Seite 194 Unsere Heimat OOtztztztztztztzHHHtzEE-tztz-tzE-E-EHHH
Nr. 25/26
Nr. 25/26 AAGAsAGZAAGsAAZAAASAAAZ'A TltlfCEC OOGHOGßOOOEHGOEEOOGHOOGO Seite 196
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 7
Pfarrer D. Jotj. f^dam Heitmann
f IS. November 1?30
V^iner der treuesten freunde unserer Primat und
VV" des Heimatbundes ist heimgegangen. Uls im
Frühjahr 1908 der letztere ins Leben trat,
begegneten wir uns zum ersten Male. Das starke
Bnterejse und die Freude an dem Neuen, das werden
wollte, riefen ihn. 22 Jahre hindurch ist die Teil
nahme an unserem Werk und Wollen wach geblie
ben, und als er sich, müde und krank geworden, an
schickte zur heimfahrt, die dann noch Jahre lang
ihn warten und leiden hieß, hat sie auch nicht nach
gelassen. 5ll§ die Kunde von seinem Scheiden kam,
überfiel mich mit der Erkenntnis: „Wieder einer!"
das Wissen von einer Lücke, die nun gerissen war,
und in der bis dahin ein Mann gestanden, gütig,
hilfsbereit, reich an Nat, Glauben und Kraft.
Sein Geburtstag war der 5. 5lpril 1860, sein
Vaterhaus die Schule in Hohenzell. Tr war der
jüngste von vier Söhnen, der Herzenssohn seiner ge-
mütstiesen Mutter, der Tochter des Kantors Kupp
in Seidenroth. Jünger als er war noch eine Schwe
ster, die er durchs ganze Leben zärtlich geliebt hat. Dörfer mitten zwischen den'/ein"lutbe!iscken'
Tr besuchte zunächst die Schule des Heimatdorfes, den des Hannoverlandes reformier! Kni
wurde sehr schnell einer der Helfer seines Vaters
den alten Glaubens- und heimatgenossen, den huge-
^Een, um so zugleich der Gemeinde ihre sie ver-
pflichtende /beschichte wieder lebendig ins Bewußt
en zu heben. Tr hat durch geschichtliche Nachfor
schungen die urspründliche, bei der Gemeinde in Ver-
französische Heimat neu entdeckt
Mt ib7Z.l^s^^?Lr7" Beziehungen mancherlei
5lrt ihr Geldhilsen erschlossen. Waldensberg sah auch
seineBrautf*f ^ ^rrers; >887 führte er
flud]' für die reformierte Zache wirkte Oft kieil-
mann von ,-h-r 31s Sohn der alten, ehema - refor-
mle mrt "l f berCn , lag ihm da-
1884 7n mnrhurn ^ ~\ öcn Reformierten Bund
^^.burg mitgrunden helfen. Sein heidel-
b^/«nus" ist in vielen schulen we weher
. 1888 erwählte heilmann Spanbeck b^i ffint-
ungen zu seinem Wirkungskreis Spanbeck gehätt
mit seinen 2 Filialen zur alten Grafschaft vlesse
einem hessischen Lehen im hannoverschen sodaß diese
D.rf.r -at-n ,ein luthe ischen Gem(
reformiert sind. 5luch in
in der Tinklassigen, und dann das Progymnasium
in Schlüchtern, wohin er bei Wind und Wetter zu
Fuß über den Berg ging, dann das Gymnasium
in Hanau, wie vor ihm und gleichzeitig mit ihm
seine Brüder. Ts waren entbehrungsreiche Bahre...
Zum Studium wählte er sich schon als Schüler die
Theologie, während zwei der Brüder Schulmänner
wurden, der dritte wurde Kaufmann, die Schwester
Diakonisse. Tr studierte in Marburg und Trlangen.
In seiner schon als Student lebendigen Frömmig
keit war er doch nie weltabgewandt. Bugendfreuden
und Freunde fürs ganze Leben fand er in der Stu
dentenverbindung Wingolf, mancherlei anregenden
und für Geist und Gemüt fruchtbaren Verkehr in
den Familien der Professoren, besonders im Hause
von Prof. Dietrich in Marburg, dessen Tochter Maria
er sich später als pfarrfrau in den vogelsberg holte.
Neben den theologischen Studien verfolgte er schon
als Student die Interessen, die ihn durchs ganze
Leben begleiteten und suchte sich durch Besuch von
geschichtlichen und germanistischen Vorlesungen ein
wissenschaftliches Nüstzeug dazu zu erwerben. Buch
Namenforschung betrieb er schon als Student.
Nach bestandenem theologischen Txamen erhielt er
als Anerkennung seiner Leistungen ein Neisestipendium,
das ihm vor Beginn seiner pfarrertäägkeit eine
Erweiterung des Gesichtskreises und der Bibung er
möglichte, wofür er stets dankbar war.
1883 trat er seine erste Stelle an in Gelnhausen
als Hilfsprediger von Pfarrer Nollmann. Die Ver
hältnisse fügten es, daß er hier schon voll beschäftigt
und ganz aus eigene Füße gestellt wurde.
1885 erhielt er die erste eigene Pfarrstelle in
Waldensberg. Dieser alten, armen Waldenser-
gemeinde hat er seine ganze erste Licke geschenkt, aber
auch über den Tod hinaus dort Liebe geerntet. Er
war tzhr nicht nur Pfarrer, sondern auch bemüht,
der Gemeinde wirtschaftlich zu helfen, schlimmste Not
zu bannen. Diese Hilfe aber suchte er für sie bei
dieser Gemeinde blieb hetlmann- wirk n unmrgdfen
§b-r auch er vergaß nicht, flts er sich selbst /Üm
Sterben schickte, tauchten Silber an- jener Zelt auf
und er tprach flüsternd vam unvergeßlichen Slick
eine- Sterbenden au- jener Seit (1888—1891) d m
er b«,gestanden, Auch hier hat er neben der vielg"
stultigen Gemeindearbeit noch Heimatstudien getrie
ben, Flurnamen erforscht und Land und Leuten ihre
Ligenart und Geschichte lebendig gemacht P
1891 wurde er von der reformierten Gemeinde in
Döttingen zu ihrem Pfarrer gewählt, hier nun
hat er seme ganze Kraft entfalte» können und 29
Bahre lang in die weite und Tiefe gewirkt
unb Beelsorge forderten hier ein weises Anpassungs
vermögen, da einerseits akademische Kreise andrer
seits viele einfache Leute zur Gemeinde gebörtm die
m der sonst rem lutherischen Stadt in der Verein
zelung stand, aber stark beachtet wurde. Tr erlebte
es, daß viele Studenten und Lutheraner sich allsonn-
taglich unter seiner Kanzel einfanden, weil sein
lebendiger Bibelglaube und sein zur Tat aufrufendes
Thnstentum Nahrung und Kraft gab. In einer Zeit
als man kirchlicherseits die „Bugend" noch nicht ent
deckt hatte, sammelte er Bugend der g a n z e n 5 t a d t
um sich. Das Gemeindeleben und die Zusammenaebö-
rigkeit der Glieder förderte er, indem er nach altrefor
miertem Muster die Stadt in Bezirke einteilte und
jedem Bezirk einen Pfleger und eine pfleqwin aab
die überall geistlich und wirtschaftlich Nat und Hilfe
brachten. Männerabende richtete er in einer Wirt
schaft in der Mstadt ein, um die nicht am Kommen
zu hindern, die den weg zur Kirche nicht mckr fanden
Neben dem Gemeinde-Wicken galt sein Mühen wie
der und verstärkt der gesamckeformierten Sache Tr
wurde Moderator (Präsident) der Niedersächsi'schen
Tonföderation reformierter Gemeinden und Vor
standsmitglied des Neformierten Bundes für Deutsch
land. Zum reformierten Nuscknde hat er mancherlei
Beziehungen gepflegt, vor allem nach Holland hin
aber auch nach Schottland und Amerika. Oft wurden
die ausländischen reformierten Studenten an der Göt
tinger Universität die lebenslang treuen Vermittler/
denn er hatte ihnen in der Fremde herz und Haus
geöffnet, Glaubensheimat geschenkt.
Buch die persönlichen Interessen fanden in der Göt
tinger Zeit weiterhin Pflege/ die Liebe zur Heimat-
forschung und zu Altertümlichem aller Art. So hat er
für das Zustandekommen eines Altertumsmuseums in
Göttingen lebhaft mitgeholfen, hat vorgeschichtliche
Ausgrabungen in der Umgegend mit größtem In
teresse verfolgt, hat aus Familien- und Flurnamen
Nückschlüsse auf die in geschichtlichem Dunkel liegende
Vergangenheit zu ziehen versucht und sich außerdem
der Kunst mit ganzer Seele erschlossen, vor allem
hatten Dürer und Nembrandt es ihm angetan. Große
seelische Bereicherung und Vertiefung auch seines
Glaubens hat ihm diese Liebe zur Kunst gegeben, aus
der heraus er auch junge Künstler der Gegenwart,
wenn er in ihnen nicht nur Können, sondern Seele
spürte, aufs eifrigste förderte. Mit dem hessischen
Heimatmaler Heinrich psorr vor allem verband ihn
treue Freundschaft.
In seinem Hause entfaltete sich ein reiches Fami
lienleben. Seine Frau, e ine tief fromme, ideal empfin
dende Natur, war ihm nicht nur mit unerschöpflicher
Liebe zugetan, sondern auch eine treue Helferin in
der Gemeinde vom ersten Tage bis zu ihrem Tnde
vor 14 Bahren.
Zeinen Kindern hat Pfarrer heilmann ihre Bugend
froh und reich gemacht — nach deren eigenem Zeug
nis. Tr hatte eine köstliche Art, zu necken, zu scherzen,
zu erzählen, und wenn er auch strenge Zucht übte, so
hat er die Bugend im Hause vielleicht doch am meisten
erzogen durch die Freuden, die er ihr bereitete. Un
vergeßlich bleiben ihnen die ersten Nusslüge im Lenz,
um die ersten Frühlingsblumen zu suchen, die Wan
derungen zu den Burgruinen, unvergeßlich sein Er
zählen aus seiner Heimat und Kindheit. In der
Heimat weilte er zum vorletzten Male mit den drei
ältesten seiner sechs Kinder im herbste 1910, den Seinen
die seinem herzen so teuren Stätten seiner Bugend
zeigend. Unvergeßlich bleiben auch mir die Stunden
im stillen Stübchen mit ihm, der mir erschien als einer,
der in besonderer Weise schöpfen durfte aus den
Ouellen von Glauben und Heimat.
Mit dem Kriege begann das Leid im eigentlichen
Sinn sein Leben zu beschatten. Ls fing an beim Mit
leiden in der Gemeinde, in der man schon 1914 fast
Haus bei Haus Gefallene betrauerte. Dazu kam die
Sorge um zwei eigene Söhne und zwei Schwiegersöhne,
die im Felde standen. Bm Frühjahr 1916 verlor er
seine Lebensgefährtin. Das gab eine Wunde, die nicht
wieder völlig verheilte. Und 1918 fiel sein jüngster
Sohn, ein sangesfroher Wandervogel und Theologie
student. von da an trat das Leiden in Erscheinung,
das er nach Gottes Willen durch 12 lange, schwere
Bahre tragen sollte: die Schüttellähmung.
1919 mußte er deswegen sein Pfarramt niederle
gen. In der Pflege der jüngsten Tochter, mit der er
1918 noch einmal die alte Heimat aufsuchte und auf
dem Willingshose ihm unvergeßliche Wochen ver
lebte, blieb er zunächst in Göttingen. Als diese Toch
ter 1925 heiratete, nahm sie den einsam gewordenen
Vater mit in ihr Waldecker Dorfpfarrhaus in Twiste.
Alle anderen Kinder waren durch Beruf und heirat in
die Welt verstreut. Das Leiden verschlimmerte sich
jedoch so sehr, die Oualen wurden so unerträglich, datz
ein Aufenthalt mit der Möglichkeit ständiger ärzt
licher Hilfe geboten erschien. So wurde ein Zimmer-
chen in der Nervenklinik zu Marburg die letzte
Heimat des geduldig Tragenden, dessen Wanderweg
sich dem Ende zuneigte. Die Hilfe der Aerzte, die
entsprechende Pflege und die Abgeschiedenheit von
der Unruhe des Lebens taten ihm sichtlich wohl, so
schwer es ihm oft auch war, in einer Anstalt sein zu
müssen/ denn sein Geist war frisch bis zuletzt. In
dieser letzten, schwersten Leidensschule, in der Zucht
des Leidens, hat sich sein Wesen nur geläutert. Nichts
von Bitterkeit war an ihm zu spüren, auch- kein dunk
ler Ernst, sondern vielmehr — eine dankbare Fröh
lichkeit, Friede. Beder, der mit der ständig zittern
den, gebückten Gestalt in Berührung kam, spürte
etwas von der Macht inwendigen Lebens, die Trost
und Kraft gäb. Die Schrebergartenleute in der Nähe
brachten ihm die Erstlinge ihrer Blumen und Früchte-
Und doch sollte er nicht in der Klinik sterben. Seine
letzten Lebenstage waren noch eigenartig besonnt.
Kurze Zeit noch durfte er im neuen eigenen Doktor-
haus seiner ältesten verheirateten Tochter sogar Groß
vaterfreuden haben und in der Liebe seiner Kinder
und Enkel auf Erden noch einmal ganz daheim sich
fühlen. Nach einer Woche des Besuchs aber befiel ihn
eine Lungenentzündung, die sein Ende herbeiführte-
voll tiefen Friedens und ohne Kampf nach vieljähri
gen Leidenskämpfen durfte er eingehen in die Heimat
im Licht.
Seien diese Zeilen im Heimatblatt zugleich- ^ ein
Kränzlein der Dankbarkeit auf sein Grab! Vieler
Herznot um Glauben und Heimat ist er nun entho
ben. Eine Bitte aber erklingt aus seinem Wirken zu
uns: „Lebet in beiden!"
Georg Zlemmig