerfahrenen Russen, der die
ersten Studien zu Hause gemacht und in
Kasan im Schlosse des Fürsten Smaran-
zow lauter Raffaels, Verrocchios, Melozzos
und Lionardos gesehen, entwickelt der alte
Italiener nun seine empirische Galerie, die
angeblich aus den besten italienischen Mei
stern bestehen soll, zu Fälschungen und Ko
pien zusammen! Dem Russen fällt die
Binde von den Augen, sobald ihm der Ita
liener seine Anschauungen über ästhetische
Literaten, gelehrte Archäologen, Kunstschrei
ber und Kunstprofessoren offenbart. Er
schildert sie als Leute, die in ihrem Kunst
dusel das „Bilderbegucken" verachten und
bei ihren ästhetischen „Ascensionen" die
Formensprache der Kunst übersehen. In
tuition, Total-Eindruck, Abstraktion ist
ihnen mehr als die Beobachtung der De
tails.
Nicht ohne Seitenblick auf Grimm hatt
Morelli sich in dieser Weise ausgelassen, un!
unter dem Einflüsse Morelli's, der Marc>
Minghetti inspirirte, als dieser seine Ras
fael-Biographie schrieb, sprach auch der ab
Kunstschriftsteller sich bethätigende Staats
mann schriftlich und mündlich mit nicht all
zu freundlichen Worten über Grimm'
„Raffael". Grimm war eben eine meh
ästhetische als kritische Natur. Von de
Kritik fühlte er sich mehr abgestoßen ab
angezogen.
Als Lehrer der Berliner Universität hatt
er Theodor Mommsen, den kalten, kausti
schen Forscher, zum Kollegen. Die Beider
konnten einander „nicht schmecken". Momnn
sen hatte manches spöttische Wort über der
Litcratur-Aestheten. 'Auch dieser sprach keü
ireswegs liebenswürdig von dem um Zehr
Jahre älteren Kollegen, aber es war thu
nicht gegeben, so stachelige Worte zu finden
wie dem großen Geschichtsschreiber, der nichi
nur Meister der Historiographie ist, sondern
quch von Witz übersprudelt.
Dagegen hatte Grimm die freundschaft
lichsten Beziehungen Zu Ernst Curtius,
War Grimm durch eine unüberbrückbare
Kluft von Mommsen, dem römischen Adler,
geschieden, so lebte er räumlich und geistig
fast Wand an Wand mit Curtius, dem At-
nker. In der Matthäikirchstraße, im ,We
sten von Berlin, im Thiergartenvierrel