A
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 9
aus
New Yorker Staatszeitung- Sonntagsblatt,
Nr. 27, 1901, Jul. 7
•Änustnn chnmm?-
-
Persönliche Erinnerungen.
Wien, 19. Juni.
An die neuen Quartiere Roms und an
as Thiergartenviertel in Berlin zugleich
p ruß ich denken, da ich eben von dem Tode
oes deutschen Gelehrten und Schriftstellers
lese, der einen glorreichen Familiennamen
trug, aber die Welt'zwang, auch den selb
ständig erworbenen Ruhm Hermann
Grimm's anzuerkennen. Den größten Theil
seines Lebens war er Grimm — Grimm,
Der Sohn Wilhelm's, Grimm, der Neffe
Jacob's. Im letzten Vierteljahrhundert
seines Daseins aber war er Hermann
Grimm, der Michelangelo-Biograph, der
Goethe-Kenner, der originelle, vielleicht zu
originelle und darum absonderliche Schrift
steller.
In den neuen Quartieren Roms habe ich
ihn zu Ende 1886 kennen gelernt. In le
bendiger Erinnerung steht vor mir die Ge
sellschaft, wo ich ihn zum erstenmale sah.
Es war auf der Piazza San Bernardo
nahe dem Bahnhöfe und den diocletianischen j
Thermen. Im Hause eines italienischen
Senators fand eine der regelmäßigen
Soirsen — ich glaube am Samstag —
statt. Ein kleiner Cirkel war bereits bei
sammen. Die Hausfrau, eine Deutsche,
hatte auch einige zum Herbstaufenthalte
weilende Deutsche in Rom zu sich gebeten.
Der Mädchenname der Hausfrau war
Hauff. Sie war eine Nichte oder Groß
nichte des berühmten schwäbischen Erzäh
lers, und als ich vor der graziösen, wie aus
Filigran geformten Dame stand, dachte ich
an den Mann im Monde, an Burg Liech
tenstein, die Phantasien im Bremer Raths
keller und an alle die reizenden Erzeugnisse
der Hauff'schen Phantasie, die uns in den
Gymnasiastenjahren manche Stunde ver
kürzt hatten, die wir dem Studium der
griechischen Aoriste, der Botanik oder Mi
neralogie, der punischen oder der Türken
kriege stahlen.
Ich plauderte mit der in Stuttgart ge
borenen Dame von Erinnerungen an die
Studentenzeit in Tübingen, an den Liech
tenstein und an die Nebelpseifen von Reut
lingen, an die Weinhänge des Hasenbergs
und die Gelände von Cannstatt. Da öffnet
sich die Thür, und herein tritt ein hochge
wachsener Mang mit länglichem Gesichte,
grauen Locken und grauem Vollbarte. „Her
mann Grimm" höre ich. Er tritt an die
Hausfrau heran, knüpft die Unterhaltung
an den Namen Hauff an — spricht gemes
senen, ja gemeffensten Tones über Alles,
legt das Bekenntnis ab, daß ihm die Po
litik unendlich gleichgiltig wäre, was da
mals nicht Alle recht begreifen wollten, ins
besondere derjenige nicht, der noch in den
jungen Jahren stand, in denen man sich den
Lebensfaden abzuschneiden glaubt, wenn
man nicht zu einer Partei hält.
Grimm war eben ganz Literatur- und
Kunst-Aristokrat.
Während er so spricht, erscheint eine hin
kende alte Dame. Hermann Grimm stellt
sie bor als Mrs. Adams. Sie ist die leben
digste Folie zu Hermann's Ruhm. Mrs.
Adams, eine Patrizierin aus einer Bosto-
ner Familie, die den Vereinigten Staaten
zwei Präsidenten des Namens Adams ge
geben, hat Grimm's „Michelangelo" ins
Englische übersetzt.
Damals war Hermann Grimm voll von
der Erbitterung über die — „Zerstörung
Roms". Er klagte über die neue Zeit, die
über Rom hereingebrochen, das durch die
allgemeine Spekulationslust so ungemüth-
lich geworden, er tadelte die Häßlichkeit der
Neubauten, die der Stadt alle Schönheit
genommen. Er gedachte seiner früheren
Aufenthalte in der Tiberstadt, als er um
seines „Michelangelo" willen Studien in
den Bibliotheken und Museen gemacht hatte.
Da hätte er Rom noch von aller mittelal
terlichen Romantik umwoben, in sanftem
päpstlichen Zwielichte u nd anheimelndem
kirchenstaatlichen Schmutze gesehen. Es
ward ihm traurig ums Herz, wenn er sich
so der tempi passati erinnerte, da die nun
zerstörte Villa Ludovisi in dichter Baum
fülle prangte und ein poetisches Gemüth,
ein müder Kopf Inspiration und Frieden
fand, wo nun die Alltäglichkeit modernen
Lebens durch neue Straßenanlagen fluthete.
Er sprach wie immer gemeffen, jedes
Wort wägend, dabei aber unendlich getra
genen Tones. Manche fanden, daß er „po-
sire". Auch den kleinsten Dingen gegenüber
spielte er, wenn er sich überhaupt mit ihnen
abgab, die Rolle des Beobachters von Got-
tes Gnaden. Ihn schien das Bewußtsein,
aus dem Durchschnitte der Personen und
der Dinge als ganzer Mensch herauszura
gen, in hohem Grade zu erfüllen. Er machte
den Eindruck mehr erhaben als gemüthlich
zu sein. Er erschien wie seine eigene
Statue. In Rom, wo man unter lauter
Statuen wandelt, kam er uns bisweilen wie
eine pathetische Versteinerung vor.
In der Stadt seines „Michelangelo"
fühlte er sich von jenen Mittelmäßigkeiten
abgestoßen, die aus aller Herren Ländern so
zahlreich nach der Tiberstadt kommen. Rom
machte ihn noch pathetischer, noch unge-
müthlicher. Rom an sich ist ja nicht ge
müthlich — gemüthlich ist weder das Papst
thum noch dessen Widersacher, der Natio
nalismus und der Rationalismus. In
Rom hört man, wenn man dort in einer
dieser Weltstadt angepaßten Stimmung
lebt, gerade nicht das Heimchen am Herde
zirpen; auch die Geselligkeit hat bisweilen
die kosmische Größe des historischen Thea
ters, das Rom bietet.
So sahen wir Hermann Grimm, und er
erinnerte lebhaft an Gregorovius, der nicht
weniger pathetisch als Grimm war.
Und doch, welch ein Unterschied bestand
zwischen Beiden!
Diese Zeilen sollen mehr eine Erinnerung
s Beryleichc auch dc„ kurze» biograph>AM '^ £ *
f.iti »n lebt«,, SoiintaaSblattc.