_ wahrer Herzensbildung andererseits ist. Unglücklicher weise bezweckt
sr Gedächtnißüberbürdung als Gefühls- und Lharaktergröße.
^s Erfrischende findet man, wenn man eine weitere Umschau hält. In alten
^en Griechen und Römern, besonders aber in Sparta, wurde das Alter hoch
fen, auch näherstehende Völker ehrten sich in dieser Einsicht. Schon die Wörter der
^Sprache legen hierfür ein beredtes Zeugniß ab, wie z. B. Senatns, Gerousia, Dgmo-
^ gerontes, presbeis, Seigneur, Monseigneur, Sire, Sir, Sennor, Sheickh, Llder, Laldor-
man und viele andere, die Verehrung für's Alter in sich enthalten. Eingedenk des
Sprichwortes , Juventus et sapientia fere uriguam eadem sede utentes reperiuntur il wurde
t»cr römische Staatsrath als Senat gegründet, wo nur ältere, erfahrene Bürger sitzen
konnten. Die Gerousia bestand aus 28 Bürgern, deren jeder das softe Lebensjahr über
schritten haben mußte. Die Perser und Aeggpter verehrten das Alter, bei den Bindus
kam es sogar zur Ahnenanbetung. Die Juden zeichneten sich immer durch Mildthätigkeit
und Altersverehrung aus. Die katholische Kirche hat immer ihre Führung älteren und
alten Männern anvertraut; der jetzige Papst ist ein ehrwürdiger Greis. In Mexiko sah
ich graubärtige Männer und alte Frauen beim Abschiede ihren Vätern und Müttern die
Band küssen. Mit rührender Anhänglichkeit gedenkt der Ehinese seiner Eltern und Groß
eltern.
wie großartig, ja wunderbar ist das Bild des Alters, welches uns unser geliebter
Schiller in dem schweizer Freiherrn Attinghausen gegeben hat. Im höchsten Greisenalter
denkt er nur an das wahre Wohl seines Volkes, erhebt sich über die enge Anschauung des
Adels, obwohl zum eigenen Nachtheil, und verscheidet, geliebt und verehrt von Allen,
vom niedrigsten Knecht, deffen Thräne, auf die todte Pand geweint, zum Bimmel spricht.
Das Bild ist so herrlich, daß es nur sich selbst genügt, aber nie beschrieben werden
kann. Goethe läßt den hundertjährigen Faust noch große Thaten der Menschlichkeit ver
richten und geläutert' nach einem sündhaften, stürmischen und vielbewegten Lebenslauf in
die Arme des allbarmherzigen Gottes gleiten.
wie groß, wie unaussprechlich schön! — Aber selbst in der jetzigen Zeit und unter
ungünstigen Umständen giebt es oft ein glückliches Alter reich an Freuden. Blickt man in
die Ferne, so sieht man Greise, die wohl ausrufen dürfen: „nihil habeo quod accusem
senectutem", denn das Alter blieb ihnen günstig. Gladstone, Bismarck, Papst Leo der
Dreizehnte unter Bunderten, die ich erwähnen könnte, sind prächtige Erscheinungen. Der
herrliche Denker und Schriftsteller Permann Grimm steht heute im Mittelpunkt des viel
seitigsten wiffens und ist frisch und thätig. Lang wäre die Liste aus alten Zeiten, wollte
ich die großen Greise herzählen.
Bier in Ealifornien, unter meinen Freunden und Bekannten, giebt es viele, die
sich für alt halten, weil sie das roste Jahr ihres Lebens überschritten haben, aber sonst
glaubt es Niemand. Da ist Dr. Behr, Arzt, Botaniker, Gelehrter, heute noch sehr
rührig, Dr. Lastelhun, Arzt und Dichter, voll Energie und Geistesfrische, Theodor Kirch-
hoff, der in seinem ro. Jahre eine bleibende, prächtige Dichtung der Welt gegeben hat,
der überaus geistreiche, witzige, burschikose Dr. Muhr. Mein Freund und ehemaliger
Arzt, Dr. Legier, verdient besondere Erwähnung. Fast 80 Jahre alt, bewahrt er ein
scharfes Auge, den klarsten Kopf, das vielseitigste Interesse für alle Ereignisse, körperliche
Frische, unveränderlichen Frohsinn und ist der liebenswürdigste Gesellschafter, den man
sich mir wünschen könnte. Professor Pesse, einer der tiefsten Denker unserer Fakultät,
besteigt regelmäßig noch immer die höchsten Berge, Professor Joseph Le Lonte schreibt
und lehrt mit größtem Fleiß und der Präsident der Staats-Universität, Martin Kellogg,
obwohl schneeweiß, führt alle Geschäfte der Universität wie ein junger Mann, ist überaus
thätig und hat soeben die Kunst des Zweiradfahrens erlernt. Perr Elans Spreckels, ein
edler Wohlthäter des Altenheims, baut im hohen Alter Eisenbahnen, Paläste, Fabriken
und sein Unternehmungsgeist ist großartig zu nennen. Perr Joseph Brandenstein, unser
verehrter Führer, findet noch immer Zeit und Gelegenheit, bei allem, was groß und edel
ist, thätig einzugreifen. Ehre allen diesen Perren; sie müssen, da „Juventus vitae serendd
tempus vocatur“ ein tugendhaftes Jugendlichen geführt haben, in der Jugend waren sie
alt, so sind sie im Alter jung, und auf sie ist anzuwenden ein kleines Lehrgedicht:
,,Großvater, sag', du bist schon so alt;
Doch munter noch ist dein Gesicht,
Past in den Armen noch so viel Gewalt
Und klagst über Krankheit noch nicht,
Bist heisrer als mancher junge Mann.
Wie geht das zu? wie fingst du das au?"
Ich trieb in der Jugend mich nie wild umher;
Ich aß und trank auch nimmer zu viel,
war mäßig im Schlaf, bei Lust und Spiel. fr
Ich scheute mich nicht vor Regen und wind;
Drum blieb ich gesund. — Mach's auch so, mein Kind !"
Bedenkt man die Jugendlichkeit all dieses Perren, bedenkt man, daß ein hohes Alter
weit über ,oo Jahre nicht selten ist, daß der berühmte französische Chemiker Ehevrenl
kurz vor seinem Tode im ,05. Jahre seines Lebens noch wissenschaftlich wirkte, liest man
Pebel's Erzählung: ,,In Schottland giebt es Leute, welche sehr alt werden. Lin Reisen
der begegnete einmal einem betagten Sechziger, welcher schluchzte. Auf die Frage, was
ihm fehle, sagte dieser: Der Vater habe ihm eine Ohrfeige gegeben. Das kam dem
Fremden fast unglaublich vor, daß ein Mann von solchen Jahren noch einen Vater am
Leben haben und noch unter solcher Zucht stehen solle. Als er ihn aber nach der Ursache
der Ohrfeige fragte, so sagte der Sechziger, er habe den Großvater schier fallen lassen,
als er ihm habe sollen in's Bett helfen. Als das der Fremde hörte, ließ er sich von dem
Manne in's Paus führen, ob es auch so sei, wie er sagte. Ja, es war so. — Der Bube
war 62 Jahre alt, der Vater 96, und der Großvater 150—" bedenkt man das Alles, so
muß man zugeben, der Greis hat noch immer die Freude der Poffnung auf ein langes,
nützliches Leben, besonders da die Lebensbedingungen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich
verbessern.
■ Line große Freude des Alters sollte im Rückblick zu finden sein. Der Bergsteiger
denkt lange über die Ersteigung eines hohen Gipfels nach und führt mit großen Gefahren
schließlich fein vorhaben aus. von der Spitze des Berges genießt er die herrlichste Aus
sicht, die ihm unvergeßlich in der Erinnerung bleibt, so lange er lebt, und zurückgekehrt,
fühlt er sich glücklich und theuer sind ihm die überstandenen Gefahren und der wonnige
Genuß. So geht es auch im Leben. Je älter wir werden, desto größer ist das Panorama
der Erinnerung und die überstandenen Freuden und Leiden ziehen am entzückten Auge
wie ein Traum vorbei. Nichts Größeres giebt es als überstandene Leiden; sie geben
uns Ernst und Läuterung. Todesgefährlich krank lag ich einst wochenlang darnieder, ich
blickte tief in das offene Grab; schrecklich war die Zeit für mich und meine Lieben. wie
herrlich scheint jene trübe Zeit der Rückerinnerung. Kamen nicht die edelsten Menschen
an mein Krankenbett und boten sie mir nicht ihr Pab und Gut an in der Noth, mich
aroßhcrzig bittend, an eine Rückzahlung nicht denken zu wollen? — Lernte ich damals
nicht Dr. L. L. Laue von San Francisco kennen als den weisesten, edelsten, großherzigsten
Mann in meinem Lebenslauf? Als Fremder kam ich zu ihm und er behandelte mich
monatelang, ohne je einen Pfennig von mir annehmen zu wollen. Bin ich nicht seitdem
wie ein Sohn in dem pause dieses großen Mannes und verdanke ich ihm nicht tausend und
aber tausend Blicke in das menschliche Leben und das Beste: den Blick in seine eigene
Seele? — Ja, ich habe durch meine Bekanntschaft mit ihm eine Seite der Unsterblichkeit
kennen gelernt. Das bringt mir der Rückblick auf die unglücklichste Periode meines
Lebens. Alle meine Zuhörer können auf ihr Leben einen solchen Rückblick thun und
meine Freude mit mir genießen.
Der Rückblick auf ehemalige Fehler und begangenes Unrecht wird in den meisten
Fällen Glück gewähren, denn ich glaube fest, die meisten Menschen werden im Alter durch
Ueberlegung und Ruhe veredelt und gebessert. In meiner Jugend habe ich manchen
bösen Streich begangen, dessen ich heute gewiß nicht fähig wäre, und so geht es den meisten.
Die Wunder der Natur bieten dem Greise wie der Jugend ein unendliches Glück.
So lange das Auge sehen kann, sind Feld und Wald, Berg und Thal, der Bach, der Fluß,
der See, das Meer, Pimmel, Wolken und Sterne, die ganze Thierwelt da, die Seele zu
entzücken, und nie ermüdet der gefühlvolle Mensch in seiner Bewunderung. Reinick singt
herrlich:
,,wie ist doch die Erde so schön, so schön!
Das wissen die vögelein:
Sie heben ihr leicht Gefieder
Und singen so fröhliche Lieder
In den blauen Pimmel hinein.
wie ist doch die Erde so schön, so schön!
Das wissen die Flüss' und Seen:
Sie malen in klarem Spiegel
Die Gärten und Städt' und Pügel
Und die Wolken, die d'rüber geh'n !
Und Sänger und Maler, die wiffen's,
Und es wiffen's viel andere Leut'!
Und wer's nicht malt, der singt es,
Und wer's nicht singt, dem klingt es
In dem Perzen vor lauter Freud'!"