© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 5
Dienstag
29. September
921
M 228.
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AmLIichr Nachrichten.
Se. Kbnigl. Hoheit, der Großherzog, haben
Sich in Gnaden bewogen gefunden, dem Musik-
lehrer am Schullehrer-Seminar zu Eisenach. Carl
Müller, den Charakter als Professor der Musik
zu verleihen.
Von dem Großherzogl. Staattz-Ministerium,
Departement der Justiz unv des Cultus, ist dem
mit der Sporteln.Einnahme bei dem Großherzogl.
Justiz-Amte zu Blankenhayn zeithep- beauftragt ge
wesenen Carl Friedrich Albe^-Portzel die Stelle
des Kopisten und SportM^Einnehmers bei dem
genannten Jnstiz-AM^übertragen worden.
-- ;
Jacob Grimm.
£.x. Weimar, 27. September.
Im Juni dieses Jahres brachte eine angesehene
holländische Zeitschrift, de Nederlandsche Spectator,
den Anfang einer auSführllchen Lebensbeschreibung
Jacob GrimmS, der nach dieser Zeitung vor einigen
Wochen gestorben sein sollte. Glücklicherweise konnte
sie in der nächsten Nummer ihren Lesern melden, daß
jene Todesnachricht auf einem Irrthum beruhe. Der
ehrwürdige Altmeister der deutschen Sprach- und Al-
terthumöwissenschaft war vielmehr trotz seinem hohen
Alter frisch und rüstig und voll Arbeitslust und Ar
beitskraft und man durfte hoffen, daß er noch lange,
lange der Wiffenschaft erhalten werde. Leider ist
diese Hoffnung nun doch zu Schanden geworden, denn
unerwartet, und darum um so schmerzlicher, erscholl
die Trauerkunde: Jacob Grimm ist todt! -
Die folgenden Zeilen sollen versuchen das Leben
und Wirken des Verewigten in aller Kürze, wie es
der Raum dieser Blätter gebietet, zu schildern und
bedürfen deshalb sehr der Nachsicht der Leser.
Jacob Ludwig Karl Grimm ward am 4.
Januar 1785 zu Hanau geboren. Als er 6 Jahre
alt war, wurde sein Vater als Amtmann nach Stei
nau versetzt, starb aber dort schon 1796 und hinter
ließ bei geringem Vermögen eine Witwe mit 6 un
versorgten Kindern, deren ältestes Jacob war. Die
zu jeder Entbehrung bereite Opferwiüigkeit der treff
lichen Mutter und die Unterstützung einer älteren
Schwester derselben in Kassel ermöglichten es, daß
Jacob und sein um ein Jahr jüngerer Bruder Wil
helm das Lyceum in Kassel besuchen konnten. Im
Jahr 1802 ging Jacob — ein Jahr früher als
Wilhelm — auf die Universität nach Marburg, um
dort die Rechte zu studiren, nicht aus besonderer Nei
gung, sondern hauptsächlich weil der Vater Jurist ge
wesen war und die Mutter es so am liebsten hatte.
Er mußte eingeschränkt leben, denn ihm, obwohl dem
besten Schüler des Lyceums, ward kein Stipendium
zu Theil, während sein Schulkamerad von der Mals
burg, der ^um vornehmsten hessischen Adel gehörte
und einst der reichste Gutsbesitzer des Landes werden
sollte, die fettesten Stipendien bekam. Damals war
der vor zwei Jahren verstorbene berühmte Jurist
Savigny Professor in Marburg und seine Vorlesun
gen ergriffen Jacob Grimm auf das gewaltigste und
erlangten auf sein ganzes Leben und Studiren ent
schiedenen Einfluß. In einer Gratulationsschrift zum
50jährigen Doktorjnbiläum Savignys (1850) erzählt
Jacob Grimm, wie Savigny seine erste eingelieferte
Arbeit über einen Fall aus dem Erbrecht mit den
Worten beurtheilt habe: „Nicht nur vollkommen rich.
tig entschieden, sondern auch sehr gut dargestellt!"
und setzt bescheiden hinzu, so günstig habe ihn nach
her kein andrer Recensent loben, mögen. In der
selben Gratulationsschrift schildert uns Grimm auf
da» anmuthigste, wie er in Savignys reicher Biblio
thek zum erstenmal Bodmer's Ausgabe der Minnesän-
ger gesehen und darin geblättert, wie ihm die alte
Sprache eigenthümlich ergriffen, er aber schüchtern das
Buch zu leihen nicht gewagt habe. 1804 ging Sa
vigny zu litterarischen Zwecken nach Paris, wohin
ihm Grimm auf seine Aufforderung, ihn bei seinen
Arbeiten zu unterstützen, im Frühjahr 1805 nachfolgte.
Auf der Pariser Bibliothek unterließ er nicht die be
rühmte Minnesängerhandschrift, die er in Bodmer's
Abdruck bei Saviguy gesehen, sich zeigen zu lassen,
betrachtete ihre unmuthigen Bilder und schrieb sich
schon Stellen ab. Nach Hessen zurückgekehrt ward er
1806 Kriegssekretär und benutzte seine Muße zum
Studium der Litteratur und Poesie deS Mittelalters,
wozu in Paris seine Neigung angefacht worden war.
Als das Königreich Westfalen gegründet war, wurde
er auf Johannes v. Müller'S Empfehlung Privatbi
bliothekar des Königs Jerome und Auditeur im Staats
rath, mit gutem Gehalt und viel Muße, so daß er
seine ersten Schriften, die bereits den zukünftigen
Meister erkennen ließen, veröffentlichen konnte. Nach
der Rückkehr des alten Kurfürsten hielt er sich als
hessischer Legationssekretär zweimal in Paris — das
eine mal auch von der preußischen Negierung mit der
Rückforderung geraubter Handschriften beauftragt —
und einmal in Wien längere Zeit auf. 1816 wurde
er Bibliothekar in Kassel, wo sein Bruder Wilhelm
schon seit 1814 Bibliothekssekretär war, und blieb in
dieser Stellung 13 Jahre, während welcher Zeit die
beiden ersten Bände seiner „Deutschen Grammatik"
erschienen, durch die er seinen, schon durch andere
Schriften angesehenen Namen zu einem für alle Zei
ten unvergänglichen machte. Als im I. 1829 der
Historiker v. Rommel in Kassel Oberbibliothekar wur
de, fühlten sich die Brüder Grimm mit Recht zurück
gesetzt und nahmen, obwohl ungern die Heimath ver-
lassend, 1830 die Berufung nach Göttingen an, Ja
kob als Professor der deutschen Sprache und Littera
tur und Bibliothakar, Wilhelm als außerordentlicher
Professor und Unterbibliothekar. Sieben Jahre ver-
lebten sie iu dieser Stellung, als im Herbst 1837 der
bekannte Verfassungsbruch in Hannover erfolgte. Die
Brüder Grimm gehörten zu jenen 7 Professoren, die'
eine Eingabe an den König Ernst August gegen die
Aufhebung des Staatsgrundgesetzes gerichtet hatten
und deshalb ihrer Aemter entsetzt wurden, Jacob
Grimm, Dahlmann und GervinuS noch dazu, weil
sie jene Eingabe anderen mitgetheilt, mit der Wei
sung, binnen 3 Tagen das Land zu verlassen. Ja
cob Grimm gab damals eine kleine Schrift: „Jacob
Grimm über seine Entlassung" (Basel 1838) heraus
mit dem Motto aus dem Nibelungenlied: War sint
die eide körnen? — eine Schrift, die gleich seinen
übrigen nie vergessen werden darf. Die nächsten
Jahre verlebte er in Kassel, bis er 1841 von Fried
rich Wilhelm IV. auf Anregung Alexander v. Hum
boldts mit seinem Bruder als Mitglied der Akademie
nach Berlin berufen wurde. Dort hat er seitdem ge
lebt, auch hier wie von Kindesbeinen an mit seinem
Bruder Wilhelm bis an dessen Tod eng vereint, er
selbst stets unverheirathet, während Wilhelm seit
1825 verheirathet war. In 2 Herbsten hintereinan
der (1843 und 1844) bereiste er Italien, Schwe.
den und Norwegen und „weidete seine Augen an al
lem was von gothischen Handschriften (den ältesten
schriftlichen Denkmälern unserer Sprache) zu Mailand,
Neapel und Upsala vorhanden ist."
Als im I. 1846 zu Frankfurt a. M. dir erste
Versammlung der sog. Germanisten, d. h. der Erfor-
scher der deutschen Sprache, der deutschen Geschichte
und des deutschen Rechts tagte, trug Ludwig Uh-
lan darauf an, daß der Mann, „in dessen Hand seit
so vielen Jahren alle Fäden deutscher Geschichtswis
senschaft zusammenlaufen, von dessen Hand mehrere
dieser Fäden zuerst ausgelaufen find, namentlich der
Goldfaden der Poesie, den er selbst in jener Wissen
schaft, die man sonst als eine trockene zu betrachten pflegt,
im deutschen Recht, gesponnen bat", durch Zuruf zum
Vorsitzenden ernannt werde. Die gleiche Ehre ward
ihm im folgenden Jahr bei der GermanistenvtrsaMm-
lung zu Lübeck zu Theil. 1848 aber ward ev von
der Stadt Mühlheim an der Ruhr als Abgeordneter
zum Frankfurter Parlament gewählt und 1849 tagte
er mit in Gotha. Jacob Grimm bat in Frankfurt,
wo von den Göttinger Sieben außer ihm noch Al.
brecht, Dahlmann und Gervinus Abgeordnete waren,
nur viermal gesprochen, nämlich am 29. Mai über
die Geschäftsordnung, am 9. Juni in der schleswig-
holsteinschen Sache für die Fortführung des Kriegs
und gegen fremde Einmischung, am 5. Juli, wo er
den Artikel für die Grundrechte beantragte: „Alle
Deutschen sind frei und deutscher Boden
duldet,keine Knechtschaft. Fremde Unfreie,
die auf ihm verweilen, macht er frei", und
am 1. August in längerer Rede gegen den Adel als
bevorrechteter Stand und gegen die Ordens
Im December des I. 1859 traf Jacob Grinim
der schwere Schlag, daß sein geliebter Bruder Wil
helm starb. Seitdem lebte und forschte er vereinsamt
bis ein sanfter Tod die Sehnsucht nach dem Voran
gegangenen stillte.
Ueber die letzten Lebenstage Jacob Grimms berich.
tet ein ihm Nahestehender: „Vierzehn Tage war er
krank gewesen; das besserte sich; man glaubte ihn ge
nesen, er war heiter, scherzte und lachte. Da traf ihn
Sonnabend d. 19. Sept., Nachmittags, ein Schlaganfaü.
Die rechte Seite war gelähmt, auch die Zunge. Er konnte
kein Wort mehr sprechen, und schien doch bei sich.
Man sagte ihm, was man tröstliches und beruhigende-
wußte, er schien es zu verstehen und schien zu danken.
Das dauerte bis zum Sonntag Abend. Da wieder
holte sich der Anfall: der Puls fing an langsamer zu
schlagen und schwächer. Ein Schlag. Noch einer:
Und das war der letzte. Erst Montags gegen Mit
tag verbreitete fich'die Kunde von seinem Tode. Dienstag
Vormittags drängte man sich um seine Leiche. Er
lag auf seinem Bette, zu Häupten die Büste Wilhelm-,
neben ihm ein Buch, das ihm gewidmet und daS er
nicht mehr gesehen, in der Linken Blumen, in der
Rechten ein Lvrbeerkranz. Sein Gesicht wenig ver
ändert. Darüber lag der Friede. Es Mar als ob er
schliefe."
Jacob Grimms Forschungen find namentlich
darauf gerichtet gewesen, das geistige Leben deS
deutschen Volkes, wie es sich in Sprache und
Poesie, vornehmlich in der Volkspoesie, in Glauben
und Mythen, in Recht und Sitte kundgegeben, ge
schichtlich zu ergründen und darzulegen. Indem Grimm
aber die Deutschen nie allein, sondern immer als Glied
der großen germanischen Völkerfamilie betrachtete und
diese wieder als Theil des indo-germanischen Stam
mes, dabei den Blick nicht verschließend vor den ne
ben und zwischen den Jndogermanen in Europa woh.
nenden finnischen Völkern, kamen seine Forschungen
den Sprachen und Alterthümern fast aller dieser Völ
ker zu gute. Mit der erstaunlichsten Gelehrsamkeit
und Belesenheit — fast alle europäischen Sprachen,
und nicht diese allein, ^verstand er —, mit einem
Fleiße ohne gleichen vereinte Grimm durchdringenden
Scharfsinn, genialste Kombinationsgabe, feinstes Sprach,
gefühl und eine wahrhaft dichterische Fädigkeit sich in
die alten und ältesten Zeiten auf das Lebendigste zu
versetzen und sie wieder darzustellen. Die großartig
sten von Grimms zahlreichen Werken find die leider
unvollendete Deutsche Grammatik (1. Band 1819,
in dritter Umarbeitung 1840, 2.— 4. Band 1826
bis 1837), durch welche er der Schöpfer nicht nK
der historischen deutschen Grammatik, sondern der ge.
fchichtlichen Sprachforschung überhaupt wurde; die
Deutschen Rechtsalterthümer (1828), an die
sich später die wichtige Sammlung der deutschen Weis«
thümer (d. h. bäuerliche Rechtsbücher) reihte, deren
4. Band Grimm erst in diesem Jahr unter Derhei-