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— 1886. 20.
Literarisches Centralblatt. — 8. Mai. —
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z4
sociale Frage bezeichnet. Der Vers. ist nun recht scharf in seiner !
Kritik der heutigen Vermögensungleichheit und auch ziemlich
kühn und weitgehend hinsichtlich der Reformmaßnahmen, die er
vorschlägt. Dennoch wird man seine Darstellung nicht als eine
socialistische charakterisieren können. Es schützt ihn davor einer- !
seits seine conservative politische Gesinnung, vermöge deren er
das Königthum berufen glaubt, durch ein Zusammengehen mit
der großen Masse die Lage der letzteren zu heben. Andrerseits
finden sich auch in seinem materiellen Programm neben radicalen
Zügen, wie progressive Besteuerung, Beschränkung des Grund
eigenthums, reactionäre Anklänge, Bestrebungen zur Wieder
belebung alterthümlicher Bildungen, die namentlich dann, wenn
sie, wie Artele und Hauscommunionen, gerade unter der slavischen
Race sich erhalten haben, mit besonders günstigem Auge be
trachtet werden. Noch in einer dritten Hinsicht endlich weicht die
Haltung des Verf.'s von der des Socialismus ab. Er ist, und
das gereicht ihm gewiß zum Lobe, nicht der Meinung, daß durch
die Verwirklichung seiner Vorschläge die Unvollkommenheit der
gesellschaftlichen Zustände endgültig beseitigt würde; er spricht
im Gegentheil die Ueberzeugung aus, daß auch jede künftige
Generation ihren „Kampf um den Besitz" hgben wird. Usr.
Singer, Or. I.. Untersuchungen über die socialen Zustände
in den Fabrikbezirken des nordöstlichen Böhmen. Ein Beitrag
zur Methodik socialslalislischer Beobachtung. Leipzig, 1885.
Duncker & Humblot. (267 8. 8., 5 Tab. Querfol.) dft. 6.
Es ist eine fleißige und nützliche Schrift, die hier vorliegt.
Der Vers. hat im Jahre 1883 58 Fabriken in dem der preußi
schen Grenze nahegelegenen Theile Böhmens besucht, um sich von
der wirthschaftlichen Lage der darin beschäftigten Arbeiter Kennt
niß zu verschaffen. Jene Fabriken, die bis auf sieben alle der
Textilindustrie angehören, beschäftigen über 18000 Personen.
Was er durch eigene Anschauung und Erkundigung an Ort und
Stelle erfahren, ergänzte der Vers. durch die Benutzung solcher
amtlichen Publicationen, die eine statistische Schilderung der be
treffenden Landestheile enthalten. Mit Hülfe dieser Materialien
hat er ein Bild zusammengestellt, das zur Vervollständigung der
Schilderungen dient, die auch sonst neuerdings von den socialen
Zuständen der fabrikarbeitenden Bevölkerung des Continents
entworfen worden sind. An der gegenwärtigen Darstellung ist
zweierlei besonders zu loben: die Sorgfalt, mit der alle in Be
tracht kommenden Lebensverhältnisse möglichst vollständig unter
sucht werden, und die Unbefangenheit, vermöge deren der Vers.
die Erscheinungen, die ihm entgegentraten, vorurtheilsfrei auf
gefaßt und die Eindrücke, die er gewonnen, rückhaltslos wieder-
gegebenhat. In formeller Hinsicht ist die gewandte und geschmack
volle Sprache anzuerkennen; nur hätte die Uebersichtlichkeit und
damit die Wirksamkeit des Ganzen sicherlich gewonnen, wenn
manche nicht recht zur Aufgabe gehörige, namentlich manche
methodologische Erörterung weggeblieben wäre. Auffallend sind
die statistischen Zahlen auf S. 199, denen zufolge bei den un
ehelichen Kindern ein Ueberwiegen der weiblichen Todtgeburten
sich ergäbe. Lsr.
Juristische Vierteljahrsschrift, Organ des deutschen Juristenvereins
in Prag. Unter fachmänn. Mitwirkung Hrsg, von Dom. U il-
mann ü. O. Frankl. N. F. 2. Band. 1. Heft.
Inh.: H. Krasnopolski, zu § 13, Z. 1 des AnsechtungS-
gesetzes vom 16. März 1884 R.-G.-BI. Nr. 64. — Rechtsprechung.
— Verhandlungen deS deutschen Juristenvercius. — Literatur.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Hrsg, von
P. v. Roth, E. I. Bekker u. A. 7. Band. 1. Heft. (Nomanistische
Abth. 1. Heft.)
Inh.: Schirmer, vom Widerruf des Testaments durch Zer
störung des Verschluffes.— Fr. Eisele, zur Diagnostik der Inter
polationen in den Digcsten und im Codex. — A. Schneider" noch
einmal die Latin! Iuniani und Ulp. I, 12. Eine Replik. E. Holder,
Erwiderung hierauf. — Otto Gradenwitz, Interpolationen in de n
Pandekten. — E. C. Ferrini, AtilicinuS. — Alfr. Pernice,
Amoenitates iuris. — Schwalbach, über ungültige Urtheile und
die consumierende Wirkung der Litiscontestation. — MiScellen. —
Literatur.
Zeitschrift für die gefammte Staatswissenschaft. Hrsg, von Fricker,
Schäffle u. 2t. Wagner. 42. Jahrg. 2. Heft.
Inh.: Borstorff, die Wehrsteuer. — Pappenheim, ein
Vorschlag zur Lösung des Problems der Verhältniß- und Minori-
tätenvertretung. — Schvarcz, Montesqnieu's Erziehung zum Ver
fassungspolitiker. 2. Art. — Miscellen. — Literatur.
Jahrbuch f. Gesetzgebung, Verwaltung n. Volkswirthschaft im Deutschen
Reich. Hrsg, von Gustav Schmoller. 10.Jahrg. 2. Heft.
Inh.: Studien über die wirthschaftliche Politik Friedrich'S des
Großen und Preußens überhaupt von 1680 bis 1786. 10) Gustav
Schmoller, die finanzielle Verwaltung Magdeburgs von 1680 bis
1786. — E. Struck, Studien über den englischen Geldmarkt.
2. Die Zinsbewegung auf dem englischen Geldmärkte. — W. v. Ochen- - 1
kowski, die württembergische Centralstelle für Handel und Gewerbe.
Ein Beitrag zur Organisation der öffentlichen Wirthscbaftspflege. -
— G. Berthold, die deutschen Arbeitercolonien, ihre Entstehung.
Organisation, Bedeutung und Frequenz auf Grund offtcieller Ma
terialien. — S. Cohn, die Verhandlungen des deutschen Vereins
für Armenpflege und Wohlthätigkeit am' 16. und 17. September
1885 in Bremen. — Paul Dehn, die österreichische Fabrikgesetz
gebung. — E. Münsterberg, das englische Armenwcscn. — Th.
Laves, der Fleischverbrauch Leipzigs vom 16. Jahrhundert bis auf
die Gegenwart. — MaxQuarck, Agrarstattstisches aus Frankreich.
— Literatur.
Deutscher Pitaval. Vierteljahrsschrift f. merkwürdige Fälle der Straf
rechtspflege des In- u. Auslandes. Hrsg, von H. Blum. 1. Jahrg.
1. Heft.
Inh.: Ein dunkeles Geheimniß. — Die Verbrechen der Anar
chisten in Deutschland in den Jahren 1880—1885. I. 1) Persönliches.
Anarchisten und Socialisten. 2) Trennung von Socialisten und Anar
chisten. 3) Der erste Hochverrathsproceß vor dem Reichsgericht. 4)
Die anarchistische Propaganda der nächsten Jahre. 5) Das Dynamit
attentat in Elberfeld. 6) Das Attentat auf dem Niederwald und in
der Festhalle zu Nüdesheim.
Handel. Technische Wissenschaften.
Gautsch, J. v., Docent, u. Pöschl, Robert, Dir., Leitfaden zur
kaufmännischen Correspondenz. Wien, 1884. Gerold’s
Sohn. (IV, 216 8. 8.) cM. 4.
Der vorliegende Leitfaden ist ein Auszug aus dem Lehr
buche der kaufmännischen Correspondenz von denselben Ver
fassern, welches wir im Jahrg. 1884, Nr. 31, Sp. 1053 d. Bl.
besprochen haben. Da dieser Leitfaden kurze Zeit darnach, folg
lich ohne Berücksichtigung der, von der Kritik an dem Lehrbuche
gerügten Mängel erschien, so werden es die Verff. erklärlich
finden, daß die Besprechung desselben bis auf eine Zeit ver
schoben wurde, wo sich die Verstimmung über die Anlage und
Durchführung des Lehrbuches so weit gelegt haben konnte, daß
der Kritik zugemuthet werden dürfte, von Neuem auf die, so
wohl in sachlicher, als sprachlicher Beziehung, bedenklichen Irr
thümer aufmerksam zu machen. Wenn wir den Leitfaden mit
dem Lehrbuche vergleichen, so hat der erstere vor letzterem den
Vorzug der Kürze und Uebersichtlichkeit, obgleich wir auch in
dieser Hinsicht manche Ausstellungen an demselben zu machen
haben. Fassen wir zunächst Umfang und Eintheilung des
Stoffes ins Auge, so belehrt uns darüber § 1 der Einleitung
folgendermaßen: „Unter kaufmännischen Aufsätzen verstehen
wir diejenigen Geschäftsaufsätze, welche durch den Betrieb des
Handels veranlaßt werden". Gegen diese Erklärung wäre
nichts einzuwenden; aber schon § 5 nimmt dm s.lben ihre Be
deutung, indem er den kaufmännischen Aussähen zugesellt:
„Schriftliche Zusicherungen (Urkunden), m denen die Gründung,
Sicherstellung, Abänderung oder Aushebung von Privatrechten
oder irgend ein Vorgang (was soll das heißen?) dargestellt
wird." Hierzu rechnen die Verff. die Aufsätze, wie Gesuche um