Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z4
Begegnung in Heiligenstadt
Der Amtsenthebung der Brüder Grimm verdanken wir das Deutsche Wörterbuch
Durch Verfügung vom 11. Dezember 1837 waren die
sieben Göttinger Professoren Albrecht, Dahlmann, Ewald,
Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm und Weber mit
sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben worden, weil
sie gegen den Verfassungsspruch des Königs Ernst August
von Hannover Einspruch erhoben hatten. Dahlmann, Ger
vinus und Jacob Grimm erhielten wegen angeblicher
Verbreitung der Protestschrift die Aufforderung, binnen
drei Tagen das Königreich Hannover zu verlassen,
andernfalls sie zwangsweise nach. einem andern Ort des
Königreiches gebracht werden würden.
Jacob Grimm wandte sich am 17. Dezember 1837 über
Witzenhausen nach Kassel, wo er die Gastfreundschaft
seines jüngsten Bruders Ludwig Emil Grimm genoß, wäh
rend sein Bruder Wilhelm mit seiner Familie noch bis
zum Oktober in Göttingen verblieb'. Im ganzen ertrugen
die Brüder Grimm die Jahre der Verbannung mit unge
beugtem Mut und freuten sich über die Teilnahme, die
man ihnen von allen Seiten entgegenbrachte. Sie ver
senkten sich mit allen Kräften in ihre wissenschaftliche
Arbeit, besonders in die Vorarbeiten zum deutschen
Wörterbuch, dessen Wiege,Kassel wurde. Zu diesem
Zweck hatte sich Jacob Ende April 1838 mit der Familie
seines Bruders Wilhelm in Heiligenstadt getroffen, da er
das Königreich Hannover nicht mehr betreten durfte.
Jacob war von seinem Bruder Ludwig Emil Grimm be
gleitet, während von Göttingen noch Frau Dahlmann
nebst Tochter mitgekommen war. Auch einige Göttinger
Professoren hatten sich eingefunden. Einem zeitgenössi
schen Bericht in Gutzkows „Telegraph für Deutschland"
entnehmen wir darüber folgende Schilderung: „Die
Namen, auf die Göttingen noch vor kurzer Zeit als auf
die seinen stolz war, sie mußten an der hannoverschen
Grenze herschleichen, um der Polizei nicht in die Hände
zu fallen! Ich dachte, diese Namen hier vereint geschrie
ben, seien ein Dokument zur Geschichte Göttingens, und
schob meinem Reisegefährten das Buch zu. Der Kellner
sah es — er war aus Göttingen — und erklärte: ,Wir
haben vorgestern viele Göttinger hier gehabt, Wilhelm
'us im Betriebsbüro
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jjellschaftsproblem seiner Generation,
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Grimm, eine Menge Privatdozenten, auch Frauen und
Kinder, auch aus Kassel zwei, der eine klein, untersetzt,
immer freundlich, „kregel" und munter, mit dichten
grauen Locken (Jacob), der andere stämmig, lustig und
mit einem Schnauzbart (Ludwig Emil Grimm). — Sie
haben hier große Tafel gehalten. Die Dahlmann ist nach
Jena weitergereist'. Jetzt sind fünf Vierteljahre verstri
chen. Die drei Verbannten sind noch nickt wieder in
Göttingen gewesen. Dahlmann lebt in Kiel (in Wirklich
keit in Jena), Gervinus in Heidelberg, und Jacob schreibt
mir aus Kassel : .Neulich hatten wir zu Veckerhagen
(gemeint ist wohl Heiligenstadt), sieben Stunden von hier,
an der Weser, eine Zusammenkunft mit O. Müller, Ritter,
Schneidewin und andern Göttinger Freunden.'
Auch in einem Brief an Dahlmann vom 28. April 1838
erwähnte Jacob Grimm dieses Zusammentreffen, das
hauptsächlich der Beratung der Wörterbuchangelegenhei
ten diente: „Es war eine hübsche Zusammenkunft in Hei
ligenstadt, wobei nur Sie fehlten". Auf der Rückreise
kehrte Jacob Grimm zum Mittagessen in einem Wirthaus
in Großalmerode ein und traf dort mit einem Schulmei
ster und einem Aktuar zusammen, die sehr ergötzlich
von dem Einzug der Göttinger Sieben in Witzenhausen
zu erzählen wußten. „Den Grimm habe ich dort auch ge
sehen", berichtete einer von ihnen, ohne zu ahnen, daß
Jacob Grimm vor ihm saß. Diesen Vorfall teilte Wilhelm
Grimm in "einem Bffer vom 27. April Professor Lachmann
in Berlin mit und setzte seufzend hinzu: „Wenn er nun
den Oberrock hätte aufknöpfen und den Stern zeigen
können, so hätte diese Anekdote einen pikanten Schluß
bekommen. Dieser Witzenhäuser Einzug ist hier in Blei
gegossen als Kinderspielzeug zu haben, aber die Kinder,
die damit spielen, verlieren die Ansprüche auf eine spä
tere Anstellung im Staatsdienst. In dem Wagen, den die
Studenten ziehen, sitzen Dahlmann, Jacob und Gervi
nus, und das Bürgermilitär präsentiert das Gewehr. Jacob
lüftet den Hut und sieht sehr jugendlick aus mit glän
zenden roten Backen".
überall kam man der Familie der Brüder Grimm mit
der größten Liebe entgegen, weil man das Gefühl hatte,
daß ihnen bitteres Unrecht geschehen sei. Im April 1838
hatte sich Ludwig Grimms Frau ein Kleid auf der Kasse
ler Messe gekauft, fand aber den Preis von 12 Talern
zu hoch. Sie ließ deshalb durch ihr Dienstmädchen an
fragen, ob die Frau Professor Grimm das Kleid nicht
für 10 Taler bekommen könnte. „Wenns die Frau Pro
fessor Grimm von Göttingen ist", lautete die Antwort,
„sehr gern, wenn es aber eine andere ist, muß sie 12
Taler geben." In wie rührender Weise man allenthalben
bestrebt war, den Brüdern Grimm, die in jener Zeit ohne
Gehalt leben mußten, ihre äußere Lage zu erleichtern,
davon zeugt neben den im In- und Ausland veranstalte
ten Geldsammlungen folgender Vorfall: Der reformierte
Kantor der Göttinger Volksschule, die Wilhelm Grimms
Sohn Rudolf besuchte, weigerte sich, das ihm zugeschickte
Schulgeld anzunehmen. Er kam selbst und bat die Eltern,
sie möchten es nicht von ihm verlangen. Als ihm beim
Abschied Wilhelm Grimms Frau freundlich die Hand
reichte und sagte: „Es ist doch schön, Herr Kantor, daß
Sie uns treu bleiben", erwiderte er in feierlichem Tone:
„Frau Professor, treu bis in den Tod!" Wilhelm Schoos