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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z4
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„Kreuzes an der Ostsee" sich befanden. Wen» jemand in das Wie« er Le
ben, einen Griff that als sogenannter Gelehrter oder Forscher, so bekamen
wir entweder Regesten, die sich durch ihre Nichtigkeit auszeichnen, wie die
Opera des kaiserlichen Raths Camesina, oder eine Monographie, welche die
Ohnmacht des Malers hinter einem Wall von Anmerkungen zu verbergen
bemüht ist, wie Hrn. Karajans „Abraham a Sancta Claras Und befaßte
sich ein bei esprit mit dem Wiener Leben, so wurde der Anekdotenkram
ausgebreitet mit wahren und erfundenen, hin und wieder erträglichen,
aber der Mehrzahl nach unbedeutenden Geschichtchen, wie sie Gräffer zur
Verfügung hatte, und wie sie noch heutzutage, die geschilderten Autoren
nicht selten bloßstellend, vorgetragen werden. Da nun in der Heimath
Grillparzers die Fäden nicht gesponnen wurden welche den Zusammenhang
unsers geistigen Daseins mit dem großen deutschen Gewebe hätten ver
mitteln können, so fehlte den Männern in Deutschland bei der ohnehin
lockern Verbindung der Ostmark mit dem Mutterland auch der Anhalts
punkt sich ernstlicher mit uns beschäftigen zu können. Eine übelwollende
Stimmung brauchte hinzuzutreten, und völlige Entfremdung mußte die
Folge sein. So konnte dtzpn ein feiner Geist, wie der Verfaffer der „Bil
der aus der deutschen Vergangenheit," eine Perspective in die Cultur des
vorigen Jahrhunderts vor uns aufthun, und dabei sogar des ersten „Luft
ballons in Nürnberg" gedenken, aber Maria Theresia und ihren merkwür-
digen Sohn, sowie Mozart, den Goethe'S deutsches Epos nicht vergeffen
hat, ruhig draußen lasten, ohne befürchten zu müffen daß ihn das Publi
cum deßhalb einer Unziemlichkeit oder einer unerlaubte» Willkür zeihen
werde.
ES ist daher sicherlich kein müßiges Beginnen das Urtheil klären zu
helfen das sich unter Stammverwandten über einen vornehmen Dichter
gebildet hat, der schon am Ausgang seines Lebens steht, die Züge heraus
zulesen welche sein besonderes Verhältniß zu Oesterreich sowohl als auch
seine Gemeinschaft mit der deutschen Dichtung anzeigen und erläutern.
Franz Grillparzer wurde am 15 Januar 1791 zu Wien geboren-
Sein Geburtshaus, damals noch Eigenthum des Vaters, eines geachteten
Advocaten, hat, wie es heißt, durch seine architektonischen Heimlichkeiten
dem träumerischen Kind dauernde Eindrücke eingeprägt. Die Stadt selbst
war in des Dichters erster Jugend noch ein nachdunkelndes Bild der
Theresianischen und Josephinischen Zeit: eng zusammengeschobene
Straßen, giebelige Häuser, vielfach in dem düstern FestungSstyl alten
Musters aufgeführt, mit gedrückten Thoren und vergitterten Fenstern,
hinter denen jedoch eine sorglose Fröhlichkeit athmete. An die St.
Stephans-Kathedrale schmiegten sich noch die Reste eines Kirchhofs, und
am Allerseelentag drängte sich um die steinerne Kanzel des Türken-
bekämpferS Capistran eine dichte Menge, um den Geistlichen zu hören der
den „armen Seelen" eine Predigt htelt. In Buden, mitten in der Stadt,
spielten die Kreuzerkomödien, welche dem von Sonnenfels aus dem Schau
spielhause gescheuchten Hanswurst eine Stätte bitten. Im Winter gab es
kaiserliche Schlittenfahrten, die auf dem Burgptatz oder auf dem Hof in
einem Schlitten-Cotillon ihren Abschluß fanden, glitzernde Redouten, an
denen sich später auch die Kaiserin, die zweite Gemahlin Franz'1, mit
ihrem Hofstaate betheiligle. Augarten, Brigittenau und Prater standen
den Sommergenüssen deS Wieners zur Verfügung, und die zahlreichen
Privatgärten in den Vorstädten schimmerten im Roeoco Glanze mit Taxus-
Pyramiden und Buxsäumsn, mit Fontänen, Meergöttern/ Glorietten und
chinesischen Tempelchen, wie fie der Apotheker in „Hermann und Dorothea"
liebte. In dem Hause manches wohlhabenden Bürgers war die Zimmer
einrichtung, au« der Therefianischen Epoche stammend, noch durchaus un
versehrt vom Wetzstein der Josephinischen Mode. Da sah man noch Ta
peten mit ungeheuer» Kürbiffen und indianischen Raben bemalt, verschossene
Gobelins, Schränke auS Holzmosaik, Gardinen von chinesischemZitz, Bett-
schirme mit ausgeschnittenen Kupferstichen beklebt, Pagoden Über den Ka
minen, ausgestopfte Vögel zwischen Statuetten auS Meißner Porzellan,
und jene schweren Stuccaturdecken, von deren kaltem Geschnörkel die Krön*
leuchter aus Glaskrystall wie drohende Eiszapfen herabhiengen. Demge
mäß war die Disciplin in den altersblaffen Räumen pünktlich nach Augen,
blicken geordnet, bis in die kleinsten Bruchthtzile deS häuslichen Tagewerks.
Die Beziehung der Kinder zu den Eltern hatte den Charakter der Unter
würfigkeit, aber durch dieses abgezirkelte Leben schlängelte sich dar Band
ber Neuerungen, welche der jungen Generation ihreJmpulse verliehen.Wo
Bildung das Schlagwort war, da herrschten noch Denis, Alxinger, Dkasta-
lier, die Schatten unserer vorausgegangenen Classiker; da war noch dre
Schwärmerei für Klopstock und Mathiffon heimisch, während der leichter
wiegende Geschmack einzelner Kreise an Blumauer und Hasenbut seine
Labung suchte, und die wenigen Erlesenen der Wiener Gesellschaft schon
bis zur Verehrung Lesfings und der Leiden des jungen Werther vorge
drungen Ware«.
Der Widerspruch des UeöergangS aus den Reformen Josephs in die
Rücklenkung zu einem gewüthlichenDespotismuS schien dem ganzen Wiener
Geistesleben aufgedrückt. Die Aufklärung war mit ihrem grellen Strahl
unerwartet, durch kein Botenlicht angekündigt, in die bequeme Häuslichkeit
der Wiener Sitten hereingebrochen; fie konnte also keine wohlthätigen
und vor allem keine nachhaltigen Wirkungen üben. Joseph war mit seiner
Leuchte wieder hinabgestiegen, die eigentlich nur ihn selbst erhellt, sein
eigenes Antlitz allein verklärt, die übrigen aber mehr geblendet Und eine»
zwischen Neugier und Sehnsucht gemischten Zustand in ihnen erzeugt
hatte. So mußte denn, ungeachtet der Flugschriften und Predigerliöelle
welche die Genußstadt noch kurz vorher durchschwärmten, der launige
Gleichmuth wieder in seinen Herrensitz zurücksinken, und den Bestrebungen
zusehen welche auf die Beseitigung des Josephinismus gerichtet waren.
Da diese Bestrebungen mit den Schlägen der französischen Revolution zu
sammenfielen, und dieselbe durch „ein politisches Räuschchen" sich auch in
Wien bemerkbar machte, so griff die Regierung zu Gewaltmaßregeln,
welche in Untersuchungen, Processen und Hinrichtungen plastische Gestalt
gewannen. Das Angeberwesen gedieh vortrefflich, und der bitterböse Graf
Saurau sorgte dafür daß der scharfen Klinge niemals dis Handhabe fehle.
Den Parteien mangelte völlig das klare Bewußtsein der zu erfüllenden Auf
gaben : unter dem Deckmantel der Maurerei, wie unter dem der Streng
gläubigkeit, dort mit dem Verderbniß der Logen des In- und Auslandes
verknüpft, hier mit der Kirche listig verbündet, arbeiteten die geheimen Ge
sellschaften beider Farben einander entgegen, den Organismus des Staats
unterwühlend und zerrüttend. Der Kaiser, deffen ursprüngliche Anlage
eine Verschmelzung unbeugsamer Strenge und spielerischer Neigungen
darstellte, gefiel sich von jeher darin seinen energischen Willen in humori
stische Traulichkeit zu kleiden, und da der Wiener in seinem Triebleben
darauf eingerichtet ist ernste Erwägungen zu meiden und am sinnlich
Augenfälligen haften zu bleiben, so nahm ihn die humoristische Traulich
keit deS Kaisers gefangen und stellten sich die Symptome des Aengstlichen
nicht bei ihm ein. Im übrigen schwang er sich mit den „hoffärtigen Gul
dendiners" im Augarten, mit den Schwänken Ignaz Schusters und ähn
lichen Reizmitteln über die Bedenklichkeiten des Tage- hinaus.
Die Gährung der Josephinischen Epoche freilich war geblieben; fie
reichte eben hin die feiner gearteten Köpfe, die empfindlichen Gemüther
unsicher zu machen, zu verwirren, aber die Kräfte spornen und stärke»
konnte sie nicht. Dieser Bruch im Wiener Leben, mit welchem sich die
meisten leichtlich abfanden, war offenbar durch die Seele des jungen Grill
parzer schmerzerregend gegangen und hatte ihn frühzeitig nachdenklich und
besorgt gestimmt. Wem das Sinnen angeboren ist, der wird unter allen
Umständen eher umschattet als heiter sein, und wen daL Geschick als sin
nenden Menschen in das WienerLeben gepflanzt hat,der wird schon durch
den Gegensatz der Lage in ein inneres Mißverhältniß gerathen, deffen
Ausgleichung schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Nun gar ein dichterisches
Naturell mitwelchem die Beschaulichkeit sich gepaart hat, in das Zwielicht deS
damaligen Wien gerückt: was für ein räthselhaftes Gebilde mußte sich da
erst entwickeln! „Laß die Dinge gehen wie sie gehen!" sprach zu dem
heranreifenden Grillparzer der Genius seiner Vaterstadt, „wirf wie jener
Schwabe dein armes Kreuzer!: unter die hundert Goldgulden die unser
Herrgott gewonnen hat! lebe, genieße mit den anderen, und nimm dir nicht
mehr zu Gemüthe als dir auf die Finger brennt!" Prüfe deine Kräfte,
rief es in ihm selbst, streife die Feffeln ab welche das Jahrhunderte lang
niedergehaltene und eingeschläferte Volkthum dir gleichsam vererbt hat,
mach' deinem Geiste Platz in dem Gedränge all der Fröhlichkeit, fache de»
Josephinischen Funken, der nun zertreten werden soll, mindestens zu deinem
eigenen Vortheil an!
In solchem Widerstreit wuchs Grillparzer auf. Nirgends trat ei»
Punkt deutlich hervor wo eine Fottbildung des Begonnenen möglich war,,
überall starrten Lücken ihn an, die ein lässiger Volksgeist verschuldet hatten
die der Einzelne nicht ausfüllen kan».' Nit einem Worte: Grillparzev
fand keine wurzelgerechte Tradition vor, er Ließ nur auf Liebhabereien
welche dis Gegenstände wechselten, auf Angewöhnungen und Eigenheiten
welche des nachdrücklichen Charakter- entbehrten. Hängen wir am Alt
hergebrachten, oder schnellen wir mit dem aufrüttelnden Zeitgeist empor?
Sind wir zum Dulden, öder sind wir zum Widerstände geschaffen? Sehen
wir zur stolzen Kaiserin und zu dem gewaltthätigen Förderer des Gute»
auf dem Thron als zu den Standbildern der Herrlichkeit Oesterreichs em- r
por, oder haben wir unsere Helden unter den hochfahrenden Fürsten der v
Böhmen und Ungarn zu suchen, unter den Ottokar und Hunyady?
Sind wir Bauvorsprünge des großen deutschen Hauses, oder sind wir die ^
Mauer welche den Anprall des Ostens aufhält? Diese Fragen, wenn auch
nicht in Formeln gebracht, mochte sich der junge Grillparzer vorgelegt
und umsonst auf die zutreffende Antwort gewartet hübest. In seine»
Werken können wir jedenfalls die Spuren dieses gedrückten Seelenzufiandes
wahrnehmen, dieser Unentschiedeuheit und Unentschloffenheit, und alle