aus
Berliner Börsen - Courier, ^r.287 1901, Jun.22
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 9
—• Die „Neue Fr. Pr." veröffentlicht persönliche Er-
nerungen an ^— - * ------- j*?
S entnehmen
eTm an 05SmTr P^iommje ^r-
S entnehmen: „MS Lehret bpräw 1 !«». ^ folgen- -£> diese Dichterin heute weitbin bekannt «nd Auklaae
tte er Theodor Mommsen, den kalten Fmi^-^Atät nach Auflage hat sie erlebt. Der Preßburaer Literatur»
medpn" C0 ro beiden konnten einander * nickt s^reckendi ^ Pseudonym Schrattenthal
necken . Mommsen batte manches svöttilcke Wort"jlÄ opmnS^' n Johanna Ambrosius Propaganda
^ ort itBer gemacht. Blellercht brachte dies ihn mit Grimm zusammen.
Decken". 'Mommsen hatte manches spöttische Wort''ttbe'r gemacht. 'Vielleicht brachte dies ihn ~ ....
ri!^ 0 „si,r r 5!s t { Ur lF e s Ctcn ‘ & e L cr keineswegs Irre ich nickt, so war es auch dieser Preßburger Schrift-
liebenswürdig von dem um zehn Jahre älteren College«^steller, der eines Tages einen armen verwachsenen jüdischen
Lehramtscandidaten aus Ungarn an Grimm empfahl.!
Dieser fand Gefallen an den» bescheidenen, kränklichen!
Menschen mit dem gedrückten Wesen. Er fichrte ihn
aber eS war ihm nicht gegeben, so stachelige
Worte zu finden, wie dem großen Geschichts-
ber nicht nur Meister der Historiographie
von Mommsen, dem römischen Adler, geschieden, so lebte
er räumlich und geistig fast Wand an Wa»tt» mit Curtius,
dem Atttker. In der Matthäikirchstraße, im Westen von
Berlin, im Thieraartenviertel, wohnten sie neben einander,
dort in jenem Quartier, wo so Viele von der Berliner
Stoa wohnten und noch wohnen. Vor fünf Jahren,
alS ich selbst mehrere Wochen in der Nähe jener
Matthikirche verbrachte, die Gottfried Keller wegen
ihres stillosen unkünstlerischen Baues in einem
Gedichte recht scharf hernahm, wohnten dort Ludwig
Bavlberger (einige Schritte um die Ecke in der Marga-
rethenstraße), Julius Rodenberg, Adolf Kirchhoff, der
S ellentst, Erich Schmidt, der Germanist, Ernst Cuttius,
ermann Grimm. Stiller Friede lag über diesem Viertel,
wo stch diese hervorragenden Gelehrten ihren Gedanken
und Forschungen Hingaben. Als ich an einem heißen
Gommertage Grimm's kühle Wohnung im dritten Stock
werke betrat, rief ich aus: „Wie in einem Atelier!" Das
nahm er mit den Worten hin: „Doch nicht solche Unordnung!"
Nein, Unordnung war ihm fremd. Ich hatte nur auf das
Künstlerische angespielt. Es war in der That außer
ordentlich stimmungsvoll bet ihm. Er führte mich vor ein
Goethe-Bildniß, gemalt nach dem Leben, dann vor eine
Goethe-Todtenmaske. Es waren Reliquien, die ihm zum
Theile sein Vater Wilhelm, sein Onkel Jacob Grimm
hinterlassen, zum besten Theile aber aus dem Besitze von
Herman Grimm's Gemahlin Gisela, einer Tochter der be
rühmten Bettina v. Arnim. Und dann zeigte er mir
Landschaftsbilder an den Wänden, gemalt von Freiherrn
Gleichm-Rußwurm, einem Enkel Schiller's, Vater
jenes setzt in Rom lebenden Schriftstellers, den wir in
den letzten Jahren wiederholt in Wien zu begrüßen Gele
genheit batten. Und dann machte Grimm — es war eben
nach seines Freundes Curtius' Hinscheiden — melancholisch
die Bemerkung: „Wenn ich einmal todt bin. so soll all
das nach Weimar wandern, meinen letzten Bestimmungen
e den Goethe-Sammlungen einverleibt werden."
4nr CVslfirttMstVtf Ikrlvrt*-*
r werden ja bald von Grunm's Testament hören
und bald wissen, ob die Kostbarkeiten aus einer klassischen
Vergangenheit, die ich damals bet ihm bewundern bürste,
nun wirklich den Weg nach dem von ihm so geliebten
Weiinar nehmen werden. Er fühlte sich der alten classischen
Zeit von Weimar näher als der neuen, in Waffen klirrenden
von Berlin. Grimm war in Cassel geboren, aber in Berlin
hatte er den größten Theil seines Lebens hingebracht,
dreißig Jahre davon als Lehrer an der Universität. Doch
das Familien-Milieu, in dem er aufgewachsen war, hatte
ihn mit dem Heroen-Zeitalter der Literatur verknüpft. Die
VI ^ 1^|| CsTitsfoöt*-** fölM llttX CV«.im V"
tden nicht NU
... Berührung m _ ^ . .. .
Gisela v. Arnim, die Tochter Bettmas. In Bettinas Hause
war aber Goethe als Gott verehrt, als Großer und Einziger.
Um zwölf Jahre war die Gemahlin Hcrnians, Gisela,
ihrem Manne im Tode vorausgegangen. Im April 1989
war sie in Florenz aus dem Leben geschieden. Mit ihr
hatte Herman ein gutes Stück seiner selbst begraben.
Bettina's Tochter war eine eigenthümliche Erscheinung.
Sie hielt vor Allem auf das Urwüchsige der Persönlich
keit. Uebercultur war ihr zuwider. Bettinas Tochter
schrieb — uuorthographisch. Ich hörte Manchen darüber
klagen. „Sie posirt", sagte man. Und dabei versuchte sie
sich in Dranien und auch Romanen. Auch Herman
Grimm hatte Gefallen an solchen unverkünstelten, wie
ein Naturlaut hervorbrechenden Dichtungen, Er
lenkte mit Entzücken die Aufmerksamkeit auf Johanna
«oigt. das oftpreußische Naturkind in Zroßwers-
mcningken bet Lasdehnen. Als Johanna Ambrosius
oerreyrre. «yn uem iv-yi ihuiuuhiujcu < yw“i'- «v. .
der ungarische Candidat, dessen Name mir entfallen, die
freude, einem Landsmanne zu begegnen, der es in der
Welt herrlich weit gebracht. Es war Josef Joachim, der
in dem kleinen Neste Kittsee bei Preßburg das Licht der Welt
erblickt hat. Der verwachsene Student aus Ungarn sollte nicht
lange die schönen Tage von Berlin überleben. Bald nach
dem er in die ungarische Heimath zurückgekehrt war, starb
er, und mit Rührung nahm Herman Grimm die Todes
nachricht entgegen. Der Biograph Michelangelos. Rafael's
und Goethe's hat ihm einige rührende Zeilen in der Ber
liner „Natioual-Zeitung" gewidmet. Bon Allem, was
Grimm geschrieben, hat mich nichts so ergriffen, wie die
Worte des Abschiedes au den armen Schützling aus dem
Ungarlande. Da zeigte sich die Regung deS Herzens in
einem Manne von Geilt." . HHI I