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Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 7
Cägltcbe Rundschau
Sonntag, io. September
> 1911 .
6m präzeptor der alten Schule.
(Aus Ludwig Grimms Erinnerungen.)
Ludwig Grimm, der jung st e Bruder von Jakob
und Wilhelm Grimm, war Maler und Radierer.
Er wurde am 14. März 1790 in Hanau geboren und starb
am 4. April 1863 als Professor an der Akademie
der bildenden Künste zu Kassel. Sein Leben zog,
wie der Herausgeber seiner Erinnerungen bemerkt,,
keine weiteren Kreise. Von seiner Münchner Studien
zeit, dem Feldruf 1814, einer Jtalienfahrt und einigen Reisen
in Deutschland abge'ehen, spielte es sich in dem von ihm so
sehr geliebten Hessenlande ab. In seinen „Erinnerungen"
finden sich köstliche Kulturbildchen, unter denen wir
die anschauliche Schilderung des Präzeptors Z i n ck h a n
auswählen.*) Von diesem Meister Bakel erzählt er u. a.:
Jakob und Wilhelm waren die fleißigsten, konnten aber
in Steinau nichts mehr lernen, und Jakob soll das selbst
gesagt und dabei gemeint haben und vor Ärger in der
Stube herumgekrochen sein. Bald darauf kamen beide aufs
Lyzetmt nach Kassel, wir gingen noch weiter zum Zinckhan.
An ein ernstliches Lernen wurde aber nicht gedacht,
sondern meist Mutwille getrieben. In die Schule ging ich
nur deshalb gern. weil ich da mit den Schulkameraden
zusammenkam und Spektakel gemacht und nach der Schule
in den Garten oder sonstwohin gegangen wurde.
Hätte Zinckhan mich nicht eingesperrt und hätte es
keine Schläge gegeben, ich wäre gewiß in der
Woche drei- bis viermal neben die Schule gegangen, um
in Wiesen und Wäldern unter Gottes freiem Himmel
herumzuschwärmen; aber der Zinckhan war streng, verstand
keinen Spaß, und die liebe Mutter hielt sehr darauf, daß ich
die Schule regelmäßig besuchte, war es auch nur, um sicher
zu sein. daß ich unter guter Aufsicht sei.
Zinckhan gab mir Unterricht in der Violine, Klavier,
Rechnen, Schreiben. Religion und Lateinisch. Wir bekamen
oft Schläge, ich beinahe alle Tage. Er hatte Stöcke und
kurze lederne Peitschen, denen er Namen gegeben batte, und
je nachdem die Strafe war, wurde der Stock g, wählt. Ich
wüßte niemand, vor dem ich im Leben mehr in Furcht ge
wesen wäre, wie vor diesem Präzeptor Zinckhan.
Er war wohl sechzig Jahre alt; soviel ich mich seiner
noch erinnere, will ich ihn beschreiben: nicht sehr groß, breit
schulterig. mit markiertem und gescheitem Kopf. trug er, wenn
er in die Kirche und ausging, eine Perücke, die unten dicke,
gemachte Locken hatte, aber nicht gepudert war. Im Winter
trug er einen schwarzen, im Sommer einen hellblauen
oder violetten Anztig, Rock mit breiten Schößen, großen
Taschen und roten Knöpfen. An jedem Rock war aber am
Kragen da, wo die Locken der Perücke hingen, das Zeug
sehr abgeschabt und hatte ganz die Grundfarbe verloren;
„ *) Erinnerungen aus meinem Leben. Von Ludwig
Emil Grimm. Herausgegeben und ergänzt von Adolf Stoll.
Leipzig 1911. Hesse u. Becker Verlag.
besonders hatte der violette Rock durch das Wetter sehr die
Farbe verloren, und wir konnten das Alter der Röcke gar
nicht berechnen. Dabei trug er einen altmodigen dreieckigen
Hut, schwarze oder violette wollene Strümpfe, Schuhe mit
großen Schnallen und endlich ein großes, altes spanisches
Rohr.
Schien die Sonne heiß, so nahm er vor dem Tor oder
im Feld ein Hölzchen aus der Tasche, das die Größe vom
inwendigen Hut hatte, schraubte es auf den Stock und steckte
den Hut darauf: das brauchte er als Sonnenschirm. Von
uns, die wir zu ihm in die lateinische Schule gingen und
die er manchmal begnadete, uns mit sich in einen
von seinen Gärten oder auf einen weiteren Spazier
gang in den „Langen" oder „Bellingser Berg" mitzunehmen,
wagte niemand mehr, über diesen Sonnenschirm zu
lachen, denn wir hatten darüber Hiebe und Rippen
stöße in Menge bekommen; und die Erlaubnis, ihn irgend
wohin begleiten zu dürfen, betrachteten wir als eine Strafe,
und wenn wir es ahnen konnten, daß er bald wieder soviel
Vergnügen mit uns vorhotte, betrachteten wir es immer als
großes Glück, wentl Rege^Äer eintrat.
Sommer und Winter mußten wir uns Sonntags bei
ihm versammeln, ntorgens vor der Kirche, und wenn es
das zweite Mal geläutet hatte, marschierte er voran, und
wir mußten folgen, und ein viel älterer Schüler, G. Gott
schalk (jetzt Amtschirurg in Steinau), mußte ihm ein
erwärmtes Brettchen nachtragen, worauf er beim Orgel
spielen saß; wir froren oft entsetzlich in den zwei
langen Stunden, denn wir waren immer leicht an
gezogen ; selten sangen wir ordentlich mit; nicht selten,
wenn er bemerkte, daß wir Jungens lackten, ließ er
unbenrerkt den Gottschalk die Orgel weiterspielen, kam von
der anderen Seite hinter uns und fragte jeden, an welchem
Vers jetzt gesungen werde, und wenn er sah, daß wir's nickt
wußten, mußten wir alle acht jeder einzeln hinter die Orgel
kommen und bekamen unsere Schläge.
Ein ziemlich steifer Kerl. der in die Kirche läuten mußte,
und den wir nur den „Läuthannes" nannten, mußte auch die
Bälge zur Orgel ziehen. Auf einem Auge sah er gar nichts,
auf dem anderen sehr wenig; es war nun sehr komisch anzu
sehen, wenn er nach den Seilen packte, um sie auszuziehen,
und wohl fünf- bis sechsmal vergebens griff; wir schleuderten
oft die Seile herum, und er tappte nun vergeblich in der Luft
herum, unwillig brummend, so daß manchmal der Orgel die
Luft ausging und die Töne stecken blieben. Einige Male warf
der Karl das Seil auf die Orgel, und der Läuthannes konnte
es gar nicht mehr bekommen, und während er tappend um
sich griff, um es zu fassen, hatte er vergessen, den anderen
Balg auszuziehen: die Orgel gab auf einmal gar keinen Ton
mehr von sich, und die Gemeinde sang noch eine Minute ohne
einen Orgelton. Zinckhan kaut mit einem roten Kops
hinter die Orgel gestürzt und war wütend und wir alle in
der größten Angst; er stellte sich auf einen Stuhl, holte das
Seil wieder herunter und sagte zu uns: „Nach der Kirche
kommt ihr alle in die Sckulstube." Wir waren in einer
P Herbst «na WU-1Z
Höllenangst, und wie wir uns nun versammelt hatten, fragte
er jeden einzelnen: „Hast du das Seil auf die Orgel ge
worfen?" Aber jeder sägte: „Nein." Da bekam jeder seine
Tracht Schläge.
Im Winter gingen die Vürgerjungen von acht bis elf
Uhr in die Schule und von elf bis zwölf wir, und sie
mittags von eins bis drei und wir von drei bis vier. In
der großen Schulstube hatte er in der Türe oben ein
Loch machen lassen, ein Blech darauf und in da8
Blech ein kleines Löchelchen gebohrt. Nun schlich
er langsam die Treppe herauf, konnte durch das
Löchelchen alle Schüler übersehen, blieb da eine Zeit
lang stehen und beobachtete da die Mutwilligsten, kam
dann herein, ergriff den Stock ohne ein Wort zu sagen, und
nun bekamen die Ertappten tüchtig Schläge; wenn er dann
wieder auf dem Pult stand, sagte er nur: „Wißt ihr warum?"
und wenn die nicht augenblicklich ja riesen, bekamen sie noch
einmal Schläge.
Jeder Bürgerjunge bpackte ,anstatt Geld ein ScheiK
Holz mit, daL wurde'm dbr Schulstube in einer Ecke auf
gehäuft, und nach der Schule mußten einige das Holz nach
dem Hof tragen und in Ordnung legen.
Nachdem wir ein Weilchen versammelt waren, ging die
Türe auf, und er kam, blickte jeden an, ob vielleicht einer
lackte oder ob er sonst etwas bemerke; war das nicht der Fall,
so ging er an sein Pult; über dem Pult oben an der Wand
war ein Faden befestigt, daran hing der Brill; den setzte er
auf, und wenn er vom Pult ging, banunelte der Brill in
der Luft; er rauchte große Dämpfe aus seiner Pfeife. Wir
standen in Front aufgestellt, und er sagte: „Habt ihr
all eure Grammatik?" Hatte sie einer nicht, so bekam er
eine Tracht Schläge und mußte sie von Haus holen, wobei
er ihm noch gewöhnlich nachrief: „In zwei Minuten mußt
du wieder da sein."
Nun wurde Karl gefragt: „Was ist eine lateinische
Grammatik?" — Ist eine Anweisung zur lateinischen
Sprache, die da lehret, wie man dieselbe recht schreiben,
verstehen und reden soll." Nun wurde der zweite gefragt:
„Was ist eine griechische Grammatik?", der dritte: „Was ist
eine hebräische, eine ungarische usw.", worauf dann jeder
das nämliche sagte wie bei der lateinischen Grammatik.
Diese Aufgabe kam jeden Tag vor, und wir hatten sie sehr
gern, weil es jeder auswendig konnte. Nun kamen die
Konjugationen; das ging auch so ziemlich,, weil wir sehr
weniges, immer drei bis vier Wochen lang, aufbekamen;
zuletzt dieWörter, höchstensviep bisfünf; aberhöchstseltenkonnte
sie einer alle, da sagte er: „Setzt euch hin und lernt sie besser!"
Er selbst nahm unterdes wieder eine andere Arbeit vor,
zog eine neue Saite auf die alte Violine oder arbeitete an
einer alten Lampe, für die er aus Binsen Dochte gemacht
und an der er allerlei erfunden und verbessert hatte. Richtete
einer von uns eine Frage an ihn über den Gegenstand, woran
er schnitzte oder feilte, so sagte er kurz: „Halts Maul" oder
„wart, ich will dir lernen helfen". Hörte er daraus ein
Kichern, so qab's auch richtig Schläge.
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