aus s ?
1943, Sep
Heger des Horts, Pfleger des Morts
Zum 80. Todestag Jakob Grimms
Erst die neuzeitliche Wissenschaft hat den orga
nischen Chrakter aller menschlichen Sprachen
erkannt und sich dem Studium ihres Werdens
zugewandt, während man sie früher als abge
schlossene Gegebenheiten zu betrachten pflegte.
Einer der ersten, der die gewachsenen Zusammen
hänge der arischen Sprachen erschaut und erforscht
hat ist Jakob Erimm g"wesen. Er sta'-b vor
80 Jahren am 20. Sep
tember 1863 zu Berlin.
Aber er ist nicht nu
der Deuter der sprach
lichen Fäden, die dis
Rasien des indogerma
nischen Kulturkreiscs
miteinander verknüp
fen, er war im beson
deren nicht lediglich
der Begründer der ger
manischen Philologie,
sondern er hat im Zu
sammenhange mit dem
Studium der Sprach-
werdung auch in groß
zügigster. wegeweisen
der Art Volkskunde
und Altertumswisienschaft betrieben; er ging den
uns heute durch ihn selbstverständlich gewordenen
Weg, um über die Offenbarungen der Sprache
zu den Eigenarten der Nationen vorzudringen.
Damit hat er das ebenfalls noch junge Gebiet
der Kulturgeschichte bedeutend erweitert und
vertieft.
Heute wißen wir dank Jakob Grimm, dank auch
den Forschungen seines Bruders Wilhelm Grimm
und der Schar ihrer Nachfolger und Vollender,
daß die Sprache es vor allem ist, die den Zu
sammenhang der gleichstämmigen Menschen sichert
und lebendig erhält. Und so war es ja auch die
deutsche Sprache, die unesrem Volke und Vater
lande den Namen gegebn hat; denn „deutsch"
heißt „volksgemäß" und ist von dem ' griffe der
„lingua thiudiska“, der „Volkssprache", abgeleitet
worden. Ein Germanist aus Grimms Schule,
Philipp Wackernagel, sagt einmal bedeutungsvoll
über das Problem der Sprache im Zusammen
hange mit ihrer Volkheit: Sprache. Sitte und
Recht, Dichtung und Weisheit eines Volkes sind
Erbgüter, die den Bestand des Volkes bilden.
Jakob Erimm war es auch, der den allzu real
Gesinnten seiner Nation die Bedeutung der dich
tenden Sprache verkündete: „Wer die Geschichte
durchforscht, muß die Poesie als einen der mäch
tigsten Hebel zur Erhöhung des Menschen
geschlechtes ja als wesentliches Erfordernis für
dessen Aufschwung anerkennen. Denn wenn jedes
Volkes eigentümliche Sprache der Stamm ist, an
dem alle seine innersten Kennzeichen sich dartun
und entfalten, so geht ihr erst in der Dichtung
die Blüte seines Wachstums und Gedeihens auf.
Voesie ist das, wodurch unsere Sprache nicht nur
sieb und teuer, sondern woran sie auch fein und
'art wird, ein sich auf sie niedersetzender geistiger
Duft! Eines Volkes Sprache, welchem keine
Dichter auferstanden sind, stockt und beginnt all
mählich zu welken wie das Volk selbst."